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The Make Believe Issue

Haben die alten Griechen an Zombies geglaubt?

Neue Forschungen belegen, dass „die Bewohner des späteren Griechenlands sich vorgestellt haben, dass wieder zum Leben erweckte Leichen aus ihren Gräbern stiegen, durch die Straßen laufen und Opfer verfolgen."

Illustration von Ole Tillmann

Die Toten haben die Lebenden seit jeher verfolgt. Noch Jahrzehnte, bevor Bram Stoker die Welt mit seinem reißzahnigen viktorianischen Dandy in Schrecken versetzte, hatten es sich die Dorfbewohner New Englands angewöhnt, frische Leichen zu köpfen, damit diese ja nicht auf die Idee kamen, sich wieder nach Hause zu schleichen. Und als Österreich im 18. Jahrhundert in Serbien einmarschierte, berichtete die Armee von einem Ausbruch von Vampirismus in Meduegna, einer Stadt an der Morava, dem 16 Menschen zum Opfer fielen.

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Regierungsbeamte gruben gut erhaltener Kadaver aus, um sie zu pfählen oder zu verbrennen, weil ihnen angeblich Blut von den Lippen troff. In einer neuen Veröffentlichung in der Zeitschrift Popular Archaeology stellt die Anthropologin Carrie L. Sulosky Weaver die These auf, dass bereits die alten Griechen von der Existenz sogenannter Wiedergänger überzeugt waren.

Mindestens seit der Jungsteinzeit, schreibt sie, „hätten die Bewohner des späteren Griechenlands sich Szenarien vorgestellt, in denen wieder zum Leben erweckte Leichen aus ihren Gräbern stiegen, durch die Straßen liefen, ahnungslose Opfer verfolgten und sich auf diesem Wege zu der ausgleichenden Gerechtigkeit verhalfen, die ihnen im Leben verwehrt geblieben war".

Sie weist auf ein Paar ungewöhnlicher Grabkammern in der weitläufigen Totenstadt von Kamarina, einer griechischen Kolonie auf Sizilien, hin. Dort lägen zwei Skelette in einer reichlich mysteriösen Anordnung: Das eine unter einem Steinhaufen, das andere mit Handfesseln aus Ton—als hätte die Anwohner befürchtet, dass sie aus dem Grab ausbrechen könnten.

Historikern gibt die Grabstätte seit den 80er Jahren Rätsel auf, aber Weavers Theorie scheint glaubwürdig, da Sizilien ein Zentrum der Totenbeschwörung war. Mithilfe aufwendiger Beschwörungsformeln und Tafeln, die sie mit den Toten begruben, forderten die Griechen die Bewohner der Unterwelt auf, die Lebenden auf ihren Wegen zu geleiten, ihnen zu Reichtum zu verhelfen und ihre Feinde zu zerstören. Das Problem ist natürlich, wie man die erwachten Toten hinterher wieder zum Schlafen kriegt. „Wiedergänger konnten in ihren Gräbern festgehalten werden, indem man sie festband, man ihnen einen Pflock durchs Herz stieß, sie auf den Bauch drehte, sie besonders tief vergrub oder Felsen und andere schwere Gegenständen auf sie packte", schreibt Weaver.

Aber manchmal kamen die Leichen auch aus alltäglicheren Gründen zurück. „Aus bekannten literarischen Quellen wissen wir, dass die Griechen glaubten, dass die Toten wieder zum Leben erwachen konnten, wenn sie ermordet oder nicht ordentlich begraben worden waren, oder wenn sie noch Rechnungen offen hatten", sagte Weaver gegenüber VICE. Selbstmord und rasche oder ungewöhnliche Krankheiten wurden ebenfalls als Gründe angesehen.

Entgegen heutiger Vorstellungen von Zombies geben die Berichte der letzten 1.000 Jahre ein wesentlich intimeres Bild einzelner Besuche bei Familienmitgliedern. Wenn überhaupt, scheint die Angst vor der Wiederkehr eines Toten etwas mit Schuldgefühlen zu tun zu haben, die man mit dem Prozess des Trauerns assoziiert—beispielsweise die Schuld, dass man den Tod eines geliebten Menschen nicht zu verhindern gewusst hat. In diesem Sinne ist der Wiedergänger das humanste aller Monster—das Gespenst unserer Trauer—und es überrascht wenig, dass es die Zivilisation seit Anbeginn der Zeit immer wieder heimgesucht hat.

Aus der Wir blicken in den Abgrund Ausgabe 2015