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Popkultur

​Meine Eltern wollten mich mit 'Taken' und Liam Neeson erziehen

Es gibt ja viele pädagogische Herangehensweisen zur Kinderziehung, aber bei meiner wurde tatsächlich ein Actionfilm über Sexsklaven und Menschenhandel herangezogen.
Offizieller Still von ,Taken‘ (c) 20th Century Fox

Ich gehe nicht viel fort, aber ein paar Mal im Monat kommt es schon vor—mal eine Geburtstagsparty oder die Freundin will ihr erneutes Single-Dasein bei Partys in die Welt rausschreien. Bei solchen Anlässen war mir die Angst vor dem nächtlichen Nachhauseweg schon immer fremd, ganz nach der Einstellung: Selbst ist die Frau! Woher ich diese selbstsichere Denkweise habe? Ganze einfach, mich hat schließlich der unzerstörbare Liam Neeson großgezogen. Natürlich hatten meine lieben Eltern auch ein Wörtchen mitzureden. Genau genommen waren sie es, die mich erstmals mit dem Badass-Iren konfrontiert haben.

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Ich dürfte ungefähr 14 gewesen sein, als sich eine auffallende Veränderung bei Mama und Papa bemerkbar machte. Viele nervöse Blicke, ein besorgter Ausdruck in den Augen meiner Mutter. Manchmal habe ich auch meinen Vater erwischt, wie er mich nachdenklich anstarrte. Die Pubertät mit ihren ganzen Hormonen stand vor der Tür und meine Eltern schienen komplett überfordert zu sein, weil die kleine Tochter Busen bekommt und sich in die große weite Welt hinaus trauen könnte—und das OHNE Aufsicht.

Diese Sorgen führten wohl zur Idee mit der cineastischen Erziehungseinheit—oder vielleicht kamen die Ängste ums Kind überhaupt erst von Filmen, wer weiß. Jedenfalls kamen meine Eltern eines Tages auf mich zu und setzten sich schweigend zu mir auf die Couch. Innerhalb der mehrsekündigen dramatischen Pause hatte ich gefühlt zwei Herzinfarkte. Ich dachte panisch darüber nach, was ich falsch gemacht hatte—oder besser, wovon sie wissen könnten. Wie in einem Aufklärungsfilm folgte dann ihre ernste Frage: "Kamila, hast du eigentlich schon mal Taken gesehen?"

Dann kam eine Pause meinerseits und die perplexe Antwort „Nein". Wenige Minuten später fand ich mich schon mit einer Schüssel Popcorn in der Hand vor dem Fernseher wieder, eingekeilt zwischen Mama und Papa. Die DVD des Films über Liam Neesons tapfere Tochterrettung wurde gezückt und noch bevor ich fragen konnte, was zum Teufel gerade passiert, hatten sie schon Play gedrückt. Das war also der Film, der mich auf das Erwachsenwerden vorbereiten sollte.

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Bei mir unterm Bett. (Foto von der Autorin)

Ich muss ehrlich sagen, ich fand Taken echt gut—die Spannung, die Action, die Fähigkeiten des allmächtigen Übervaters. Eine Welt, in der unschuldige amerikanische Mädchen beim Paris-Urlaub von fiesen Sexsklaventreibern eingepackt werden, ist in Theorie schon ziemlich beängstigend, aber Neeson überzeugt.

Erst tötet er lautlos fünf Männer und gleich darauf belebt er ein Mädel nach ihrer Überdosis Heroin wieder. Der Mann kann einfach alles. So einen Vater kann sich doch jedes Mädchen nur wünschen. Und ich weiß, es klingt vielleicht ein bisschen naiv, aber ich habe dem Superdaddy jede Aktion abgekauft.

Ich befürchte aber, der gewünschte Erfolg dieses filmisch-pädagogischen Abschreckens ist letztlich nicht wirklich eingetreten. Meine Mutter musste während des Films ständig seufzen und drehte den Kopf leidend hin und her. Manchmal hat sie mich von der Seite angestoßen, als wolle sie sicher gehen, dass ich auch wirklich alles ganz genau mitverfolge. Bei der Szene mit der Entführung am Anfang hat sie die Mädels am Bildschirm angeschrien, wie unvorsichtig sie seien und mir dann einen Blick zugeworfen, der mir wimmernd sagen wollte: „Wenn man Fremden traut, passieren furchtbare Dinge!"

Warum diese ganze Aktion wohl nicht den Vorstellungen meiner Eltern entsprechend verlaufen ist? Ich habe mich nicht EINMAL in die Position der entführten Tochter Kim versetzt. Ich fand Neeson cool, aber ich dachte nicht wirklich, dass mir sowas auch selbst passieren könnte. Nach 93 Minuten sahen zumindest zwei der drei Zuschauer sichtlich zufrieden aus. Ich war eher gekränkt, dass meine Eltern mich anscheinend für so ein labiles und bedrohtes Dummchen hielten.

Wenn ich mich in fremden Ländern mit irgendwelchen dahergelaufenen Typen unterhalte, werde ich nicht meine Aufenthaltsadresse ausposaunen. Das weiß man doch eigentlich schon seit dem Kindergarten. Taken ist die visuelle Umsetzung eines Horrorszenarios, eines Schlimmstfalls, falls man doch einmal zu weltoffen und gutgläubig sein sollte. Die Angst um die eigenen Kinder muss ziemlich schlimm sein, wenn man nach solchen erziehungstechnischen Strohhalmen greift—die Altersbeschränkungen eines Films komplett ignorierend.

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Ich habe sicherlich auch ein paar Dinge von Taken gelernt: 1. Man soll die Entführer immer in Gespräche verwickeln und sich wichtige Passagen und Details merken. 2. Wenn dir ehemalige Freunde nicht helfen wollen, schieß dem Ehemann beziehungsweise der Gattin in den Arm. 3. Französische Fotoautomaten sind besser als jede Gesichtserkennungssoftware und Abstellkammern immer offen—perfekt geeignet für leblose Körper. Aber das wichtigste Learning war: 4. Eine geladene Kanone ist viel schwerer als eine ohne Kugeln im Magazin.

Wir hatten kurz nach dieser „Lehrfilm"-Erfahrung Besuch von guten Freunden meiner Eltern; einem Pärchen mit zwei eigenen jungen Töchtern. Die beiden fragten dann direkt, ob meine Eltern mir denn schon Taken gezeigt hätten. Es folgte ein freudiges „Ja" von Mama und Papa. Das darauf folgende wissende Nicken von Seiten des Besuchs, ließ mich vermuten, dass auch ihre Töchter—ja, wir alle—irgendein geheimes Aufnahmeritual bestanden hatten. Ob ich damals das Liam Neeson-Sicherheitssiegel bekommen habe?