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Queere Menschen erzählen, wie sie von ihren Familien diskriminiert wurden

"Damals wusste ich nicht, wie ich mit meiner Sexualität umgehen sollte. Ich wollte nicht schwul sein und fühlte mich minderwertig und falsch."
Eine Frau mit lockigem braunen Haar und ein blonder Mann blicken in die Kamera
Ploy und Christian hatten es beide nicht leicht mit ihren Familien | Foto: Bernardo Martins

Eltern haben eine Aufgabe: ihre Kinder zu lieben, sie so zu akzeptieren, wie sie sind. Dennoch gibt es Eltern, Geschwister und Angehörige, die nicht akzeptieren wollen, dass jemand aus ihrer Familie trans*, schwul, lesbisch, bisexuell oder queer ist. In Betroffenen kommen dadurch Zweifel auf: Bin ich liebenswert? Wer muss ich sein, um akzeptiert zu werden? Wieso bin ich so?

Wir haben queere Menschen gefragt, wieso Familienmitglieder sie verstoßen haben und wie sie damit umgegangen sind. Verwandte kann man sich zwar nicht aussuchen, Liebe hat aber jeder verdient.

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Sandro, 26

Sandro

Foto: Privat

"In meiner Jugend hatte ich Probleme mit meinem Vater. Er weiß bis heute nicht, dass ich transsexuell bin. Auf der einen Seite wurde ich ganz 'normal' aufgezogen und meine Mutter ist aufgeschlossen gegenüber meiner sexuellen Identität. Mein Vater hingegen ist zum muslimischen Glauben konvertiert, als ich noch ein Kind war, und war dadurch in meiner Jugend sehr streng.

Schon als ich noch nicht zu meiner Transsexualität stand, fand mein Vater es sehr schlimm, wenn ich weite Hosen getragen habe. Ich war schon immer sehr maskulin und wusste anfangs nicht, wieso. Transsexualität kannte ich als Kind gar nicht.

Mein Vater hat immer versucht mir zu zeigen, dass lesbisch oder schwul zu sein verboten ist. Es ist verboten, auf das eigene Geschlecht zu stehen, genauso wie Sex vor der Ehe zu haben. Nach der Trennung meiner Eltern habe ich ihn nur noch einmal die Woche gesehen. Ich hatte sehr viel Angst, zu mir selbst zu stehen. Das lag an seiner strengen Erziehung. Als Teenager bekam ich Depressionen und hatte lange damit zu kämpfen.

Mit der Zeit habe ich mich weiter und weiter von meinem Vater entfernt. Ich habe versucht, mich zu verstellen, nicht ich selbst zu sein. Ich dachte, ich sei verrückt. Bis ich mich geoutet und mir meine Transsexualität eingestanden habe, hat es noch gedauert, bis ich etwa 20 war. Ich hatte endlich einen Namen für meine Identität und die Kraft, sie mir einzugestehen.

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Heute ist es mir wichtig, bedingungslos zu mir selbst zu stehen. Ich habe keinen Kontakt zu meinem Vater. Das ist besser so. Ich habe immer noch sehr viel Angst, ihn zu treffen, oder dass er vor der Tür steht. Ich weiß nicht, wie er reagieren würde – aber ich denke, dass es sehr negativ wäre.

Meine Mum hat sehr gut auf mein Coming-out reagiert. Sie stand immer zu mir. So wie meine Freunde. Immerhin hatte ich zwei Coming-outs: erst als trans* und dann als schwul. Mir war es aber immer wichtig, zu mir selbst zu stehen. Bedingungslos. Auch wenn es schwer wird und es Hürden zu überwinden gibt – es lohnt sich. Außerdem gibt es Vereine, die einem helfen können. Oder Psychologen."

Ploy, 36

Polly

Ploy | Foto: Bernardo Martins

"Meine Patentante war meine Erziehungsberechtigte und Adoptivmutter. Sie hat mich mit 18 adoptiert. Weil ich Angst vor Zurückweisungen hatte, habe ich mich ihr gegenüber nie geoutet und nur gesagt, ich sei bisexuell.

Mit 20 hatte ich dann meine erste Freundin. Sie ist Italienerin und streng katholisch erzogen worden. Wir mussten uns auch vor ihrer Familie verstecken, waren immer nur 'beste Freundinnen'. Wir lebten in verschiedenen Städten. Eines Mittags waren wir am Bahnhof, warteten auf ihren Zug und knutschten in meinem Auto rum. Eine ältere Frau, die meine Patentante kannte, sah uns und erzählte es meiner Tante.

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Meine Patentante rief mich eine Woche danach an und beschimpfte mich. Das Gespräch habe ich nicht mehr richtig in Erinnerung, weil ich betrunken war und weil ich viel verdrängt habe. Das Gespräch war schlimm. Sie konnte nicht damit umgehen, dass ich auf Frauen stehe.

Wir haben uns sehr viel gestritten. Sie hat meine Freundin regelrecht gehasst. Wir sind einmal auf der Couch eingeschlafen, meine Patentante kam rein und schrie: 'Das ist ja ekelhaft!' Vor der Familie durfte ich nicht die Hand meiner Freundin halten. Meine Gode (Anm. d. Red.: Hessisch für "Tante") wollte immer, dass ich meinen besten Freund date. Ich habe mich allein und zurückgewiesen gefühlt.

Infolgedessen habe ich mich immer mehr zurückgezogen und hatte Angst, meine Freundin in der Öffentlichkeit zu küssen. Noch heute achte ich auf die Blicke der Leute und habe das Gefühl, dass ich negative Kommentare anziehe. Als ich meine Ex-Verlobte einmal auf der Straße geküsst habe, sagte jemand, dass das eklig sei. Wie meine Tante. In Restaurants, wo vielleicht ältere Leute sind, versuche ich, so diskret wie möglich zu sein und nicht aufzufallen.

Ich glaube, für meine Patentante war es weniger ein Problem, dass ich auf Frauen stehe, sondern was andere Leute dachten. Erst als sie meine fünfte Freundin besser kennenlernte, kamen wir wieder besser miteinander klar. Sie sah, dass es um den Menschen geht. Ich glaube, man muss sich selbst und der Familie Zeit geben, sich an die Situation zu gewöhnen. Mittlerweile ist sie verstorben."

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Christian, 30

Christian

Christian | Foto: Bernardo Martins

"Ich hatte Probleme mit meinem Vater. Er ist ostsozialisiert, war sehr lang und ranghoch bei der Armee, so wie schon sein Vater. In der DDR wurde offiziell nicht über Homosexualität gesprochen, bis 1968 war sie per Gesetz verboten. Als ich mich mit 16 als bisexuell geoutet habe, sagte er, dass das vorbeigehe. Er hat meine Sexualität wie eine Krankheit behandelt.

Irgendwann war mir klar, dass ich schwul bin. Als ich mich geoutet habe, hat er sich scheinbar in seinem Weltbild erschüttert gefühlt. Er hat mich wüst beschimpft und nach einem Streit rausgeschmissen. Ich bin dann erst mal zu einem Kumpel geflüchtet.

Es gab jahrelang keinen Kontakt, bis meine Mutter mich zu ihrem 50. Geburtstag einlud. Mein Vater sagte allerdings, ich solle meinen Freund zu Hause lassen, er wolle sich nicht in der Nachbarschaft blamieren. Ich habe mehrfach versucht, den Kontakt wieder aufzubauen. Das hat aber wegen der Ansichten meines Vaters nicht funktioniert.

Ich habe mich damals mit Alkohol betäubt. Abgelehnt zu werden, nur weil ich bin, wer ich bin, das war schwer auszuhalten. Ich habe mir meine sexuelle Identität nicht ausgesucht – so wie sich niemand seine Hautfarbe, seine Körpergröße oder sein Geschlecht aussucht. Dafür von seinem Vater abgelehnt zu werden und den Bruch mit der eigenen Familie zu erfahren, war unglaublich hart. Alkohol und Drogen haben das einfacher gemacht.

In dieser Lebenskrise habe ich sehr viel geweint. Und ich war das erste Mal bei einer Psychotherapeutin. Damals wusste ich nicht, wie ich mit meiner Sexualität umgehen sollte. Ich wollte nicht schwul sein und fühlte mich minderwertig und falsch. Mit meiner Therapeutin habe ich gelernt, dass meine Homosexualität OK ist und ich deswegen kein schlechter Mensch bin. Heute tausche ich mich außerdem mit anderen queeren Menschen aus, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Das hilft."

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Candy Crash, 32 (oder auch mal 27 oder 37 – sie nimmt es mit dem Alter nicht so genau)

Candy Crush

Foto: Privat

"Der Großteil meiner Familie ist total tolerant mit den Themen Drag und Homosexualität umgegangen. Sie wussten noch vor mir, dass ich schwul bin. Ich habe allerdings einen zehn Jahre jüngeren Bruder, der mit meiner sexuellen Identität nicht klarkommt.

Ich habe meinem Bruder vor zwei Jahren einen Artikel weitergeleitet, den Spiegel Online über mich als Dragqueen veröffentlicht hat. Ich war unglaublich stolz, dass eines der größten Magazine über mich und meine Kunst berichtet hat. Seine Reaktion darauf war nur: 'Wieso schickst du mir so eine Scheiße? Ich will mit diesem Tunten-Scheiß nichts zu tun haben. Das ist ekelhaft.'

Daraufhin bin ich in mich gegangen und habe gesagt: Wenn das deine Meinung über mich ist und du dir das nicht erklären lässt, findest du keinen Platz in meinem Leben. So bin ich und ich ändere mich für niemanden.

Ich konnte das erst gar nicht verkraften. Mein Bruder war mir sehr wichtig und ich liebe ihn auch heute noch. Ich bin dennoch schockiert, dass so seine Haltung zu dem Thema und zu mir aussieht. Ich habe irgendwann gelernt, Menschen, die mich nicht akzeptieren, wie ich bin, nicht zu dulden. Familie und Angehörige sind zwei verschiedene Dinge für mich. Familie kann man sich teilweise aussuchen, Angehörige nicht."

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