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Wie mich die Schönheit des Islams endgültig schwul gemacht hat

Ich wuchs im wohl christlichsten aller Haushalte auf. Am Ende war es aber das Eintauchen in die islamische Kultur, das mir zeigte, wer ich wirklich bin.

Illustration von Taylor Lewis

Ich wuchs in einem Vorort von St. Louis auf. Mein Vater war dort der Pfarrer einer kleinen evangelikalen Gemeinde. Meine Mutter ist Pfarrerstochter. Mein Onkel ist Pfarrer und mein Großvater hat jahrzehntelang die Sonntagsschule unterrichtet. Wenn Forscher endlich eine Korrelation zwischen einer extrem kirchlichen Erziehung und der Wahrscheinlichkeit, eine krasser Homo zu werden, feststellen, werde ich wohl als Paradebeispiel herhalten. Wundern würde mich diese Erkenntnis jedenfalls am Wenigsten.

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Als Teenager machte mir mein christliches Leben in Jugendgruppen, Gospelchören und Sommerjobs in Christencamps richtig Spaß. Es führte auch dazu, dass ich mich von der sechsten Klasse an, den Großteil meiner High School-Zeit in Bekehrungscamps für Homosexuelle quälen durfte. Es war der Sommer vor meinem letzten Jahr an der High School, der mich von meinem direkten Weg in den Himmel abbrachte, auf dem ich mich bis dahin zweifelsohne befunden hatte. 2006 flog ich nach Ägypten und verliebte mich dort in den Islam.

In Ägypten sahen die gotischen Turmspitzen und bunten Glasfenster, die ich in Amerika so verehrt hatte, neben den Kuppeln des fatimidischen Kairos und den glasierten Kacheln der Moscheen geradezu dilettantisch aus. Die Lieder und Tänze des Sufismus, der mystischen Form des Islam, erweckten in mir die gleiche religiöse Leidenschaft, die ich in meinen schillerndsten evangelikalen Momenten gespürt hatte. Und in der allerletzten Nacht meines Sommerurlaubs, auf dem Rücken eines Ponys im mondbeschienen Wüstensand zwischen den Pyramiden, nahm mich das 4 Uhr-Gebet von 10.000 Minaretten auf eine mystische Reise der Offenbarung durch die Nacht—einer Reise nicht unähnlich der des Propheten (Friede sei mit ihm). Was war ich für eine kleine, verwirrte Jesusschwuchtel.

So stark ich konnte, kämpfte ich gegen diesen plötzlichen Schub Halal-Romantik an. Ich weiß noch, wie ich mich mit einem ultrakonservativen, hidschabtragenden Mädchen in Kairo anfreundete, das es liebte, über Religion zu diskutieren. Die Arroganz meines amerikanischen Christentums, angeschwollen durch 17 Jahre Auseinandersetzung mit Theologie, Geschichte und biblischer Hermeneutik machte sie richtig wild. Da ich ein Mann war, schüttelte sie mir zwar nicht die Hand, diskutierte dafür aber die ganze Nacht über Gottesbeweise oder inwiefern das Konzil von Nicäa die frühe Kirche verändert hatte. Die furchtlose Apologetik, die sie für ihren islamischen Glauben an den Tag legte, verunsicherte mich. Am Ende empfand ich unglaublichen Respekt für sie, was mir gleichzeitig eine unglaubliche Angst einjagte.

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Erschwerend zu dieser ästhetischen und intellektuellen Auseinandersetzung mit dem Islam kam hinzu, wie das Männlichkeitsbild der muslimisch-ägyptischen Gesellschaft den amerikanischen Gendernormen den Mittelfinger entgegenstreckte. Männliche Schönheit—also richtige Schönheit—war allgegenwärtig und wurde regelrecht zelebriert. Jungs in hautengen, pinken Polohemden, langen Wimpern und professionell frisierten Locken verteilten über die Straße hinweg Luftküsse aneinander oder schlenderten Arm in Arm durch die Gassen. Sie hielten Händchen und tauschten kichernd Geheimnisse aus. Natürlich war niemand schwul, aber in meinen amerikanischen Augen erschien dort jeder zumindest ziemlich schwul'esque. Das visuelle Paradox dieser höchst unamerikanischen, homosozialen Interaktionen pflanzten mir Zweifel in den Kopf: Wenn meine Sicherheit bezüglich meiner religiösen Überlegenheit schon derartig in Frage gestellt werden konnte, was war dann mit meiner Sexualität?

Es war damals in Ägypten, dass ich zum ersten Mal männliche Interaktionen fernab der starren westlichen Schwul/Hetero-Dichotomie beobachtete. Durch viele Jahre ideologischer Gehirnwäsche durch Ex-Gay hatte ich internalisiert, die amerikanisch geprägte schwule Identität abzulehnen—mit ihrem oberflächlichen Materialismus, ihrer Promiskuität und ihrer Anbetung von Jugend, Reichtum und sexueller Attraktivität. Zärtliche Berührungen zwischen verheirateten Männern, die weder richtig sexuell noch unerotisch waren, waren in meinem Ex-Gay-Bootcamps allerdings nie Thema.

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Und trotzdem war es die Schönheit einer religiösen Praxis fernab des amerikanischen Christentums, die mich für Zweifel und Veränderung empfänglich machte. In Kairo zu leben, hieß den Islam zu spüren—in meinem Tagesrhythmus, in meiner körperlichen Umgebung. Und ich war damals, dafür danke ich Gott, ein leicht zu beeinflussender Teenager. Gewappnet gegen die Ketzereien der Theologie war ich doch gänzlich unvorbereitet auf die Ketzereien der menschlichen Natur: zuckersüße Koranrezitationen, die wie feiner Zigarettenrauch aus dem Taxiradio schwebten; das unerschütterliche Selbstbewusstsein eines verschleierten Mädchens, das ihre eigene Religion genau so liebte, wie es die Lehren der meinigen kannte; die Schönheit von mehreren Millionen Menschen, die ihre Tagewerk unterbrechen, um sich zu waschen und gemeinsam zu beten. Es waren die Ketzereien der Sinne und der Seele, die etwas in mir veränderten.

In Kairo entpuppten sich sowohl Amerikas Religion als auch die dortigen Gendernormen als fehlbar. Meine vor allem von Scham geprägten Experimente mit schwulem Sex und schwuler Liebe waren nicht ansatzweise genug gewesen, um an meinem "festen Fundament", wie es in dem alten Lied heißt, zu rütteln. Aber wenn die Überlegenheit des Christentums schon in Frage gestellt wurde, dann auch alles andere. Die Entmenschlichung von Muslimen in der christlich-amerikanischen Sichtweise war etwas, dem ich mir bis zu meinem Besuch in Ägypten nicht bewusst war. Wenn Muslime Menschen waren, mit menschlicher Würde und dem gleichem Zugang zum Göttlichen, dann waren Schwule das vielleicht auch.

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Zum Glück kam meine Erfahrung in Ägypten gerade zur rechten Zeit. Als ich in die USA zurückkehrte, hörte ich mit der Reparativtherapie auf und sagte meinen evangelikalen Eltern, dass sie sich verpissen können. Islam und die unerschütterlichen Implikationen dieser pluralistischen Erweckung wurden zum Triebmittel meiner Akzeptanz der eigenen Queerness. Ich kann mir nicht vorstellen, wie mein Leben ohne Kairo verlaufen wäre. Ich wäre bestimmt in einer hippen New Yorker Megachurch gelandet—in einer, in der die Prediger zwar die Kleidung queerer Menschen tragen, aber wegen der "sündigen", gleichgeschlechtlichen Beziehungen ihrer Chormitglieder mit dem Glauben ringen.

Mit 17 hatte ich schon eine Pride Parade gesehen, aber kein Freitagsgebet. Das eine veränderte nichts in mir, das andere schon. Nachdem ich Jahre damit verbrachte hatte, mich gegen die heimtückische Schwulenagenda zu wappnen, brachte der Islam mich zu meinem Outing. Wer hätte das gedacht? Ich am allerwenigsten.

Mir heute anzusehen, wie die populäre, blutdurchtränkte Wahrnehmung des Islam und von Muslimen, westlichen Ideen der homosexuellen Identität und homosexueller Menschen gegenübergestellt wird, fühlt sich komisch an. Und es macht mich traurig. Und sauer. Es ist nicht so, als würde ich die Homophobie im orthodoxen Islam nicht sehen, aber andersherum bin ich mit der Homophobie im orthodoxen Christentum nur allzu vertraut. Meine jungen Erfahrungen mit dem Islam und mit Muslimen waren genau das, was mich davon befreit hat. Und außerdem weiß ich genug über den Austausch der frühen muslimischen Gesellschaft und Europas, um zu wissen, dass wir es waren, die die Homophobie als Praxis in die arabische Welt getragen haben. Es ist eine komplexe und komplizierte Geschichte, aber um es kurz zusammenzufassen: Niemand scherte sich wirklich um Männer, die sich gegenseitig die Schwänze lutschten, bis der Kolonialismus an die Tür klopfte. Schon ironisch irgendwie.

Ich schätze mich aber glücklich. Wenn irgendwelche Typen mit Waffen in einen Club rennen und dort ein Massaker anrichten oder eine Bombe in einer von New Yorks schwulen Nachbarschaften explodiert, dann spüre ich nicht das Verlangen, ein paar Typen mit Bärten und Kaftanen zusammenzuschlagen. Ich lege dann ein paar Korangesänge auf, zünde mir eine Marlboro an und beobachte meinen heißen Nachbarn, der seine Jalousien nicht zugemacht hat. Und dann danke ich Baby Jesus dafür, dass er mich nach Ägypten geschickt hat, als ich noch jung genug war, um dort schwul zu werden.

Drew Harper hat zusammen mit seinem Vater da Buch Space at the Table: Conversations Between an Evangelical Theologian and His Gay Son geschrieben.