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​Braunau hat noch immer ein Hitler-Problem

Obwohl sich in der Geburtsstadt Hitlers Neonazi-Vorfälle häufen, wird die rechte Szene geleugnet und als unproblematische Randerscheinung abgetan. Aber nur wenn gehandelt wird, kann der Ruf der Stadt aufgebessert werden.

Ich bin in einem kleinen Dorf im Bezirk Braunau in Oberösterreich aufgewachsen und in Braunau in ein Gymnasium gegangen. Im Geschichte-Unterricht haben wir vieles gelernt, von den Standard-Punkten auf dem Lehrplan bis zum letzten Detail der Hexenverbrennung—nur, dass Hitler in Braunau, nicht einmal zwei Kilometer vom Schulgebäude, geboren wurde, wurde nicht erwähnt. Ob es bewusst ausgelassen oder einfach als unwichtiges Detail abgetan wurde, weiß ich nicht. Wundern dürfte es einen jedoch nicht, wenn man sich den Umgang Braunaus mit seiner Geschichte ansieht—und auch den Umgang anderer Menschen mit Braunau. Jedes Mal, wenn ich jemandem sage, dass ich aus Braunau komme, bekomme ich einen Nazi-Witz zu hören oder ein wissendes Lächeln zu sehen. Seit vielen Jahren gibt es jährlich um den 20. April—an Hitlers Geburtstag—eine Demonstration der Initiative „braunau gegen rechts", denn nach wie vor pilgern Menschen nach Braunau, um vor dem Geburtshaus ihres großen Idols die rechte Hand zu heben und für ein Foto zu posieren. Im Jahr 2009 wollte die Nationale Volkspartei rund um den einschlägig bekannten Robert Faller, die einen Teil ihres Parteiprogramms wortwörtlich aus dem SS-Lehrplan übernommen hatte und laut ihrer eigenen Homepage seit 2012 inaktiv ist, an Hitlers Geburtstag in Braunau aufmarschieren. Der Aufmarsch wurde von den Behörden verboten. Der Verkauf von Hitler-Souvenirs wurde zwar mittlerweile eingestellt, „Hitler-Tourismus" gibt es aber nach wie vor—das „Geburtshaus des Führers" gilt für viele als Pilgerstätte. Schon 1924 schreibt Hitler in Mein Kampf: „Als glückliche Bestimmung gilt es mir heute, dass das Schicksal mir zum Geburtsort gerade Braunau am Inn zuwies. In diesem von den Strahlen deutschen Märtyrertums vergoldeten Innstädtchen, bayerisch dem Blute, österreichisch dem Staate nach, wohnten am Ende der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts meine Eltern."

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Foto: VICE Media | Das Mahnmal vor dem Hitler-Geburtshaus in Braunau

Aber nicht nur Menschen von Auswärts, sondern auch einige Einheimische könnten sich wohl keinen schöneren Wohnort wünschen. „In Braunau machen Neonazis keinen Hehl aus ihrem Führerkult und der Glorifizierung des NS-Regimes, Bezugnahmen auf NS-VerbrecherInnen sind hier fester Bestandteil im öffentlichen Auftreten der Szene. Für die Braunauer Neonazi-Szene haben das Geburtshaus und der Geburtstag Hitlers einen hohen symbolischen Wert.", sagt Raffael Schöberl vom Bündnis „braunau gegen rechts". Dieser symbolische Wert ist für die Stadt Braunau ein schweres Erbe, mit dem sie bis heute nicht umzugehen weiß. Umso mehr wäre es an der Zeit für Braunau, sich mit der Geschichte auseinander zu setzen und sich endgültig auf eine sinnvolle Nutzung für das Geburtshaus zu einigen. Derzeit steht das Geburtshaus leer. Das Innenministerium und die Stadtgemeinde sind Mieter des Gebäudes, um so zu verhindern, dass dort eine Nazi-Kulturstätte entsteht. Bis 2011 hatte die Lebenshilfe dort eine Werkstätte für Menschen mit Behinderung eingerichtet, seit deren Auszug wird über die weitere Verwendung diskutiert. Im Mietvertrag ist eine „sozial-edukative" Nutzung festgelegt, was mit dem historisch belasteten Haus passieren soll, ist aber noch immer unklar. Eine Nutzung durch die Volkshilfe und Volkshochschule wurde von der Eigentümerin abgelehnt und eine Initiative für die Entstehung eines „Hauses der Verantwortung" steht im Raum. In den letzten Jahren haben sich in Braunau immer wieder Fälle mit rechtem Hintergrund ereignet—ein 23-Jähriger Braunauer mit Hakenkreuz-Tattoo, ein Gedenken für den ehemaligen SA-Sturmführer Horst Wessel und eine Neonazi-Gedenkveranstaltung am Braunauer Soldatenfriedhof sind nur einige wenige Beispiele. Auch der erste Thor Steinar-Shop Österreichs wurde 2008 in Braunau eröffnet. Der Name der Marke spielt auf den nordischen Gott Thor, dessen Hammer ein beliebtes Symbol unter Rechten ist, und Felix Steiner, dem ehemaligen General der Waffen-SS, an. Erst wurde eine Räumungsklage abgewiesen, weil das Bezirksgericht keine Wiederbetätigung sah. Der Bürgermeister und die Hausbesitzerin waren lediglich deshalb gegen den Shop, weil sie darin Rufschädigung für die Stadt Braunau sahen, und nicht, weil der rechte Shop in Braunau eine gewisse Symbolträchtigkeit hat oder Braunau selbst gar ein Problem mit dem Umgang mit seiner Geschichte oder Rechten haben könnte. Das Schaufenster des Shops wurden immer wieder eingeschlagen oder mit antifaschistischen Parolen besprüht—seit etwa Anfang 2012 gibt es das Geschäft am Braunauer Kirchenplatz nicht mehr. Genaue Gründe für die Schließung sind nicht bekannt.

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Foto mit freundlicher Genehmigung von Bündnis „braunau gegen rechts" / Infoladen Wels

Auf dem Wordpress-Blog „Widerstand Braunau", der sich selbst als „Zusammenschluss von freien und national-denkenden Menschen" bezeichnet, werden in unregelmäßigen Abständen Einträge zu mehr oder weniger aktuellen Ereignissen veröffentlicht—von Empörung über eine Demonstration der „Femen Schlampen" bis zu einem Flugblatt, in dem für die Freilassung von Gottfried Küssel plädiert wird, einer mittlerweile verurteilten Schlüsselfigur der Neonazi-Szene, Holocaustleugner und ehemaliger Betreiber von Alpen-Donau.info. Obwohl sich die rechte Szene in Österreich in den letzten Jahren durch die Verurteilungen von Küssel, die Aushebung des großen Objekt 21-Netzwerks, eine Vereinigung aus über 200 Personen, und das Auftreten der Identitären als eine neue Art von Rechten stark verändert hat, ist die ländliche Szene laut „braunau gegen rechts" gleich geblieben.

Im April 2014, also kurz vor Hitlers Geburtstag, wurde der Gedenkstein vor dem Geburtshaus, ein Granitblock aus dem Steinbruch Mauthausen, mit der Inschrift „Für Frieden, Freiheit und Demokratie—nie wieder Faschismus—Millionen Tote mahnen" mit blauer Farbe übergossen. Die Stadtgemeinde wollte den Stein sofort am Morgen nach dem Vorfall reinigen, lediglich die Reporterin einer Lokalzeitung konnte die Reinigungsarbeiten auf ihrem Weg in die Redaktion beobachten und so darüber berichten. Dass die Stadt Braunau über diesen Vorfall kein Wort verloren hat, ist bezeichnend für den Umgang von hiesigen Politikern mit derartigen Vorfällen. Laut Raffael Schöberl wird die rechte Szene im Bezirk gerne geleugnet und als unproblematische Randerscheinung abgetan, wohingegen die jährlichen Demonstrationen der linken Initiative als störend und schlecht für das Image der Stadt empfunden werden. Bezirkshauptmann Wojak bezeichnet die jährliche Demonstration beispielsweise als

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Foto mit freundlicher Genehmigung von Bündnis „braunau gegen rechts" / Infoladen Wels

„Schatten, weil sich der Bezirk ganz klar als Friedensbezirk positioniert hat." Und außerdem habe man ja ohnehin den Mahnstein vor dem Geburtshaus. Der Dorn im Auge sind also die, die Krawall machen und gegen Rechts auf die Straße gehen und nicht die, die sobald die Vorstadt in Braunau menschenleer ist, ihr Triskele-Tattoo (eine Abart des Hakenkreuzes) herzeigen und mit dem Hitlergruß vor dem Geburtshaus ihres Führers posieren—woran sie im Übrigen auch kein Mahnmal mit einer Inschrift gegen Faschismus hindert. Der selbe Bezirkshauptmann hat sich 2012 dahingehend geäußert, dass „Hitler hier maximal seine Windeln gefüllt [hat] und sicher nicht die Schlachtfelder mit Toten". Ebenfalls im April 2014, kurz nachdem der Gedenkstein beschmiert wurde, wurden in Braunau Aufkleber mit der Aufschrift „NS-Zone: Deutschland Multikulti – wir bleiben braun!" verteilt. Die Braunauer Neonazi-Szene mag zwar klein, ländlich und unorganisiert sein, durch die räumliche Nähe zu Bayern wird sie jedoch immer wieder belebt. Durch die Zusammenarbeit mit dem Freien Netz Süd, mit 20 Kameradschaften der größte Dachverband Bayerns, häuften sich vor allem im Zeitraum März 2013 bis Mitte 2014 rechtsextreme Aktivitäten in Braunau—auch die Sticker waren mit dem Logo der Neonazi-Kameradschaft versehen. Seit Juli 2014 ist das Freie Netz Süd nun verboten.

Erst im Mai diesen Jahres fiel der öffentliche Blick wieder auf das vorbelastete Braunau, als der Besitzer der Bar Silica, einem beliebten Café auf dem Braunauer Stadtplatz, seine Gäste anwies, dass sie in seinem Lokal nur Deutsch sprechen dürften. Wenn jemand in seinem Lokal nicht Deutsch spricht, bekommt es Lokalbesitzer nun mal mit der Angst zu tun. „Denn Menschen, die eine andere Sprache sprechen, könnten ja Terroristen sein", sagt er später zu den Vorfällen. Auch den Erfolg seines Lokals führt er darauf zurück, dass Ausländer in seinem Lokal nicht willkommen sind. Wahrscheinlich ist Braunau einfach das Paradebeispiel einer kleinkarierten, ignoranten Kleinstadt und symbolisch für Österreich, wo Einzelfälle keine Seltenheit sind und Wehrsportübungen als Jugendsünden durchgehen. In Österreich duckt man sich lieber, als proaktiv gegen ein offensichtlich vorhandenes Problem vorzugehen. Die Verantwortlichen in Braunau und auch die Bürger scheuen das Scheinwerferlicht, das die Geschichte der Stadt auf sie wirft, anstatt genau diese Aufmerksamkeit zu nutzen, um endgültig etwas gegen die immer wieder auftretenden rechtsextremen Vorfälle zu machen—das beste Beispiel dafür ist der Neonazi-Marsch im bayrischen Wunsiedel, der von einer Aussteigerplattform für Neonazis zum unfreiwilligen Spendenaufruf gemacht wurde. Nur wenn aktiv gehandelt wird, kann der Ruf der Stadt, der allen so am Herzen liegt, gebessert werden. Denn die Begründung, Hitler habe damals noch niemanden umgebracht und keinen Krieg geführt, entbindet den Schauplatz von Neonazi-Vorfällen nicht davon, sich mit sich selbst zu beschäftigen.

Verena auf Twitter: @verenabgnr


Titelbild mit freundlicher Genehmigung von Bündnis „braunau gegen rechts" / David Stögmüller