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Nostalgie am Planeten Porno

Statt Nachos gibt es an der Kasse eines der ältesten und letzten Sex-Kinos Wiens Verzögerungssprühlösung für den Mann, Taschentücher, Kondome und Gleitmittel—alles zum Einführungspreis.

Statt Nachos gibt es an dieser Kinokasse Verzögerungs-Sprühlösung für den Mann, Taschentücher, Kondome und Gleitmittel—alles zum Einführungspreis. Gegründet wurde das Lichtspielhaus 1945, damals noch als Premierenkino. Mit den 1980er Jahren und der Legalisierung der Vorführung von Pornografie in Österreich wurde es zum Sexkino—ein von der Außenwelt abgeschottetes Pornouniversum am Wiener Gürtel.

Zwischen vergilbten DVD-Hüllen von zeitlosen Klassikern wie Bushy Ballerinas, Fußfick German Raw und Big Titty Rockers sind der Geilheit keine Grenzen gesetzt. Aus einer kleinen Luke im Kassenhäuschen blickt mir ein Mann entgegen, mit einer Zierleiste aus Haaren an der Oberlippe und einem Häfen-Tattoo am Unterarm: „Eintritt kostet neun neunzig, ist aber für den ganzen Tag." Ein leistbares Abenteuer.

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Statt Popcorn gibt es Manner-Schnitten, Bier, Red Bull und Limonade. Poppen wird im Sexkino nicht dem Maiskorn überlassen. Die Atmosphäre ist schmuddelig, die Besucher auch. Der DVD-Aufsteller im Eingangsbereich nicht der einzige Ständer, den man zu sehen bekommt.

Die schwarzen, mit goldenen Blumen bedruckten Tapeten im Foyer lassen nostalgische Gefühle in mir hochkommen. Fast wie früher bei Oma im Wohnzimmer. Nur die spärliche Einrichtung und die Menschen hier sind abgenutzter, es riecht nach kaltem Rauch, alles ist sehr notdürftig zusammengeflickt und überall stehen Pornos rum—also doch ganz anders als bei Oma.

„Das Internet hat unser Geschäft nicht beeinflusst", verrät der EDV Unternehmer Willi S., der das Kino am Gürtel 2003 von seinem Vorgänger übernommen hat. Pro Tag kommen zwischen 15 und 25 Besucher zu den Vorführungen. „Wir haben 70 Prozent Stammkunden und die kommen nicht hauptsächlich wegen den Filmen vorbei. Man trifft sich hier, tauscht sich aus und hat eine gute Zeit. Manche verbringen hier bis zu zehn Stunden täglich."

Die Innereien des Sexkinos bestehen aus drei Séparées und einem Saal. Die Luft ist stickig, der Boden klebt und irgendwie riecht es hier drinnen nach Wixe.

Aus den drei Kabinen und dem Saal dröhnt lautes Gehechel und Gestöhne. Klare Gedanken zu fassen, fällt mir an dieser Stelle schwer. Ob die Geräuschkulisse nur aus den Boxen stammt, bleibt meiner Fantasie überlassen. Türen gibt es keine. „Jeder sieht alles" scheint das Grundkonzept der Räumlichkeiten zu sein. Alte durchgesessene Kunstledercouches und Mistkübel voller Taschentücher verleihen dem Ganzen ein spezielles Flair.

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Die Hauptstoßzeit im Kino ist nach getaner Arbeit, zwischen 16:00 und 18:00 Uhr. Vom buntgemischten Publikum, wie es Willi beschreibt, ist nichts zu sehen. Eher ältere Menschen treiben in den Séparées und dem Kinosaal ihr Unwesen. Kein reges Treiben, aber ein Treiben.

Ein ungefähr 70-jähriger Mann mit weißem Haar schleicht langsam über den Gang, welcher die einzelnen Kabinen miteinander verbindet. Er wirkt gebrechlich und setzt langsam einen Schritt vor den anderen. Jemand sollte ihm einen Stock reichen, als Gehhilfe. Fünf Minuten später spielt dieser Mann mit heruntergelassener Hose an seinem Stock rum. Er sieht mich kurz an, wendet sich wieder dem Bildschirm zu und macht unbehelligt weiter. Ausverkaufte Vorstellungen gibt es hier nie. Der Film auf der Leinwand lässt, wie die Tapete im Eingangsbereich, eine nostalgische Stimmung aufkommen.

Die Frisuren erinnern an die goldene Ära eines Michael Knights oder der Baywatch-Girls von Malibu. Die 80er-Jahre-Ästhetik schmiegt sich an die Netzhaut meiner Augen. Die Dialoge flach, die Kameraführung durchwachsen und die schauspielerische Leistung eher Laientheater—aber darum geht es auch nicht. Das Grundbedürfnis nach nackter Haut, Brüsten und Körpersäften wird auf alle Fälle befriedigt. Handlung gibt es keine.

Mit fortschreitender Zeit rückt die Außenwelt fernab dieser Räumlichkeiten immer weiter in den Hintergrund. Keine Fenster, keine Uhren, kein nichts—eine Spielwiese, ein eigener Planet inmitten Wiens, fernab der Realität. Regeln gibt es keine, vom strikten Rauchverbot abgesehen.

Viele verschiedene Gedanken und Gefühle drängen sich mir beim Besuch in dieser Pornokino-Welt auf. Erotische sind nicht dabei. Zwei Bewohner des Planeten „Sexkino" sehen das anders. Er um die siebzig, sie um die fünfzig. Die Frau streckt ihm mitten im Saal ihre Brüste ins Gesicht. Paar sind sie keines, verrät Willi S. im Gespräch. „Mit Liebe hat das Ganze hier nichts zu tun", meint er. Trotzdem hält die blondierte Dame ihrem älteren Spielgefährten die Stange, als hätte sie nie etwas anderes getan.