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In Israel landen afrikanische Asylbewerber in einem ,offenen Gefängnis‘

Auf der Suche nach Freiheit kommen eritreische Asylsuchende nach Israel—und landen im Gefängnis.

Anfang des Jahres habe ich ein kleines Team von Ärzten, Krankenpflegern und Freiwilligen der israelischen Non-Profit-Organisation Ärzte für Menschenrechte bei einem Besuch des offenen Gefängnisses Holot begleitet. Das Internierungslager wurde Ende 2013 mitten in der Negev-Wüste und Kilometer von der nächsten Großstadt entfernt eingerichtet, um 3.000 bis 53.000 afrikanische Asylbewerber einzusperren, die seit Mitte der 2000er Jahre vor allem aus dem Sudan und Eritrea nach Israel gekommen sind.

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Zwischen den drei Zählappellen, die täglich stattfinden, können die Asylbewerber das Gefängnis nach Belieben verlassen. Wenn die nächste Stadt endlich erreicht ist, bleiben ihnen jedoch nur noch eine oder zwei Stunden, bis sie sich wieder in Holot zurückmelden müssen. Abgesehen von schlecht bezahlten Reinigungsjobs im Gefängnis dürfen sie keine Arbeit aufnehmen. Alle zehn Tage wird ihnen, wie die israelische Zeitung Haaretz berichtete, ein spärliches Taschengeld von etwa 33 Euro ausgezahlt. Von diesem Geld müssen Kleidung, Anrufe bei Familienmitgliedern und Fahrtkosten bezahlt werden.

Dem Guardian zufolge bezeichnete Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die Asylbewerber als „Eindringlinge“, deren Anwesenheit in Israel illegal sei und eine demographische Bedrohung für die ethnische Identität des jüdischen Staates darstelle. Bis die Asylbewerber auf legalem Weg abgeschoben werden können, sorgen die Behörden dafür, dass diese Menschen hinter Gittern gehalten werden. Oder in den Worten des ehemaligen Innenministers Eli Jischai: „Wir werden den Eindringlingen so lange das Leben schwer machen, bis sie gehen.“

Nachdem das Oberste Gericht die Praxis der dreijährigen Inhaftierung illegaler Migranten für verfassungswidrig erklärte, hat die israelische Regierung einen neuen Weg gefunden, um Flüchtlingen das Leben zu ruinieren. Jetzt wird den Migranten ein Ultimatum gestellt: Sie haben die Wahl zwischen einer zeitlich unbestimmten Haft in Holot oder der „freiwilligen“ Ausweisung nach Uganda. Die Flüchtlingskonvention von 1951 verbietet Israel die Abschiebung von Flüchtlingsbewerbern in Heimatländer, in denen ihr Leben ernsthaft bedroht sein könnte. Um dieses Problem zu umgehen, hat Israel eine Vereinbarung mit Uganda getroffen—für die Aufnahme afrikanischer Asylbewerber erhält das Land Agrarhilfen.

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Die Bemühungen, Asylbewerber aus Israel abzuschieben, haben sich in den letzten Monaten verstärkt. Hunderte Flüchtlinge haben den Auftrag erhalten, sich in Holot zu melden. In Folge dieser Regierungsmaßnahmen wurde das Land von Protesten überrollt. Die Demonstranten haben Israel aufgefordert, endlich den Flüchtlingsstatus der Asylbewerber zu überprüfen—was bisher komplett versäumt wurde.

Bei meinem Gefängnisbesuch habe ich einen jungen Mann namens Filmon kennengelernt, der mit mehreren Dutzend anderen Häftlingen auf eine Behandlung in der kleinen provisorischen Klinik auf dem Parkplatz von Holot wartete. Er kam auf mich zu und fing sofort an, mir von seiner Reise von Eritrea nach Israel und seinen Erfahrungen im israelischen Gefängnissystem zu erzählen. Wir tauschten Telefonnummern aus und verabredeten, uns noch einmal zu treffen.

Drei Tage später rief er mich an. „Bitte komm her. Ich möchte reden“, sagte er. In Begleitung von Helen, meiner eritreisch-amerikanischen Freundin, die mir bei der Übersetzung half, fuhr ich zu ihm. Filmon stand gerade in einer kleinen Menschenmenge und hörte die Predigt eines eritreischen Priesters. Wir setzten uns zusammen und sprachen über die Lebensumstände in Holot, das Leben in Eritrea und seine ungewisse Zukunft.

VICE: Als ihr im Sinai über die Grenze gegangen seid, hat man euch gesagt, dass ihr ins Gefängnis müsst. Wurde euch auch gesagt, warum? 
Filmon: Nein. Die israelischen Soldaten haben uns lediglich einen Zettel gegeben, auf dem stand, dass wir ins Gefängnis müssen, und uns nach Saharonim [das an Holot angrenzende Gefängnis] gebracht. Dort war ich bis vor einem Monat, seitdem bin ich in Holot. Saharonim ist noch zehnmal schlimmer. Dort hat man überhaupt keine Ausgangsmöglichkeiten. Wenn wir gegen etwas verstoßen und zum Beispiel abends zu spät zurückzukommen, werden wir zur Strafe nach Saharonim geschickt. Dort wird man allein in ein kleines Zimmer gesteckt. Es gibt kaum Licht, nur eine kleine Tür für Essen. Wie lange man dort bleiben muss, wird nicht gesagt. Es können zehn bis zwanzig Tage sein, manchmal aber auch mehr.

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Wie sind die Bedingungen in Holot? 
Wir sind mit zehn Leuten in einem Raum. Die Stockbetten sind hart. Nachts wird es sehr kalt—es gibt keine Heizung und nicht genug Decken. Essen gibt es auch nicht genug. Wir essen Reis, aber er sieht aus wie Schlamm. Morgens bekommen wir einen kleinen Joghurt und Brot. Manchmal teilen wir das Essen, um die Portionen größer zu machen. Niemand überprüft, ob das Essen genießbar ist.

Warum hast du Eritrea verlassen und bist nach Israel gekommen? 
In Eritrea hätte ich zur Armee gehen müssen und hätte dadurch keine Möglichkeit gehabt, eine Ausbildung zu bekommen. Ich wäre sechs Jahre lang Soldat gewesen. Wenn ich geblieben wäre, hätte ich in der Armee bleiben müssen, bis ich 40 oder 50 gewesen wäre. Man kann erst nach eineinhalb Jahren für 20 Tage nach Hause, danach nur einmal pro Jahr.

Wie sieht das Leben in der eritreischen Armee aus? 
Es herrscht kein Krieg, aber man muss immer vorbereitet sein. Man macht nichts anderes als zu trainieren. Wenn du versuchst zu fliehen und dabei erwischt wirst, kommst du für fünf bis acht Jahre in ein Straflager, wo sie dich hungern lassen und foltern. Ich war ein Jahr lang in einem Militärgefängnis. Das ist der Grund, warum wir uns entschieden haben, das Land zu verlassen. Wenn du in der eritreischen Armee bist, gibt es keine Zukunft für dich.

Was ist passiert, nachdem du Eritrea verlassen hast?  
Als ich aus Eritrea geflüchtet bin, haben uns die Rashaida [ein arabisches Normadenvolk, das Eritrea und den nordöstlichen Sudan besiedelt]—die Banditen—in ein Auto gezwungen und uns nach Sinai gebracht. Es geschah alles sehr schnell. Sie haben im Sudan auf uns gewartet. Sie haben uns in ein Lager gebracht, wo sie uns gefoltert haben. Sie haben ein Stück Eisen erhitzt und mich im Gesicht und auf dem Arm verbrannt. Sie haben mir befohlen, sexuellen Kontakt mit den Mädchen und auch mit den Jungen zu haben. Wenn du dich weigerst, bestrafen sie dich.

Wie lange warst du in dem Lager? 
Ich war drei Monate lang dort. Sie haben Geld von meiner Familie verlangt, 24.000 Euro. [Solche absurden Lösegeldforderungen sind laut einem BBC-Bericht durchaus üblich.] Meine Familie musste ihr Haus und Gold verkaufen. Sie haben sich Geld von einer anderen Familie geliehen. Ich weiß nicht genau, wie sie es bezahlt haben. Nach drei Monaten wurde ich freigelassen. Sie haben mich auf der Straße ausgesetzt und mir befohlen, loszugehen. So bin ich zur israelischen Grenze gelangt. Als ich Eritrea verließ, wusste ich nicht, dass ich in Israel landen würde. Ich bin einfach nur geflüchtet.

Möchtest du in Israel bleiben?
Ich möchte in einem freien Land leben, das mich akzeptiert. Ich würde gern in Israel bleiben, wenn sie mich lassen, aber ich kenne Israel nicht. Ich kenne Tel Aviv nicht. Ich bin seit eineinhalb Jahren in Israel, aber ich kenne nur die Gefängnisse.