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Transgender wissen, welche Privilegien ein bestimmtes Geschlecht mit sich bringt

Ich war ein Mann und bin jetzt eine Frau. Ich weiß also, wovon ich rede und was besser ist.

Foto: Quinn Dombrowski | Flickr | CC BY-SA 2.0

Heutzutage wird viel über Privilegien geredet. Das machen vor allem Menschen, die davon nicht viele besitzen und dann andere Leute darum bitten, ihre zu teilen—oder immerhin einzusehen, dass man doch auch welche hat. Es heißt ja nicht umsonst „Check your privilege". Ja ja, viel Glück dabei. Ein Privileg ist wie Mundgeruch: Dir selbst fällt es vielleicht gar nicht so sehr auf, aber deinen Mitmenschen gehst du damit ziemlich auf den Sack.

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Aber was genau ist ein Privileg? Im Grunde handelt es sich dabei um jegliche Art von Vorteil, den zwar du genießt, andere Leute aber nicht. Ein Beispiel: Viel Geld und keine Sorgen, ob man am Abend genügend Essen oder ein Dach über dem Kopf hat. Das ist ein Privileg. Noch ein paar Beispiele gefällig? Weiße können ohne die Angst, gleich erschossen zu werden, nach draußen gehen. Oder was ist mit heterosexuellen Pärchen, die in der Öffentlichkeit Händchen haltend herumlaufen und sich küssen können—sogar dann, wenn sie hässlich wie die Nacht sind? Homosexuelle Pärchen haben hingehen oft keine gutes Gefühl dabei, wenn sie irgendwie ihre Zuneigung füreinander zeigen. Außer in San Francisco. Dort haben sie das Sagen.

Ich weiß, dass man sich gerne selbst bemitleidet, aber jeder besitzt irgendwelche Privilegien—auch wenn man das vielleicht gar nicht selber merkt. Das ist ja das Witzige an Privilegien. Das sollte ich eigentlich am besten wissen. Ich bin eine Transgender-Frau, was bedeutet, dass ich mal ein Mann war. Zwar ein total mädchenhafter Mann (der dafür gehänselt wurde, ein total mädchenhafter Mann zu sein), aber eben ein Mann. Zumindest machte ich nach außen hin den Eindruck. Inzwischen bin ich eine echt heiße Bitch—sowohl innerlich als auch äußerlich—und erzähle euch jetzt erstmal alles über die ganzen verschiedenen Arten an Gender-Privilegien, die ich in den letzten Jahren selbst erleben durfte. Anschnallen, es geht los.

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DAS PRIVILEG DER MÄNNER

Zuallererst mal muss ich hier sagen, dass ich damals als Mann nicht das Gefühl hatte, irgendwelche Privilegien zu genießen. Null. Hätte man mich damals gefragt, ob ich mich irgendwie bevorteilt fühle, weil ich männlich bin, hätte ich mit „Absolut nicht, Schätzchen" geantwortet. Aber ich war ja damals auch ziemlich mädchenhaft—ein dürrer, weißer „Junge", der sich in der Öffentlichkeit wegen seinem femininen Aussehen oft nicht sicher fühlte und sich als Homosexueller darstellte. Also nein, ich fühlte mich nicht privilegiert.

Bei den Männern herrscht eine Hierarchie: Reiche, starke Weiße stehen ganz oben, alle anderen darunter. Das nennt man Intersektionalität. Kannst du ruhig nachschlagen. Das bedeutet, dass zum Beispiel schwarze Männer nicht dieselben Privilegien genießen wie weiße. Dieses Schema lässt sich auch auf homo- und heterosexuelle Männer anwenden. Schwarze Schwule sind nicht so privilegiert wie weiße Schwule, aber sie können definitiv besser tanzen. Sorry, aber das ist Fakt.

Die Autorin (Mitte) mit ein ein paar privilegierten Typen

ERST WENN ETWAS WEG IST, WEIßT DU ES ZU SCHÄTZEN

Nun ja, letztendlich hat sich doch herausgestellt, dass ich tatsächlich einige Privilegien abtreten musste, als ich das Geschlecht gewechselt habe. Selbst als junger, bescheidener Schwuler wurde mir in gewissen Situationen mehr Respekt entgegengebracht als heute.

Das ist mir zum ersten Mal aufgefallen, als ich mit meinem damaligen Freund unterwegs war und wir in eine Kneipe gingen, um dort nach dem Weg zu fragen. Das Arschloch hinter der Theke schaute meinen Freund an und antwortete ihm, obwohl ich ihn angesprochen hatte. Er behandelte mich wie jede andere Frau auch—nämlich beschissen.

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Er war damit zwar der Erste, aber definitiv nicht der Letzte. Als ich mir mit meinem damaligen Freund ein neues Handy kaufen ging, fing der Verkäufer an, ausschließlich mit ihm über die ganzen technischen Details des Gerätes zu reden, und das obwohl er genau wusste, dass ich mir ein neues Handy zulegen und auch bezahlen würde. Natürlich verließ ich den Laden, ohne was zu kaufen.

Noch als Mann war mir nie bewusst, wie unhöflich, laut und generell nervig Männer sein können (natürlich nicht alle, aber trotzdem!). Bei Meetings, bei Familientreffen und eigentlich überall wird über Frauen hinweggeredet. Falls du dich als Frau in einer Gruppe Männer befindest, dann viel Spaß beim Gehör verschaffen. Ich habe sogar schon miterlebt, wie ein einzelner Mann eine ganze Gruppe Frauen herumkommandierte. So ein Arschloch.

Frauen bekommen für die gleiche Arbeitsposition immer noch weniger bezahlt als Männer. Deswegen hört es sich jetzt vielleicht nicht nach viel an, wenn im Arbeitsumfeld über dich hinweggeredet wird, aber das ist eben nicht nur verdammt unhöflich, sondern es fördert auch die Ungleichheit, die Männer so privilegiert macht. Man sieht also: Das Dasein als Mann ist allein schon deswegen ein Privileg, weil dein Umfeld auch mal die Klappen hält und dir zuhört.

DAS PASSING-PRIVILEG

Natürlich geht meine Abhandlung über männliche und weibliche Privilegien hinaus. Ich habe wirklich Glück, weil ich das sogenannte Passing-Privileg besitze (hoffentlich verschreie ich das jetzt nicht). Ich werde von meinem Umfeld im Grunde nicht als Transgender, sondern als Frau gesehen. Das ist nicht immer so gewesen. Als ich die Umwandlung vollzog, stürzten sich die Leute manchmal auf die Tatsache, dass ich transgender bin, und beleidigten mich. Das war schrecklich, passiert inzwischen aber nicht mehr so oft. Hurra, ein Privileg—das Privileg, dass man die gottverdammte Straße entlang gehen kann und die Leute dabei keine Arschlöcher sind, zumindest nicht im Bezug auf diesen bestimmten Umstand. Das Passing-Privileg ist quasi das Privileg, das Cisgender genießen, nur mit einem gravierenden Unterschied: es ist an eine Bedingung geknüpft. Diese Bedingung ist, dass man dem gesellschaftlichen Standard des bestimmten Aussehens eines Geschlechts entsprechen muss. Und das kann sich auch ändern. Eigentlich bedeutet das Passing-Privileg nur eins: Wenn du ein bestimmtes Aussehen hast, dann bleibt dir der ganze Scheiß erspart, den Transgender sonst durchmachen müssen. Und das ist Schwachsinn. Das Passing bringt dir zwar viele Privilegien, aber keine wirkliche Freiheit.

Man sollte schon erwähnen, dass das Passing-Konzept doch ziemlich kompliziert ist. Janet Mock, Transfrau, Autorin, Moderatorin und mit die aufregendste Persönlichkeit der Feminismusszene, lehnt den Begriff zum Beispiel ab, weil sie sagt: „Passing ist für mich ein Fremdwort, ich bin einfach nur ich selbst." Und das ist ein gutes Argument. Ich freue mich jetzt schon auf den Tag, an dem wir uns über solche Dinge wie Passing nicht mehr den Kopf zerbrechen müssen.

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FRAUENRABATT

Eine Frau zu sein hat schon gewisse Vorteile—zumindest wenn man jung und hübsch ist. Beispiele? Du bekommst kostenlos Pommes, deine Koffer werden dir hinterhergetragen und Türen werden für dich aufgehalten. Halt das ganze unzeitgemäße und sexistische Zeug, das wir eigentlich nicht mögen sollten, ich aber ehrlich gesagt am Anfang doch ziemlich genossen habe.

Dann fing ich an, selbst Geld zu verdienen, und plötzlich fühlte sich das alles ein bisschen bevormundend an. Irgendwie hat es doch etwas Nerviges an sich, wenn man mit Schwarzfahren davonkommt, der Taxifahrer dir ein paar Cent nachlässt oder dir die Typen in den Bars zwei Shots zum Preis von einem einschenken, nur weil du weiblich bist. Das alles heißt doch eigentlich, dass Frauen die Fähigkeit abgesprochen wird, den vollen Preis zu zahlen, etwas hochzuheben oder irgendetwas selbst zu machen. Irgendwie ist es—ganz offen gesagt—aber auch irgendwie witzig. Ich nenne das Ganze den „Frauenrabatt".

Trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, dass Frauen bei all dem Privilegienquatsch den Kürzeren gezogen haben. Bei Männern ist es zum Beispiel viel unwahrscheinlicher, dass sie vergewaltigt werden. Keine Ahnung, aber ich finde einfach, dass das ein besseres Privileg ist, als die Tür aufgehalten zu bekommen.

TIEFGRÜNDIGERE GEDANKEN

Wie schon eben gesagt, ziehen Frauen in Sachen Privilegien oft den Kürzeren, aber das wird auch durch andere Sachen wieder kompensiert. Die Leute vertrauen mir jetzt zum Beispiel mehr. Als Frau kannst du in der Öffentlichkeit Kinder anlächeln und die Eltern nehmen nicht sofort an, dass du pädophil bist. Wenn ich damals als junger Mann in Kapuzenpullover und mit Baseball-Cap unterwegs war, hatte das Sicherheitspersonal ständig ein Auge auf mich—darüber beschweren sich auf oft junge schwarze Männer. Seit meiner Umwandlung wurde ich noch nie des Ladendiebstahls bezichtigt (auch dann nicht, als ich ganz dreist geklaut habe). Das ist ganz schön.

Frauen wird beigebracht, vor der großen weiten Welt Angst zu haben, aber ich fühle mich jetzt tatsächlich sicherer. Männer können in der Öffentlichkeit ein aggressives Verhalten an den Tag legen—das ist dann ein Zeichen ihrer Männlichkeit. Wenn man jedoch keine heterosexuellen Privilegien besitzt und als Schwuler angesehen wird (so wie es bei mir der Fall war), dann bekommt man ziemlich wahrscheinlich die Fresse poliert. Als femininer Mann hatte ich damals weniger Privilegien als jetzt als feminine Frau. Ich weiß schon gar nicht mehr, wann ich das letzte Mal in der Öffentlichkeit wirklich Angst hatte. Da ist es mir doch lieber, wenn mich jemand bevormundet, indem er mir die Tür aufhält, als das irgendein Arschloch mit mir einen Streit vom Zaun brechen will.

UNSICHTBARE PRIVILEGIEN

Ein beängstigender Aspekt von Privilegien ist der, dass wir einige der wichtigsten Vertreter aus dieser Kategorie gar nicht mal wirklich mitkriegen. Woher weiß ich denn, dass mir ein Job verwehrt wurde, weil ich eine Frau bin? Oder würden die Leute meine Artikel ernster nehmen, wenn ich ein Mann wäre? Viele Privilegien sind systembedingt und unsichtbar. Das bedeutet aber nicht, dass sie nicht existieren.

So, bitte schön. Das ist alles, was ich weiß. Ich wünschte, ich könnte euch hier eine aufregende Geschichte erzählen, in der irgendein Typ vor mir eine Beförderung bekommen hat, aber die Wahrheit sieht folgendermaßen aus: Ich bin eine überaus erfolgreiche Frau, trotz der ganzen Männer, die über mich hinwegreden wollen, mich bevormunden und ein großes Drama um meine Kleidung machen. Weitere Vorteile? Ich kann das Herz auf der Zunge tragen und bekomme Frauenrabatt. Ach ja, und natürlich meine Titten, die habe ich ganz vergessen. Ich weiß, dass Titten manchmal auch echt nervig sein können, aber liebe Frauen, sie sind eigentlich echt toll. Das sage ich als Frau, die auf ihren schönen Vorbau etwas länger warten musste. Ja, das Titten-Privileg ist definitiv keine Einbildung.