Lügen richtig gemacht – Profi-Tipps von einem Undercover-Polizisten, einem Sprayer und einer Domina
Bild: Lia Kantrowitz

FYI.

This story is over 5 years old.

Stuff

Lügen richtig gemacht – Profi-Tipps von einem Undercover-Polizisten, einem Sprayer und einer Domina

Um einen Einblick in die Welt der Täuschung zu erhalten, haben wir mit Leuten gesprochen, für die Lügen zum Alltag gehören.

Dein Chef hat dir nicht geglaubt, als du wegen eines "Haustiernotfalls" zu spät zur Arbeit gekommen bist. Deine Eltern waren misstrauisch, als du angeblich keine Ahnung hattest, woher die Kratzer im Autolack kommen. Und deine Freunde wissen genau, dass du lügst, wenn dich "die Arbeit" mal wieder ein Konzert ihrer Band verpassen lässt.

Vielleicht bist du einfach nur ein schlechter Lügner. OK, im Grunde gibt es so etwas wie einen guten Lügner gar nicht. Kompetente aber definitiv. Und in manchen Momenten kann eine Lüge—oder zumindest die Halbwahrheit—eine Menge Leid ersparen. Zum Beispiel wenn eine Domina ihre Arbeit vor ihrer Familie geheimhält. Und manchmal kann eine Lüge auch dem Wohl der Allgemeinheit dienen. Ein Undercover-Polizist nimmt beispielsweise eine falsche Identität an, um pädophile Sexualverbrecher zu schnappen. Mal ganz abgesehen vom moralischen Aspekt des Lügens flunkert doch so ziemlich jeder Mensch irgendwann mal. Manche sind in der Kunst der Täuschung halt einfach nur viel erfahrener als andere.

Anzeige

Um zu lernen, wie man richtig lügt, haben wir mit einer Domina, einem Graffiti-Sprayer und einem Undercover-Polizisten gesprochen. Folgendes haben sie uns erzählt.

Domina

Erzählerin: "Paige", Interview: Zach Sokol

Oftmals habe ich gar keine richtige Lust auf meine Arbeit. Deshalb gehört das Lügen irgendwie einfach dazu, denn ich muss ja so tun, als würde ich das Ganze für meine Kunden tun. Natürlich hängt da aber noch viel mehr dran. Ich muss meinen Beruf häufig verbergen. Meine Großeltern sind zum Beispiel total konservativ und deswegen sage ich ihnen immer, dass ich Yoga-Lehrerin bin. Im Normalfall gebe ich vor anderen Leuten auch vor, dass meine Domina-Tätigkeit keinen sexuellen "Rundum-Service" beinhaltet. Die Wahrheit sieht jedoch anders aus. Aber wenn ich diese Wahrheit halt ein wenig verzerre, dann ist mein Gegenüber offener und verurteilt mich nicht so schnell.

Ich versuche jedoch, so gut wie möglich zu vermeiden, überhaupt erst lügen zu müssen. Wenn ich zum Beispiel einen Kunden in einem mir unbekannten Hotel treffe, dann mache ich mich vorher per Google mit besagtem Hotel vertraut, damit ich direkt zum Aufzug gehen kann, ohne mit irgendwelchen Angestellten reden zu müssen. Die werden nämlich sonst schnell misstrauisch. Meine Körpersprache muss einfach ausdrücken, dass ich weiß, wo ich hinmuss und dass ich ein Recht habe, mich dort aufzuhalten.

Falls allerdings doch mal etwas schiefgeht, muss ich immer eine Lüge parat haben und diese auch selbstbewusst vortragen können. Einmal hat mich eine Hotelangestellte angesprochen und gefragt, was ich denn dort machen würde. Da habe ich mich zu ihr gedreht und wie aus der Pistole geschossen gesagt, dass ich mit einem Geschäftspartner meines Vaters ficken wolle. Anschließend ging ich einfach weiter. Wenn man eine so gewagte Aussage mit viel Selbstbewusstsein vorbringt, dann kann der Gegenüber eigentlich nichts machen. Man darf einfach nie zögerlich wirken oder herumstottern. Einfach direkt in die Augen schauen und den Mund aufmachen.

Anzeige

Es ist wichtig zu wissen, wie man solche verschiedenen Persönlichkeiten und Auftritte zu seinem Vorteil einsetzen kann. Man muss sich immer an die jeweilige Situation anpassen können. Die Einstellung ist der Schlüssel. Ich habe zum Beispiel ganz oft vorm Spiegel geübt und mir so abgewöhnt, mit den Augen zu zucken oder meine Hände komisch zu bewegen.

Um ein guter Lügner zu werden, muss man außerdem an das glauben, was man da von sich gibt, und sich voll und ganz auf das eigentliche Ziel fokussieren. Sobald man auch nur einen Moment zögert oder auch nur einen Gedanken daran verschwendet, dass das Ganze nicht klappen könnte, bröckelt die Fassade.

Wenn man sich jedoch zu sehr an das Lügen gewöhnt, kann das ebenfalls zum Problem werden. Ich lüge ja aus praktischen Gründen. Wenn man das Ganze jedoch missbraucht, kann es sich zu einer richtigen Sucht entwickeln—ähnlich wie beim Alkohol.

Graffiti-Sprayer

Erzähler: DEK 2DX, Interview: Ray Mock

Um seine Identität als Graffiti-Sprayer geheim zu halten, brauche ich viele Tricks und Lügen. Ich muss zum Beispiel irgendwelche Termine vorgeben, früher von der Arbeit gehen, morgens zu spät kommen, eine Freundin erfinden, mithilfe des Handy-Alarms so tun, als würde mich irgendjemand anrufen, und so weiter. Ich bin jedoch stolz auf das, was ich mache. Es ist wichtig, wie eine Zwiebel zu sein und viele Schichten zu besitzen. Wenn man dann irgendwie doch mal auffliegt, muss man auf jeden Fall seine Rechte kennen und sich einen Plan zurechtgelegt haben. Die richtige Vorbereitung ist also essenziell. Genau da machen viele Leute Fehler.

Anzeige

Man hat mich schon oft beim Klauen erwischt. Ich konnte mich jedoch immer rausreden, indem ich auf total nett und einsichtig gemacht habe—so nach dem Motto: "Bitte, es tut mir wirklich leid. Ich lasse mich hier auch nie wieder blicken!" Ganz ehrlich, wenn einen irgendwelche Behörden zusammenstauchen, dann sitzt niemand einfach nur da und meint: "Ja, ich war's. Sperrt mich ein!" Man muss eben lernen, wann sich ein Kampf lohnt und wie man sich in einer solchen Situation unter Kontrolle hat—immerhin hat man sich ja selbst in diese Lage gebracht.

Bei der eigenen Familie und dem Freundeskreis ist das Ganze schon schwieriger. Da beißt man mit übertriebenen Geschichten und Lügen nämlich ganz schnell auf Granit. "Wo warst du? Warst du wieder mit deinen Kumpels unterwegs? Was hast du dort gemacht? Und was hat da so lange gedauert?" Manchmal musste ich dann auch schon mit der Wahrheit rausrücken—oder zumindest mit einem Teil der Wahrheit.

Selbstbewusste Menschen erzählen die besten Lügen, denn Selbstbewusstsein ist der Schlüssel dazu, ein guter Lügner zu werden. Augenkontakt und Körpersprache sind die Dinge, die man beherrschen muss, wenn man die Wahrheit überzeugend verdrehen will. Das Sprayen hilft mir persönlich dabei, mehr Selbstbewusstsein aufzubauen. Man ist dabei draußen unterwegs, legt viel Kreativität an den Tag, zieht sein Ding ordentlich durch und wacht dann morgens trotzdem im eigenen Bett auf und trinkt Kaffee. Dabei wird man automatisch ganz selbstbewusst.

Anzeige

Foto: bereitgestellt von Neil Woods

Undercover-Polizist

Erzähler: Neil Woods, Interview: Max Daly

Ich war 14 Jahre lang als Undercover-Polizist tätig und habe dabei vor allem Drogenkonsumenten und Gangster dingfest gemacht. Mein größter Einsatz dauerte sieben Monate und man schleuste mich dafür in eine Drogengang ein. Gangster sind dabei wesentlich härter zu belügen als kleine Drogenkonsumenten, denn sie sind sich der Taktiken von Undercover-Polizisten bewusst. Wenn man sich im organisierten Verbrechen auf ein bestimmtes Level hochgearbeitet hat, dann geht die einzige Gefahr eigentlich nur noch von Undercover-Polizisten aus. Und da diese Gangster zu extremen Mitteln greifen, um sich zu schützen, muss man als Undercover-Polizist wirklich höllisch aufpassen.

Um erfolgreich zu lügen, ist es essenziell, andere Menschen unglaublich gut beobachten zu können. Wenn ich nicht gerade undercover unterwegs war, habe ich mir selbst viel Wissen über das Lügen angeeignet. Sich über verräterische Hinweise im Klaren zu sein, kann einem bei der eigenen Täuschung anderer Menschen ungemein behilflich sein.

Beim Lügen gibt es oft einen zusätzlichen Gedankengang, denn man fragt sich, wie man die Lüge jetzt am besten rausbringt. Das kann einen aus der Bahn werfen oder dazu bringen zu übertreiben oder zu sehr zu zögern. Die eindeutigsten Hinweise auf eine Lüge sind zu schnelles Reden, zu viele Informationen, außergewöhnliche Handbewegungen oder unübliche Gesten wie etwa ein Blick auf den Boden. Ich achtete dann immer sehr darauf, das alles zu vermeiden und den eben erwähnten zusätzlichen Gedankengang zu umgehen. Wenn man zu viel über seine Lüge nachdenkt, wird der Druck zu groß und man verliert seine Ruhe. Und schon ist die Täuschung offensichtlich.

Anzeige

Wenn man sich als jemand ausgibt, der man eigentlich gar nicht ist, dann sind die ersten zwei Minuten entscheidend. In diesem Zeitfenster muss man mittels Einfühlungsvermögen eine Beziehung zum Gegenüber aufbauen und dabei betonen, wer der gemeinsame Feind und was die gemeinsame Angst ist. Und natürlich muss man auch genau wissen, wovon man da eigentlich redet. In meinem Fall war das alles, was mit Drogen zu tun hat—von der Herstellung bis hin zu den Preisen von großen Kokain- und Streckmittel-Mengen.

Ein paar Mal drohte meine Identität auch fast aufzufliegen. Mit solchen Situationen umgehen zu können, ist ebenfalls ein wichtiger Aspekt des Lügens. Irgendwann passiert sowas nämlich immer. Eine wirkliche Faustregel gibt es da jedoch nicht. Bei mir kam es einfach immer darauf an, wen ich angelogen habe. Man muss sich anpassen und seinen Gegenüber genau lesen können.

Wenn man durch seine Lügen am Leben bleibt, dann wird man automatisch zu einem guten Lügner. Intelligenz und ein gutes Gedächtnis spielen bei dieser Kunst ebenfalls eine wichtige Rolle. Es darf allerdings auch nicht den Anschein haben, als ob man sich an jedes kleinste Detail erinnern könnte. Nein, man braucht das gute Gedächtnis vor allem in Bezug auf die Selbstkenntnis. Man muss nämlich immer wissen, wie man in einer bestimmten Situation reagieren würde und was man bei seinem sozialen Umfeld alles beobachtet hat.

Auch beim Lügen gilt: Übung macht den Meister. Und je näher man an der Wahrheit bleibt, desto besser. Wenn eine Lüge im Kontext der ganzen Geschichte relativ klein erscheint, dann geht sie einem auch leichter über die Lippen.

Ein guter Lügner zu sein, kann jedoch auch schnell zur Sucht werden. Moralisch gesehen muss man sich dessen bewusst sein. Und Spaß machen kann das Ganze natürlich auch. Am Ende meiner Undercover-Karriere gefiel es mir sogar richtig gut, quasi ständig zu lügen. Mit einer Lüge durchzukommen, stellt manchmal schon eine schöne mentale Herausforderung dar.

Das Buch Good Cop, Bad War von Neil Woods in Zusammenarbeit mit JS Rafaeli erscheint am 18. August.