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Drogen

So stärkt MDMA den Familienzusammenhalt

Du willst mit deinen Verwandten ins Reine kommen? Ein Beziehungscoach hat uns erklärt, welche Schlüsselrolle MDMA bei diesem Vorhaben einnehmen könnte.
Bild von Annie Lalla

Annie Lalla (Foto: bereitgestellt vom Autor Roc Morin) Die letzte Horizons Psychedelic Conference fand in einer New Yorker Kirche voller buntem Fensterglas, hohen Säulen und Marmorengeln statt. Der Ort und die Stimmung harmonierten perfekt und schufen eine großartige Bühne für eine Reihe von renommierten Psychedelika-Forschern aus der ganzen Welt, die über drogeninduzierte und geheimnisvolle Bewusstseinszustände referierten, welche man oft mit dem Göttlichen in Verbindung bringt.

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Die Forschungen der meisten Redner wurden erst durch Sondergenehmigungen der Regierung möglich gemacht, die die strengen Drogengesetze in Ausnahmefällen außer Kraft setzten. Beziehungscoach Annie Lalla besaß keine solche Genehmigung.

Lalla hatte vom Erfolg der MDMA-Psychotherapie gelesen und beschlossen, das Ganze selbst auszuprobieren. MDMA verursacht beim Konsumenten ein euphorisches und emphatisches Gefühl, gepaart mit verminderter Abwehrhaltung. Unter dem Einfluss von MDMA ist man im Allgemeinen mehr dazu bereit, Beziehungen aufzubauen. In anderen Worten: Du magst wirklich jeden Menschen—deswegen ist die Droge auch so beliebt.

Studien belegen, dass drogenunterstützte Therapiesitzungen selbst Jahre später noch hilfreich für die Patienten sein können. „MDMA liefert eine Vorlage, wie man sich mit Gefühlen auseinandersetzen kann", erklärte mir der Wissenschaftler Dr. Michael Mithoefer am Telefon. „Selbst nach dem Abklingen der Mittel kann man noch darauf zurückgreifen."

Lalla erkannte das Potenzial der Droge, ihr bei persönlichen und verwandtschaftlichen Problemen zu helfen. Sie testete MDMA zuerst selbst und setzte es sich anschließend zum Ziel, ihre Eltern und ihre Geschwister von einer MDMA-gestützten Familientherapie zu überzeugen. „Die Liebe, die man füreinander empfindet, manifestiert sich permanent in deinem Herzen", erzählte sie mir. „Daraus kann man dann bis ans Lebensende schöpfen."

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Ich habe mich mit Lalla hingesetzt und darüber geredet, was ihr die Erfahrungen mit MDMA über das Aufbauen von besseren Beziehungen beigebracht haben.

VICE: Kannst du mir kurz deine Arbeit als Coach beschreiben?
Annie Lalla: Ich arbeite mit einzelnen Kunden und mit Pärchen zusammen. Die Pärchen haben oft unter immer wiederkehrenden Streitigkeiten und den gleichen Konflikten zu leiden. Sie wissen nicht, wie sie den Machtkampf hinter sich lassen können. Genau das ist mein Steckenpferd. Ich schätze, dass 90 Prozent aller Pärchen am Machtkampf scheitern.

Wie gehst du dieses Problem an?
Wenn ich mich zum Beispiel mit meinem Mann streite, dann erstellen wir eine Analyse unseres Konflikts. Wir holen dann unseren Laptop und sagen: „Alles klar, mich stört das hier und du bist deswegen sauer. Welche Rolle spielen dabei Sex, die Kinderfrage und Geld?" Wir schauen immer, auf welcher Konfliktstufe wir uns gerade befinden. Ich glaube, dass sich Menschen über die gleichen Dinge auch auf die gleiche Art und Weise streiten. Es gibt immer wiederkehrende Muster, nach denen ich Ausschau halte und dann nutze, um meinen Kunden zu helfen.

Was machst du, wenn du dann die Ursache des Streits findest?
Mir ist klar geworden, dass sich alles im Grunde auf die Aussage „Oh, du spürst eine gewisse Unsicherheit" herunterbrechen lässt. Egal, ob sie sich nun anschreien oder in Tränen ausbrechen, wenn ich einen sogenannten ‚Power Move' spüre, dann denke ich mir: „Du hast Angst." Deswegen versuche ich, mein Nervensystem so zu kontrollieren, dass es sich meinem Sicherheitsgefühl annimmt. Dann mache ich mir Gedanken darüber, wie ich dem Pärchen dieses Gefühl von Sicherheit zurückgeben kann.

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Mit MDMA kannst du die Dinge ganz differenziert aus der Sichtweise deines Gegenübers betrachten.

Haben deine Erfahrungen mit MDMA irgendetwas an der Art verändert, wie du mit Konflikten umgehst?
Ja, auf jeden Fall. MDMA wirkt egolytisch [ego-aufspaltend] und der Machtkampf findet zwischen zwei Egos statt. Je mehr sich diese zwei Egos getrennt fühlen, desto polarisierter ist der Machtkampf. Mit MDMA kannst du die Dinge ganz differenziert aus der Sichtweise deines Gegenübers betrachten.

Wie macht man sich diese Sichtweise zu Nutzen?
Man bricht zwar von außen in ein Haus ein, aber das Ganze ist viel einfacher, wenn man sich zuerst ein Bild vom Inneren macht. So kann man eine Karte anfertigen, die man dann beim Infiltrieren verwendet.

Bist du durch MDMA noch zu weiteren Erkenntnissen gekommen?
Wenn man metaphysisch gesehen noch weiter geht, dann gibt es meiner Meinung nach noch eine weitere Stufe, die in total intensiven psychedelischen Zuständen vorkommt: Eine Gemeinschaft, die über das getrennte Ich hinausgeht. Dein Dasein und mein Dasein sind dann nicht mehr länger separat. Wir werden eins. So etwas ist wohl in tiefgehenden mystischen Zuständen möglich, die aber oftmals gar nicht erreicht werden.

Meiner Meinung nach ist unsere Persönlichkeit eine Reihe an Verteidigungsmechanismen gegen unsichere Umstände aus unserer Kindheit.

Schaffst du es, mit diesen Einsichten Beziehungen zu stärken?
Wenn ich privat MDMA konsumiere—also jetzt nicht zusammen mit meiner Familie, sondern bei meinen Liebesbeziehungen—, dann spüre ich, wo sich eine Mauer zwischen meinem Partner und mir befindet. Anschließend wird mir klar, dass diese Mauer überflüssig ist, weil das Ego, das sie aufgebaut hat, sie nicht weiter benötigt. Die Mauer ist nur eine Art Verteidigung. Wenn das Ego offener wird, braucht es weniger Verteidigung.

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Gegen was verteidigt sich das Ego?
Meiner Meinung nach ist unsere Persönlichkeit eine Reihe an Verteidigungsmechanismen gegen unsichere Umstände aus unserer Kindheit. Wir entwickeln ein Ich, in dem wir uns sicher fühlen—das wird dann unser Charakter. Irgendwie bin ich dafür auch dankbar. Ich vergleiche das immer mit einem Bonsai, der ja auch etwas Wunderschönes ist. Der Baum ist zwar unterentwickelt, aber auf eine künstlerische Art und Weise. Ich glaube, dass dich deine Lebensumstände zu genau dem formen, was du jetzt bist.

Im Laufe der letzten fünf Jahre wurde er immer weniger tyrannisch.

An welchen Problemen hast du mit deiner Familie gearbeitet?
Als wir mit dem Ganzen anfingen, gab es noch einen ganzen Haufen Probleme. Meine Mutter hatte nur wenig zu sagen, mein Vater war unterschwellig sehr tyrannisch. Das war etwas, das ich bei den MDMA-Sitzungen auf jeden Fall ansprechen wollte, also die Art, mit der er unwissentlich diese Ungerechtigkeit immer weiter vorantrieb. Er wurde sich bewusst, dass dieses Verhalten eigentlich nicht seinem Wesen entsprach. Er war nie dieser typische indische Patriarch. Er verbat mir und meinen Schwester, kochen zu lernen oder zu putzen, weil er nie wollte, dass wir als Hausfrauen enden. Seiner Meinung nach sollten Frauen Macht besitzen.

Wie hast du ihn dazu gebracht, die Folgen seines Handelns zu erkennen?
Ich erinnere mich noch daran, als wir uns zusammensetzten und Momente beschrieben, in denen er auf eine Art und Weise mit uns agierte, durch die wir uns ihm untergeordnet fühlten. Weil er vor dem Anhören dieser Geschichten MDMA konsumiert hatte, war sein Ego dazu fähig, das Ganze nicht als Angriff, sondern als Betrachtungen seines Verhaltens anzusehen, das nicht mit seinem Wunsch-Ich vereinbar war. Wir ließen ihn sogar Vorsätze aufschreiben, an die er sich erinnern sollte—quasi Notizen darüber, wie er sich als Ehemann und Vater verhalten will. Das schrieb alles er selbst, man konnte also schon erwarten, dass er sich die Offenbarungen zu Herzen nehmen würde. Im Laufe der letzten fünf Jahre wurde er immer weniger tyrannisch.

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So wie du es beschreibst, gibts es zwei Persönlichkeiten, nämlich die nüchterne und die vom MDMA beeinflusste. Worin besteht der Unterschied?
Die nüchterne Persönlichkeit verteidigt sich mehr, bei der MDMA-Persönlichkeit kommt das wahre Selbst zum Vorschein.

Auf MDMA traf ich einen für mich fremden Menschen und die Verbindung und die Übereinstimmung, die sofort herrschten, waren so intensiv, wie ich es vorher bei einem ersten Treffen noch nie erlebt hatte.

Wie hat es sich angefühlt, als du zum ersten Mal MDMA genommen hast?
Ich fühlte mich, als wäre ich endlich angekommen. Mein ganzes Leben war ich schon auf der Suche nach zwischenmenschlichen Interaktionen, die genau so aussehen. Immer wenn ich jemanden zum ersten Mal getroffen habe, wollte ich, dass sich das Gespräch so intensiv wie nur möglich gestaltet.

Wie genau sah das dann aus?
Manchmal habe ich gewisse Grenzen überschritten oder richtig intime Fragen gestellt, die ziemlich unangebracht waren. Ich wollte einfach nur die ganzen Feinheiten, Gefühle und Gedanken hinter den Aussagen verstehen.

Hast du dann auch Dinge von dir preisgegeben?
Als ich noch jünger war, lief das Ganze eher nur in eine Richtung ab. In der Schule wurde mir diese Tatsache bewusst und dazu noch, dass sich jeder Mitmensch in meiner Gegenwart irgendwie transparent fühlte, aber niemand etwas von mir wusste. Das war ein Abwehrmechanismus von mir. MDMA hat mir gezeigt, dass Intimität ein Ort ist, den man zusammen betritt und dort dann nackt ist. Das fand ich viel besser als mein bis dahin angewandtes Vorgehen. Auf MDMA traf ich einen für mich fremden Menschen und die Verbindung und die Übereinstimmung, die sofort herrschten, waren so intensiv, wie ich es vorher bei einem erstmaligen Treffen noch nie erlebt hatte.

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Kriegst du dieses Gefühl auch ohne MDMA hin?
Durch meine Forschungen habe ich gelernt, dass MDMA für mein Handeln nicht verantwortlich ist, sondern es nur unterstützt. Unter dem Einfluss der Droge mache ich nichts, zu was ich nicht auch so fähig wäre. Ich werde mir nur meiner Fähigkeiten bewusst.

Warum hast du dich bei der Familientherapie für MDMA und nicht zum Beispiel für LSD oder Pilze entschieden?
Bei MDMA ist die Chance eines schlechten Trips am geringsten. Dazu kommt, dass es dazu die meisten Forschungen zur therapeutischen Nützlichkeit gibt.

Gab es bei deinen Familienmitgliedern Bedenken bezüglich des MDMA-Konsums? Wie hast du sie überzeugen können?
Meine Mutter fürchtete, dass es illegal sei und süchtig mache. Sie hat keine Ahnung von Drogen und hat MDMA mit Dingen wie Crack, Kokain oder Heroin in einen Topf geworfen. Also musste ich ihr den Unterschied erklären—zwischen süchtig und nicht süchtig machenden Substanzen und so weiter. Ich konnte sie sogar davon überzeugen, dass Alkohol eigentlich viel gefährlicher ist und viel schlimmere Nebenwirkungen und ein höheres Suchtpotenzial mit sich bringt. Zu der Angst, etwas Illegales zu tun, sagte ich nur Folgendes: „Ja, es ist verboten. Aber weißt du auch warum? Weil es den Status-Quo-Mächten dieser Welt nicht in dem Kram passt."

Meine Schwester glaubte, dass sie verrückt werden und körperliche Schäden davontragen würde. Ich zeigte ihr dann, wie die Biochemie dahinter funktioniert. Wir nahmen dann 5-HTP und Serotonin-Vorläufer. Wir haben alle nötigen Schritte unternommen, um eine Neurotoxizität zu vermeiden.

Welches Ziel hast du dir mit deiner ganzen Arbeit gesteckt?
Ich will, dass ich mich zusammen mit meinen Mitmenschen so lebendig wie nur möglich fühle. Meiner Meinung nach ist jedes Gefühl eine Botschaft aus dem Unterbewusstsein, mit der eine wichtige Erkenntnis übertragen werden soll. Jede nicht gefühlte Emotion wird zu einem Trauma, einer Sucht oder einer Neurose. Ich versuche, meiner Familie, meinen Freunden und der ganzen Welt beizubringen, wie man an einem breiterem Spektrum von emotionalen Erfahrungen festhält. Um das zu bewerkstelligen, muss ich das Ganze selbst üben. Das Ausmaß, mit dem du deine Gefühle erlebst, ist auch das Ausmaß, mit dem du dich weiterentwickelst und selbst verwirklichst.