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Deutschland, ey

Warum Dresden seinen Einwohnern das Lüften verbietet

Aus Sorge vor Lärmschutz-Klagen hat die Stadt in einem Luxus-Bunker die Fenstergriffe abmontieren lassen.
Eine Stadtansicht des Dresdner Neumarkts
Wenigstens sie macht keinen Lärm: Die Martin-Luther-Statue auf dem Neumarkt – mit Blick auf den Kulturpalast (links) und den Jüdenhof (rechts) || Foto: Sven Ellger | imago

Das Jüdenhof-Quartier in Dresden ist der feuchte Traum für die wohlstandsverwahrloste obere Mittelschicht: Wohnungen in bester Lage mit Blick auf die Frauenkirche. In Fußdistanz: der Neumarkt, der Zwinger, die Kunstgalerie "Alte Meister" und die Elbe mit der Brühlschen Terrasse, die sie in Dresden den "Balkon Europas" nennen. Das ist nicht unbedingt der Spot für dein geliebtes 1-Euro-Kiosk-Bier. Aber für Menschen mit einer funktionierenden Altersvorsorge, Vorliebe für Crémant und einem Innenstadt-SUV ist es, wie gesagt: ein feuchter Traum. Eigentlich.

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Denn der Jüdenhof steht zum Teil leer. In einigen Wohnungen (selbst in der allertollsten mit Dachterrasse und Eichenholz-Parkett) gibt es keine Fenster. Also – die Wohnungen sind keine Darkrooms, bei denen ein Architekt vergessen hätte, Glas in die Wände einzuplanen. Aber wie nennt man eigentlich ein Fenster, das man nicht öffnen kann? Kürzlich hat nämlich die Stadt Dresden, der der Baugrund gehört, beschlossen: Die Fenstergriffe werden abmontiert!

Der Investor Michael Kimmerle, der einige der Wohnungen im Jüdenhof finanziert hat, klagt gegenüber Bild, er verliere pro Jahr 50.000 Euro Mieteinnahmen, weil niemand in seinen Wohnungen wohnen will.

Dabei kann man es niemandem verübeln, der oder die dort nicht einziehen will. Wer soll ein-, zwei- oder dreitausend Euro pro Monat dafür zahlen, dass er oder sie mit ewig muffiger Luft gefoltert wird? Aber vor allem: Was soll die Fensterposse von Dresden?


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Konkret geht es im Jüdenhof am Neumarkt um sieben Wohnungen und 26 Zimmer eines Hotels, deren Fenster in Richtung des "Kulturpalast" zeigen. Dort führen sie Frank-Sinatra-Tribute-Konzerte auf, es trötet die Dresdner Bläserphilharmonie oder es gibt, wie passend: eine Sinfonieaufführung mit dem Titel "Der Lärm der Zeit".

Und dieses Hochkulturprogramm ist, so befürchten es die Stadt und das Land Sachsen, viel zu laut. Sie befürchten, die Anwohner könnten klagen – wegen Lärmbelästigung.

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Ein Problem, das man auch in Kiezen in Hamburg, Berlin oder in Nordrhein-Westfalen kennt. Am Barbarossaplatz in Köln, beim Cornern auf St. Pauli oder in den Kneipen der Simon-Dach-Straße in Friedrichshain, überall werden deine Lieblingskneipen von lärmempfindlichen Anwohnern herausgeklagt. Oder bekommen im schlimmsten Fall eine Sperrstundeaka der Tod auf Raten.

Die Anwohner halten es entgegen jeder Logik für einen Skandal. Da ziehen sie schon extra aus Vororten oder Randvierteln dorthin, wo ihnen ein "Szenekiez mit Nachtleben" versprochen wird. Und dann sind vor Ort doch tatsächlich: Menschen wie du, die das Nachtleben mögen. Und sich bei ihrer Lebensfreude in Form von Musik oder Gesprächen vor der Tür – unfassbar! – nicht an gesetzlich vorgeschriebene Ruhezeiten halten.

Zu viel Lärm? Die menschenunwürdige wie pragmatische Lösung heißt: "Vollverglasung".

Am Neumarkt in Dresden, im Jüdenhof, ist das Problem nicht die Musik. Oder das mit Sektgläsern klirrende Opernpublikum. Das Problem ist die Verladerampe des Kulturpalast. Dort wird manchmal nachts, nach den Konzerten, die Bühnentechnik verladen. Roadies, die Notenständer, Cellos und Pauken verladen, machen Lärm. So viel, dass es die Grenzwerte in der Stadt überschreiten würde. Die menschenunwürdige wie pragmatische Lösung von Stadt und Land heißt deshalb: "Vollverglasung".

Seit 2015 streiten sich Vermieter und Behörden. Michael Kimmerle, der Mann, der im Jahr 50.000 Euro verliert, hatte gemeinsam mit anderen Investoren sogar geklagt. Ohne Erfolg. Das Dresdner Verwaltungsgericht urteilte: Die Fenster bleiben zu!

Die Investoren um Kimmerle werden nun für 1,2 Millionen eine Lärmschutzeinhausung (hach, Behördendeutsch) um die Verladerampe des "Kulturpalast" bauen. Fertig werden soll sie 2020. Dann ist endlich Ruhe.

Eine gute Seite hat die Sache mit den geschlossenen Fenstern. Bis die Lärmschutzeinhausung (haaach) fertig ist, bekommt dank der Vollverglasung keiner was von den Reden patriotischer Vollidioten mit, die immer noch jeden Montag auf dem Neumarkt versuchen, das Abendland zu retten.

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