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Popkultur

Wie eine Folge 'Buffy' die Diskussion um TV-Serien für immer verändert hat

In "Warrens Rache" ist eine versuchte Vergewaltigung zu sehen. Die Szene sorgte vor 15 Jahren für einen riesigen Aufschrei und auch heute reden Kulturwissenschaftler noch darüber.
Hannah Ewens
London, GB

Spike schleudert Buffy gegen die Badewanne und versucht anschließend, ihr den Bademantel vom Leib zu reißen. Zwar wehrt sich die Vampirjägerin verzweifelt, aber ihr Peiniger ist zu stark. Er drückt sie auf den Boden und stößt ein "Ich werd' es dich fühlen lassen" aus. Erst im allerletzten Moment schafft es Buffy, die Vergewaltigung noch abzuwenden.

Als die Buffy-Episode "Warrens Rache" im Jahr 2002 zum ersten Mal ausgestrahlt wurde, begannen Fans auch gerade damit, im Internet über ihre Liebe zu der Serie zu diskutieren. Wegen dieser Szene wandten sich viele Zuschauer – vor allem Frauen und Opfer sexueller Gewalt – jedoch von Buffy ab. Sie waren verstört, weil die Produzenten versucht hatten, Schritt für Schritt zu zeigen, wie es zu einer Vergewaltigung kommt. Und weil die Szene so gar nicht zum eigentlichen Ton der Serie passte. Buffy sollte eigentlich die feministische Heldin sein, befand sich dann aber plötzlich in einer scheinbar ausweglosen Situation, in der das menschliche Böse nicht wie sonst nur metaphorisch dargestellt wurde.

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Und so erlangte die Folge vor 15 Jahren nicht nur zweifelhaften Ruhm unter den Buffy-Fans, sondern sorgte auch bei TV- und Popkultur-Interessierten für Aufsehen. Die Episode legte quasi fest, wie wir heute über das Fernsehen reden.

"Für Medienwissenschaftler war Buffy die Geburt dessen, was wir heute als 'Qualitätsfernsehen' bezeichnen – also Serien, die gewisse Eigenschaften vorweisen und über die wir als qualitativ hochwertige Inhalte diskutieren können", erklärt die Buffy-Expertin Lorna Jowett. "Durch die Serie haben wir gelernt, über Fernsehen als Kunstform zu sprechen." Die Debatte ist vielseitig: "Wir sind uns ja immer noch nicht einig, ob Buffy feministisch ist oder nicht."

Der geschichtliche Kontext sei auch bei TV-Serien entscheidend. "Solche Szenen werden in meinen Vorlesungen hitzig debattiert. Fernsehen ist eben ein Nischenprodukt, das sich immer weiterentwickelt", sagt Jowett.

"Der Dreh der Szene war der schlimmste Tag meines beruflichen und meines persönlichen Lebens" – James Marsters, Spike

Die Szene verursacht heute noch genauso viel Unbehagen wie damals. Buffy-Fans pochen deshalb darauf, dass die Episode nicht in den Kanon der Serie passt. Oder sie ignorieren sie gleich komplett. Spike wurde von Serienschöpfer Joss Whedon und Darsteller James Marsters als dreidimensionale Figur aufgebaut. Er ist eine der beliebtesten Figuren, ein blutsaugendes Sexsymbol mit Herz. Deswegen empfinden viele Fans die Vergewaltigungsszene als besonders schockierend, emotional aufwühlend und absolut unverantwortlich.

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Andere Buffy-Kenner sind wiederum der Meinung, dass man die Szene im Kontext des Handlungsbogens rechtfertigen kann. Vor dem sexuellen Übergriff haben Buffy und Spike eine heimliche Affäre, für die sich die Vampirjägerin schämt. Bei Spike wird sofort klar, dass er für die Frau, die er liebt, alles tun würde. Und dass er anfällig ist für obsessive Rachegefühle. In der Vorgeschichte zu der Szene wird Spike von Buffy verschmäht. Er schläft daraufhin mit einer ihrer Freundinnen, Buffy ist von seinem Verhalten verständlicherweise total angewidert.

Bei einem modernen Publikum hätte sich Spike nach einem solchen Zwischenfall jegliche Sympathien verspielt. Bei Buffy war das nicht der Fall. Whedon schrieb eine spätere Szene nämlich so um, dass dem eigentlich erzürnten Zuschauern noch mal eine Tatsache deutlich gemacht wurde: Vor der versuchten Vergewaltigung hat Buffy Spike nur als Sexpartner ausgenutzt. Die siebte Staffel war dann ein Vergnügen für alle Fans, die heimlich auf ein Happy End hofften. Spike kämpft darin nämlich um Buffys Liebe und in den finalen Momenten der Serie werden seine Mühen auch belohnt. Die Zuschauer konnten ihren Frieden mit dem Charakter schließen und alles schien vergeben und vergessen.

Nicht so aber für James Marsters, Spikes Darsteller: "Der Dreh der Szene war der schlimmste Tag meines beruflichen und meines persönlichen Lebens."

"Ich weiß noch, wie ich zum Autoren der Szene meinte, dass die Drehbuchschreiber gar nicht wüssten, was sie uns da antun. Sie schreiben solche Sachen einfach runter, aber wir müssen dann damit leben", erzählt er. Durch ein Schleudertrauma bei einer alten Judo-Verletzung verspürt der Schauspieler starke Schmerzen, wenn er zu sehr verkrampft. "Während der ersten Aufnahme öffnete ich als Spike die Tür und trat ins Badezimmer. Ich brachte eineinhalb Sätze raus und verspürte plötzlich ein Knacken. Wie eine Marionette, bei der man die Fäden durchschneidet, brach ich zusammen."

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"Vielleicht haben wir das Publikum zu sehr traumatisiert. Inzwischen lehne ich Rollen mit Vergewaltigungsszenen immer ab" – James Marsters, Spike

"Wegen der Szene musste ich in Therapie, was mir rückblickend sehr gut getan hat", gibt Marsters zu. Man kann auch schon während der versuchten Vergewaltigung sehen, wie sich der Schauspieler als Mensch – und nicht als Serienfigur – sträubt und zögert.

Marsters weiß genau, warum die Szene für so viel Entrüstung sorgte: "Eine Fernsehserie kann die Zuschauer total in ihren Bann ziehen. Man versetzt sich in die Rolle des Protagonisten oder der Protagonistin. Wer Buffy anschaut, ist Buffy."

Die Szene sei nie leicht verdaulich, egal ob nun mit oder ohne Kontext, sagt Lorna. Man müsse als Zuschauer jedoch eine emotionale Beziehung zu den Figuren aufgebaut haben, um es wirklich zu spüren.

"Wir behielten den Kurs bei, den die Autoren schon die ganze Zeit eingeschlagen hatten. Meiner Meinung nach war das ein lohnenswertes Risiko", erinnert sich Marsters. "Vielleicht haben wir das Publikum zu sehr traumatisiert. Inzwischen lehne ich Rollen mit Vergewaltigungsszenen immer ab. Ich will so etwas nicht noch einmal erleben."

Viele Buffy-Fans sehen die Szene bis heute als den größten Fehltritt der Serie an. Aber er ist definitiv in die TV-Geschichte eingegangen. Wenn es um Aufnahmen geht, die wirklich etwas verändert haben, dann gibt es auch für Kulturwissenschaftler, Feministinnen und Popkultur-Experten nur wenige umstrittenere Beispiele.

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