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Wir werden den Obdachlosen auf der Friedensbrücke vermissen

Herr Jan, der Obdachlose von der Friedensbrücke, ist gestorben. Warum wir Obdachlosen helfen müssen und wie wir das tun können.
Foto: VICE Media

Jeder, der schon einmal auf der Friedensbrücke unterwegs war, kennt den einbeinigen Bettler, der—egal bei welchem Wetter—immer mit einem Lächeln dort saß, und sich über jede noch so kleine Spende gefreut hat.

Seit ein paar Tagen ist sein Stammplatz hinter der Windschutzscheibe leer und mit Rosen bedeckt. Neben zwei Abschiedsbriefen für Herrn Jan hängt auch ein Zettel, der wie eine Botschaft aus dem Jenseits klingt: „Ich danke allen, die mir sehr geholfen haben (…) Gott hat mich zu sich geholt." Dass Herr Jan diese Nachricht aber nicht aus dem Elysium geschickt hat, merkt man spätestens dann, wenn man die Handynummer unter der Botschaft liest.

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Herr Jan bei der Friedensbrücke. Foto von Christian Schatzer

Als ich bei der Nummer anrufe, geht ein netter, älterer Mann ans Telefon. Er erklärt mir, dass er mit der Bettellobby zusammenarbeitet und versucht, der Familie von Herrn Jan zu helfen. Herr Jan ist letztes Wochenende verstorben—er war Diabetiker und hatte immer wieder mit seinen Nieren zu kämpfen. Er ist nach der Wende und nach einem Arbeitsunfall, bei dem er sein Bein verloren hat, aus Rumänien nach Wien gekommen und wollte ein neues Leben starten—so steht es in seinem Nachruf auf dem Blog der Wiener Bettellobby. In Rumänien war er als Lehrer und danach in einem Steinbruch tätig, nach seinem Unfall hat er dort aber keinen Job mehr gefunden. Das Geld, das er beim Betteln verdiente, reichte gerade so zum Überleben—von Medikamenten zur Behandlung seines Diabetes oder einer Beinprothese konnte er nur träumen. Die Bettellobby Wien unterstützt die Hinterbliebenen von Herrn Jan jetzt bei allen Behördenwegen und versucht, Geld für sie zu sammeln, damit sie den Verstorbenen in Rumänien beerdigen können, so wie er es sich gewünscht hat. Für viele gehören Obdachlose in Wien schon irgendwie zum Stadtbild, aber nur die Wenigsten fühlen sich bemüßigt, ihnen zu helfen—eher schon empfindet man sie als Belästigung. Im Mai des letzten Jahres hat ein Billa im vierten Bezirk ein Lüftungsgitter abgeriegelt, um so die Obdachlosen zu vertreiben, die sich vor dem Gitter an der warmen, ausströmenden Luft gewärmt haben. Und erst in den kürzlich vergangenen Weihnachtsfeiertagen—fälschlicherweise auch bekannt als die Zeit der Nächstenliebe— starb ein Obdachloser in einem Aufzug beim Volkstheater, nachdem er stundenlang darin gelegen hatte und niemand ihn angesprochen oder sich versichert hat, dass es ihm gut geht.

Foto: VICE Media

Genau darum sind Organisationen wie die Bettellobby und die Gruft so wichtig. Die Gruft ist eine Obdachloseneinrichtung, in der die Obdachlosen essen, schlafen und duschen können. In diesem Winter ist die Caritas auch am neuen Wiener Hauptbahnhof im Einsatz, um Obdachlose mit warmen Schlafsäcken und warmer Kleidung erstzuversorgen und sie über Optionen wie die Gruft zu informieren. Und die in der kalten Jahreszeit wahrscheinlich wichtigste Einrichtung der Caritas: das Kältetelefon. Wenn ihr irgendwo in Wien einen Obdachlosen Nachts auf der Straße schlafen seht, zieht eure warmen Handschuhe kurz aus und ruft gefälligst bei 01/480 45 53 an.

Verena auf Twitter: @verenabgnr