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Warum „Frau“ kein lustiges Faschingskostüm für Männer ist

Ein Kostüm ist immer auch eine Spiegelung dessen, wonach man sich sehnt.

Foto: Alexander Gerl | flickr | CC BY-SA 2.0

Es gibt diesen Madonna-Song aus dem Jahr 2000, der einen Film aus 1993 zitiert, der wiederum auf einem Roman aus 1978 basiert und 2016 immer noch nicht an Wichtigkeit verloren hat. „What It Feels Like for a Girl" eröffnet mit einem Sample aus „The Cement Garden" und ich bin ein kleines bisschen stolz darauf, dass ich das an dieser Stelle auswendig niederschreiben kann.

Girls can wear jeans and cut their hair short, wear shirts and boots, 'cause it's okay to be a boy. But for a boy to look like a girl is degrading, 'cause you think that being a girl is degrading. But secretly, you'd love to know what it's like, wouldn't you? What it feels like for a girl."

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Die Zeilen entstammen einer Szene, in der ein pubertierender Junge seinem kleinen Bruder verbieten möchte, Frauenkleider anzuziehen und daraufhin von seinen Schwestern zurechtgewiesen wird. Wenn ein Mädchen sich als Junge „verkleidet"—das hieß damals Kurzhaarfrisur und Stiefel—, dann wäre das eine Art Aufstieg, eine Verbesserung, so der Dialog im Buch von Ian McEwan. Als Junge hingegen wie eine Frau auszusehen wäre erniedrigend. Eine Frau zu sein wäre erniedrigend.

Im Fasching gibt es für Männer im Grunde genommen zwei Möglichkeiten: Entweder man entscheidet sich für ein aufwendiges, pseudo-originelles Outfit (Hutmacher oder Jack Sparrow) oder man wählt die einfachere Variante, die einen irgendwie lächerlich erscheinen lässt. Das zeugt von Selbstironie und -bewusstsein. Super Mario oder Borat sind da sehr beliebt. Oder eben Frau.

Diese Kostüme werden ja in erster Linie getragen, weil man sich in ihnen zum Affen macht und das im Fasching erlaubt, sogar gern gesehen ist. Man schlüpft in Rollenbilder, die im Alltag eher als demütigend oder peinlich empfunden werden würden. Ein gestandener Mann, der sich die Blöße gibt, in einem Kleid rumzulaufen—der kann über sich selbst lachen! Kaum ein Faschingsumzug, kaum eine Mitternachtseinlage geht vorbei, ohne ein paar Burschen in hohen Schuhen, Rock und Perücke, die tosende Lacher für ihren vermeintlich ulkigen Aufzug ernten. Und jedes Mal denke ich mir so—wo ist der Witz?

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Es ist kein idolisierendes Verkleiden, wie es etwa das einer Drag Queen—es ist belächelnd, es steht für eine Abwertung weiblicher Eigenschaften und verspottet diese, aber niemand scheint sich daran zu stören. Zumindest nicht, solange Fasching ist. Am wenigsten Frauen selbst—die meisten, mit denen ich über die Thematik spreche, tun es als Humor ab oder finden es cool, wenn ein Typ sich „nix scheißt" und in Frauenkleider schlüpft. Also, ja, warum und für wen überhaupt aufregen?

Foto: Mike Jentsch | flickr | CC BY 2.0

Das Problem liegt genau darin, dass wir allgemein davon ausgehen, es brauche Mut, sich als Mann weiblich zu kleiden, oder sich so zu verhalten. Dass wir glauben, es wäre ein schwaches, minderwertiges Erscheinungsbild, auf das sich ein Mann herablässt, wenn er ein Kleid trägt. Ganz abgesehen davon, dass damit im Grunde auch Transfrauen ins Lächerliche gezogen werden.

Sucht man als Mann online nach Verkleidungs-Ideen, lauten die Ergebnisse neben den üblichen Ideen auch: Krankenschwester, Nonne, Schneewittchen, Baywatch-Babe, Zimmermädchen, Tinkerbell oder Wiesn-Dirndl. Natürlich können sich Frauen auch als Männer herausputzen, nur werden ein aufgemalter Bart und zurückgegelte Haare eben nur für halb so viel Belustigung sorgen wie ein Mann im Glitzer-Tutu.

Viele Menschen nutzen die Möglichkeit, zu Fasching jemand anders zu sein, bis zu dem Punkt, wo man sogar für einen Tag das Geschlecht wechseln kann, ohne gleich geächtet zu werden, als weird zu gelten oder überhaupt nur Aufmerksamkeit (abseits von Applaus für den Gag) zu erregen. Sei es nur als Experiment oder aus Neugier, um sich in der eigenen Sexualität auszuprobieren und damit zu spielen. Fasching ist (unter anderem) ein Freifahrschein für Rollentausch, ein Feiertag für Crossdresser—weiblich oder männlich. Es muss nicht immer nur darum gehen, sich zum Clown zu machen, sondern kann auch neue Perspektiven einbringen.

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Hat auch für Diskussionen gesorgt: Im „Flüchtlings-Look" am Life Ball

Die eingesessene Vorstellung von Männern in Frauenkleidung als Lachnummer, und die Ablehnung dagegen im täglichen Leben, ist aber nur selten so progressiv gemeint. Für den Kabarettisten und bekennenden Faschings-Nichtliebhaber Helmuth Vavra gilt: „Wenn sich erwachsene Männer beim Villacher Fasching als Frauen verkleiden, dann fällt das für mich eher in die Kategorie peinlich." Das scheint die Mehrheit ähnlich zu sehen—nur amüsiert man sich dabei eben über eine vermeintliche „Peinlichkeit", die eigentlich keine sein sollte.

Mit echtem Mut oder Selbstbewusstsein, geschweige denn mit Verständnis, hat das recht wenig zu tun. Andererseits ist das zumindest konsequent: Laut Vavra hat nämlich auch der Fasching selbst, wie wir es kennen, nicht mehr mit dem „richtigen Faschingsnarrentum" von früher zu tun.

Man kann die Crossdressing-Kostüme aber auch anders verstehen. Ein bisschen so wie damals, als man den Kindergartenschwarm immer extra gepiesackt hat, um die eigene, peinliche Liebe zu verstecken, ist ein Kostüm ja immer auch eine Spiegelung dessen, wonach man sich sehnt. Weil diese Männer insgeheim eben doch wissen wollen, what it feels like for a girl.

Franz auf Twitter: @FranzLicht