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Festivals

Tindern am Frequency

„Wenn du eine Kartoffel wärst, wärst du eine gute Kartoffel."

Foto von Christopher Glanzl

Wir haben alle schon einmal den ein oder anderen Mann im Internet kennengelernt, der nicht der absolute Schrecken war—oder zumindest haben wir uns das alle für kurze Zeit eingeredet. Geheiratet haben wir sie dann doch nicht, weil irgendwas stimmt ja immer nicht und man könnte fast glauben, dass mit denen, die man auf Tinder, Grindr und Co. kennenlernt, noch öfter irgendetwas nicht ganz stimmt.

Trotzdem macht es Spaß, mit fremden Menschen zu schreiben, warum auch immer. Deswegen haben wir am FM4 Frequency eine kleine nichtrepräsentative Studie mit unseren eigenen Tinder- und Grindr-Accounts (je nach Geschlecht und Ausrichtung) durchgeführt, um das Online-Dating-Verhalten der Festivalbesucher zu verstehen. Durchschaut haben wir das Paarungsverhalten des dauerdichten Partyvolkes zwar nicht so ganz, aber zumindest haben wir ziemlich viele lustige Nachrichten bekommen.

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Verena ist froh, dass sie von einem 19-jährigen Frequency-Besucher für eine „Guade Oide" befunden wurde.

Das Alter der Matches mussten wir dabei drastisch nach unten verschieben, weil wir zirka 10 Jahre älter als der durchschnittliche Frequency-Besucher sind. Das hat aber unsere Matches nicht gestört. Im Gegensatz zu Wien haben wir alle Menschen gematcht, die uns vorgeschlagen wurden, also kann man kaum Vergleiche zum herkömmlichen Tindern im Alltag ziehen. Aber wir wollten schließlich auch nicht nach unserem Geschmack vorgehen und Leute aufreißen, sondern haben alles nur für Wissenschaft gemacht.

Hier findest du alle unsere Artikel über das Frequency 2015.

Wenn man einfach jeden matcht, erlebt man nicht nur einen ziemlich absurden und auf jede Weise falschen Ego-Push, sondern findet auch sehr schnell sehr viele Leute, mit denen man sich gut über Schmusen und Tiernamen unterhalten kann.

Bei vielen reicht der Mut nicht für mehr als „Hy", „Hallo :D" oder „Hai, wie gehts?", aber unoriginelle erste Worte und dafür sehr originelle Schreibweisen von „Hi" sind wir sehr aus Wien und unseren Teenagerjahren ohnehin gewohnt. Sie sind der Zuckerguss auf unserer Juhu-ich-bin-immer-noch-jugendlich-Torte.

Screenshots VICE Media

Die Hemmungen fallen übrigens sehr schnell, wenn man an niemandem tatsächlich interessiert ist. Endlich kann man sein, wer man möchte und sich darüber hinaus auch Sexdates auf Brücken oder an Pizzaständen ausmachen und sie nicht einhalten. Oder man lässt sich Fotos von alten Penissen schicken, die man lieber nicht gesehen hätte.

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Ein weiterer großer Unterschied zum Tindern abseits von Pulled-Pork-Burger-Ständen und Festival-Klos ist, dass man davon ausgehen kann, dass am Frequency jeder, mit dem man gerade schreibt, mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit relativ betrunken ist. Und das ist in jeder Hinsicht eine gute Sache, weil es auch bedeutet, dass das die Menschen sehr viel leichter verzeihen lässt. Man kann ruhig auch mal jemanden fragen, wie klein sein Penis ist oder ihm schreiben, dass man gerade auf dem Klo ist und er möchte trotzdem (oder vielleicht auch deswegen?) noch vorbeischauen.

Screenshots VICE Media

Die niederen Instinkte sind am Frequency wie erwartet noch sehr viel ausgeprägter als anderenorts, was nicht zuletzt auch Grindr bewiesen hat. Dort hat man zwar bedeutend weniger zu tun als auf Hetero-Tinder, Spaß macht es aber trotzdem genau so viel. „Sportdaddy45" hat ungefähr so ausgesehen, wie sein Username klingt. Entweder er hat einfach nah am Gelände gewohnt, oder er war Security.

Jedenfalls hat es nicht lange gedauert, bis die Schwanzfotos aus seiner Richtung nur so angeflogen kamen, ausgeschmückt mit ein paar Grauslichkeiten, die wahrscheinlich verführerisch wirken sollten, aber doch mehr wie eine Art Drohung rübergekommen sind.

Screenshot VICE Media

Angesaugt wurde jedenfalls niemand. Ansonsten gab es neben der tl;dr-Anrede „Wm wg" (ja, das gibt es offenbar und es steht für „Was machst wie geht's") auch schöne Grindr-Momente. Wie zum Beispiel den Typen, der irgendwas mit „S Club 7" im Namen und ein Foto vom S Club 7-Logo hochgeladen hatte—und sich auf eine beängstigend ausführliche Diskussion über den besten Song von S Club 7 einließ.

Alles in allem ist Online-Dating auf Festivals genauso wie abseits davon weniger wie ein echtes Partnerportal und mehr wie ein Spiel, das es auszuspielen gilt. Oder ein Tamagotchi, das ständige Aufmerksamkeit braucht. Es ist ein Weg, sich die Zeit zu vertreiben, seinen Score aufzubessern und sich upzuleveln. Der große Unterschied dazu, wie man Tinder/Grindr das restliche Jahr über nutzt, besteht wahrscheinlich hauptsächlich im Level-Design, das am Frequency deutlich … naja, „dreckiger" ist.

Schaut man aber ein paar Minuten nicht aufs Handy oder—noch viel schlimmer!—geht sogar schlafen und ignoriert das Handy für ein paar Stunden, sind so viele Nachrichten gekommen, dass man eigentlich gar nicht mehr weiterspielen möchte.

Nachdem Verena und Hanna innerhalb von drei Tagen also jeweils zirka 200 Matches gesammelt haben, haben beide Tinder (zumindest vorübergehend) gelöscht. Franz ist immer noch happy auf Grindr, will sich aber nach wie vor nicht von alten Securitys absaugen lassen.

Verena: @verenabgnr, Franz: @FranzLicht und_ _Hanna: @hhumorlos sind auch auf Twitter und wissen, wie man „Bukkake" schreibt.