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Zahltag

Die Ermordung der Stefanie Sargnagel

Doch das schriftstellerische Ausnahmetalent Stefanie Sargnagel sollte ihren Claqueuren einfach ins Gesicht spucken und gehen. Sonst wird man sie bald töten.

An dieser Stelle erscheint zweiwöchentlich Manfred Klimeks neue VICE-Kolumne „Zahltag". Die darin veröffentlichten Texte bilden ausschließlich die Meinung des Autors ab.

Die unter einem Künstlernamen firmierende, dreißigjährige, österreichische Staatsbürgerin und Wienerin Stefanie Sargnagel ist eine sehr gute Autorin und Verfasserin gelungener, origineller Notizen und Texte, die eine eigene Sprache vorweisen und aus dieser eine eigene Identität kreieren, deren Fundament ein trauriger Sarkasmus ist. Dann wieder— gottlob mit sich im Reinen—offenbart Sargnagel Schrägeinsichten eines dahintrottenden Alltags, die sich nur Menschen offenbaren, die dafür empfänglich sind. Es sind mitunter bewegende, auch traurige Texte. Für jene, die das Tipp-Ex entfernen. Sargnagel wankt durch ein Leben, das ihr nur für einzelne Augenblicke zu gehören scheint. Jene Augenblicke, in welchen sie eine Reaktion auf ihr Schaffen bekommt. Ohne ihr Werk bleibt Sargnagel unsichtbar.

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Sprach ich in Deutschland—dem einzigen relevanten Verlegerstandort des deutschen Sprachraums (ohne die Schweiz zu mindern, die Diogenes hat)—über das bislang überschaubare Werk Stefanie Sargnagels, so hörte ich von zwei der drei angesprochenen Verlagspersonen, dass man das Krude, das Eigentümliche ihrer Weltbetrachtung mit dem frühen Max Gold vergleichen könne.

Das ist nicht nur ein richtiger Vergleich, er rückt das Werk dieser Frau zudem in das richtige Licht. Doch wenn dieser strahlende Scheinwerfer einmal brennt, dann macht ihm das Wiener Bobogesindel schnell wieder aus. Denn Sargnagel befindet sich in der Geiselhaft dieser anti-intellektuellen Wichtigtuer, die sich mit ihr höchstens einen freundlichen Spaß machen, wie damals mit Hermes Phettberg.

Die schlimmsten dieser Leute sind jene, die Sargnagel zu Solidarität verpflichten; eine Solidarität, die sie leisten will, weil sie dankbar ist, eine Art sozialen Aufstieg vollzogen zu haben. Sie glaubt, den habe sie diesen Kretins zu verdanken. Aber sie verdankt es ihrem Können. Dauerhaft sichert man sich den Gemeindebau in Herz und Hirn aber nur, wenn man den Gemeindebau hinter sich lässt und die meisten Erinnerungen als Erinnerungen an einen hinter sich gelassenen, durchaus interessanten und lehrreichen Abschnitt betrachtet—gelebtes Leben, das richtige Schlüsse zulässt, wo andere, mit Ralph Lauren aufgewachsene Gleichaltrige aus Erfahrungsmangel keine Schlüsse ziehen können und kein Paroli finden, das sie nicht dem Lächerlichen preisgibt.

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Stefanie Sargnagel hat also alles, um eine der wichtigsten zeitgenössischen Autorinnen Österreichs zu werden. Wäre sie eine dieser jungen, deutschen, postfeministischen, feminismuskritischen und sexualkundebegabten Berliner Autorinnen, dann würde ich ihr sagen: „Lass dir Zeit und finde dich." Weil Sargnagel auf Facebook aber angibt, dreißig Jahre alt zu sein und diese Angabe auch mit der abgebildeten Person übereinstimmen will, bleibt mir nur die Ermahnung: „Lauf!" So schnell Du kannst! Denn in Wien werden sie dich töten! Weil sie dich töten müssen! Dein Talent ist ihnen unerträglich.

Denn freilich ahnt das Bobogesindel von der Sprachgewalt Sargnagels. Und dass diese Sprechgewalt einmal über sie herfallen könnte, wie ein Rottweiler über Kaninchen. Es ist eine Sprachgewalt, die turbinenhaft Texte kotzt; Texte, weit gefährlicher als diese Triade; Texte, fast subtil und zärtlich formuliert; Texte als böses Kätzchen, sich schmiegend und dann die Politur zerkratzend—ein Kätzchen, dem man zuerst nicht böse war, weil es brav im Körbchen blieb. Aber jetzt!

Und weil das Bobogesindel die Kraft der vom Leben wahrscheinlich nicht auf Buttertoast angerichteten Sargnagel weiß, umarmt es die Gewaltige, um die Gewalt, die von der Person ausgeht, mitsamt der Person zu ersticken.

Freilich gibt es genügend Leute in Wien, die genau wissen, wer Sargnagel ist, die ihr freundlich gesinnt sind, weil sie die Bitte erkennen, die im Auftritt wohnt, weil sie die Sargnagel da raussehen wollen—aus dem Anfragestress, den man ihr antut, um sie zu knechten, aus den Einladungen, die man ihr aufzwingt, um ihr die Luft zu rauben. Umarmung, Aufträge, Scheinsolidarität und überbordendes Lob: das waren seit jeher die Mittel des verrotteten Wiener Bürgertums, die Mittel eines Henkers, der dann irgendwann „Aber du weißt eh …" sagt und die Schlinge zuzieht.

Ich wünsche mir, dass Stefanie Sargnagel das Weite sucht und als Seeräuber-Jenny zurückkommt.

Dagegen hilft nur internationaler Erfolg. Der Wiener Autor Thomas Glavinic kann sich seine Extravaganzen nur leisten, weil er 90 Prozent seiner Bücher in Deutschland verkauft. Die ganze Wut gegen Glavinic erfahren wir immer dann, wenn eines seiner Bücher in einem Bericht des Online-Standard besprochen wird. Was sich da für Leute auskotzen, geht auf keine Kuhhaut.

Im Arschlochsein hochbegabte Arschlöcher, die verbale Vernichtung für eine Art Kavaliersdelikt halten. Bei Glavinic und anderen im Ausland erfolgreichen österreichischen Kulturschaffenden tobt sich das vor Missgunst zerfressene Wiener Gesindel im Forum zum Artikel aus, als gelte es, den Mann wie eine Wanze zu zertreten. Dabei ist Glavinic nicht mal ein wesentlicher Beobachter der gegenwärtigen Wiener Gesellschaft. Sargnagel aber schon. Das macht sie zur „unguided missile"—man wird sie bald beseitigen wollen.

Das wäre ein guter Schlusssatz gewesen. Doch hier noch ein Epilog: Das widerliche Wiener Bürgertum, heute von den rennradfahrenden Eselsalamifressern verkörpert, hat noch alle Begabten gefügig gemacht und dann vernichtet. Außer Karl Kraus. Der blieb standhaft. Aber Oskar Werner ließ sich von seinem Stammpublikum noch Tage vor seinem Tod auspfeifen, weil die Leute die Hetze der Feuilletonisten inhalierten, das den einst Hochgelobten seine Alkoholkrankheit wie einen Spiegel vorhielt, anstatt dem Mensch zu helfen. Qualtinger ging es ähnlich. Und auch Thomas Bernhard hielt es ohne Wien und dieser Zuckerbäckertorte namens Gemütlichkeit nicht aus. Ich wünsche mir, dass Stefanie Sargnagel das Weite sucht und als Seeräuber-Jenny zurückkommt. Auf einem Kanonenboot mit geladenen Kanonen. Und wenn der Kapitän fragt: Wer? Dann sagt sie: Alle!