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Diese Sexarbeiterin hat Angst, dass ihr Beruf bald kriminalisiert wird

In Berlin wird zurzeit das sogenannte "Schwedische Modell" diskutiert, das einem Sexkaufverbot gleichkommen würde.
Aya Velázquez nackt mit roten Schuhen und einer Sonnenbrille
Foto: privat

BDSM-Sessions, Blowjobs und Restaurantbesuche mit Happyend sind in Deutschland leichter zu kriegen als ein Zehner Gras – noch. Das könnte sich ändern, wenn das sogenanntes Sexkaufverbot kommen sollte.

Politikerinnen und Politiker unterschiedlicher Parteien diskutieren zurzeit ein Modell, das den Kauf von Sex verbietet: das Schwedische Modell, auch bekannt als Nordisches Modell. Dieses System würde Sexarbeitende zwar nicht direkt kriminalisieren, dafür aber ihre Kunden und Kundinnen. Initiiert wurde der Arbeitskreis "Prostitution – wohin?" von Frank Heinrich (CDU) und Leni Breymeier (SPD).

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Aya Velázquez arbeitet als Escort und als Sklavin in einem BDSM-Studio. Sie hat Angst, dass es Sexarbeitenden in Deutschland bald so gehen könnte wie in Schweden. Dort wurde das Schwedische Modell 1999 eingeführt. Laut dem Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen (BesD), in dem Velázquez Mitglied ist, bedeutet das Sexkaufverbot auch, dass "jegliche Unterstützung von Sexarbeitenden illegal ist". Dazu zähle zum Beispiel auch der Fahrservice zu einem Escort-Date. "Es können einem die Kinder weggenommen werden. Erwachsene Kinder können der Zuhälterei angeklagt werden, wenn sie Geld von ihren Müttern bekommen", sagt Velázquez. In Schweden habe das Sexkaufverbot für viele Sexarbeiterinnen sogar dazu geführt, dass sie ihre Wohnung verloren hätten. Wir haben mit Aya Velázquez darüber gesprochen, was ein Sexkaufverbot in Deutschland für sie bedeuten könnte.

VICE: Was würde das Schwedische Modell für deine Arbeit bedeuten?
Aya Velázquez: Ich will mir das ehrlich gesagt gar nicht vorstellen. Ich bin Highclass-Escort. Es könnte sein, dass mich Hotels aus Angst vor strafrechtlichen Konsequenzen nicht mehr reinlassen, wenn sie mich wiedererkennen. Ich habe viele Kunden aus dem gehobenen Managementbereich, die ebenfalls aus Angst vor Strafe wegbleiben könnten. Mein Escort-Portal Hetaera müsste schließen, da Hosting-Provider ebenfalls nicht das Risiko eingehen können, die Prostitution zu fördern. Alle Webseiten, die Sexarbeit bewerben, müssten vom Markt verschwinden.

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Auch alle Bordelle werden schließen müssen. Die Betreiber würden "Prostitution fördern" – und das wäre unter dem Schwedischen Modell illegal. Davon wäre auch das Dominastudio Lux betroffen, in dem ich arbeite.

Unsere Arbeit würde in unsaubere, unsichere, dunkle Ecken verschoben werden: Wald, Feld, Flur, Parkplatz. Sichere Arbeitsorte würden komplett wegfallen. Die guten Kunden würden aus Angst, sich strafbar zu machen, wegbleiben – die schlechten und skrupellosen Kunden nicht.

Für wie realistisch hältst du es, dass das Schwedische Modell nach Deutschland kommt?
Schwer zu sagen. Momentan kippt in der Politik einiges. Die Grünen sind im Aufwind. Ich hoffe, dass das Gesetz mit den Grünen nicht zu machen ist – auch nicht unter Schwarz-Grün. Die SPD ist in der Selbstfindungskrise, da weiß man momentan nicht, wer sich durchsetzt: die pietistischen Schwaben oder das aufgeklärte, liberale Berlin? Die CDU will sich momentan nicht von rechts von der SPD überholen lassen. Deswegen sind einige Politiker und Politikerinnen von der CDU ganz schnell nachgerückt, als Leni Breymaier (SPD) das Schwedische Modell befürwortet hat. Momentan ist noch alles offen, aber die moralisch motivierten Abgeordneten machen zurzeit den lautesten Lärm und gewinnen an Einfluss. Vor ein paar Jahren wäre ein Diskurs über ein Sexkaufverbot in Deutschland noch undenkbar gewesen.

Glaubst du, dass die Kriminalisierung von Prostitution zu Zwangsprostitution führt?
Nein, aber sie wird Prostitution für alle Prostituierten prekärer machen. Ich spreche auch bewusst nicht von Zwangsprostitution – Prostitution im eigentlichen Sinne ist immer freiwillig. Opfer von Menschenhandel hingegen sind Opfer von Menschenhandel. Die prostituieren sich nicht, sondern werden vergewaltigt. Die Frauen, die ich kenne, die das freiwillig und gerne machen, haben noch nie eine Frau gesehen, die Opfer von Menschenhandel wurde. Diese zwei Welten berühren sich nicht. Es wird aber immer so getan, als ob es zwischen Prostitution und Menschenhandel einen fließenden Übergang gäbe – das ist schlichtweg falsch.

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Durch das Schwedische Modell werden die Frauen sehr viel schlechtere Arbeitsbedingungen haben. Wo immer ein Schwarzmarkt entsteht, entstehen auch neue Geschäftsmodelle für organisiertes Verbrechen. Ähnlich wie bei der Alkoholprohibition oder dem Cannabisverbot könnte es daran wachsen. Der Menschenhandel würde bleiben. Hauptsächlich wird die momentan noch legale Prostitution von dem Gesetz betroffen sein.

Wie oft wirst du mit dem Vorwurf konfrontiert, dass du deinen Job nicht freiwillig machen würdest?
Sehr selten. Meine Erfahrung ist: Je intelligenter die Menschen sind, desto weniger haben sie ein Problem mit unserem Job. Hin und wieder habe ich einen Kunden, der mich fragt, ob ich mir mal Gedanken über zukünftige Probleme gemacht hätte, weil ich mit einem Gesicht im Internet zu sehen bin. Ich definiere mich aber schon lange nicht mehr darüber, was die Gesellschaft von mir denkt.

Beschneidet das Schwedische Modell deine Selbstbestimmung?
Auf jeden Fall. Ich fühle mich in meinen Grundrechten verletzt und zwar ganz konkret in Bezug auf die Artikel 1 und 12 unseres Grundgesetzes. Aus dem Artikel 1 leitet sich das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung ab, Artikel 12 gewährt ein Recht auf freie Berufswahl. Ich arbeite sehr gerne als Sexarbeiterin, habe mich frei für diesen Beruf entschieden. Es ist Teil meiner sexuellen Identität, mich auf diese Weise zu erfahren. Es kann nicht sein, dass für das Ziel, den Menschenhandel zu bekämpfen, unzähligen freiwillig in der Sexarbeit tätigen Menschen ihre Grundrechte abgesprochen werden.

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2016 wurde das Gesetz zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen erlassen. Was denkst du darüber?
Für mich ist das Gesetz gescheitert. Die Registrierung von Prostituierten hat nicht funktioniert. Vielen Frauen ist eine Erfassung aus privaten oder beruflichen Gründen unmöglich. Außerdem ist das Gesetz eine Bevormundung. Ich muss zum Beispiel jetzt jedes Jahr zu einer Gesundheitsberatung - gezwungenermaßen. Das heißt, ich muss mir jedes Jahr aufs Neue wie ein Kleinkind ganz viel über Gesundheit und ansteckende Krankheiten von einer Sozialarbeiterin anhören. Wenn ich da nicht hingehe, verliere ich meine offizielle Arbeitserlaubnis. Ich kenne viele Kolleginnen, die gerne in einem Studio oder in einem Bordell arbeiten würden – das geht aber nicht, weil sie keine Registrierung möchten. Dafür gibt es unterschiedliche Gründe, unter anderem Datenlecks. Eine Kollegin wurde mal auf der Autobahn von einem Polizisten kontrolliert. Der wusste genau, was sie tat und sprach ihren Beruf an, obwohl ihr Beifahrer nichts davon wissen durfte. Wir können diesem Staat also nicht vertrauen. Unter dem Prostituiertenschutzgesetz gibt es jetzt zwei Klassen von Sexarbeiterinnen, die angemeldeten und die nicht angemeldeten.

Warum glaubst du, dass die Gesetzeslage sich derzeit verschärfen könnte?
Der CDU-Mitbegründer und ehemalige Bundespräsident der BRD Gustav Heinemann hat mal gesagt: "Man erkennt den Wert einer Gesellschaft daran, wie sie mit den Schwächsten ihrer Glieder verfährt". Wir Prostituierten gehören zu den am stärksten marginalisierten Gliedern der Gesellschaft. Dass ausgerechnet wir jetzt so heuchlerisch indirekt angegriffen werden, ist ein Symptom unserer Zeit und ein Zeichen dafür, wie weit sich CDU und SPD vom Geist ihrer Gründerväter entfernt haben. In meinen Augen ist das ein reaktionärer Trend. Die AfD hat die Grenze des Sagbaren verschoben und die SPD und die CDU versuchen jetzt auf dem Rücken von gesellschaftlichen Randgruppen, ihre konservative Stammwählerschaft zu mobilisieren. Durch die Unsicherheiten der globalisierten Welt erscheinen einfache Lösungen attraktiv: Burkas verbieten, Nutten verbieten. Für mich ist das eine faschistoide Tendenz, die wir gerade erleben.

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Was würdest du dir von der Politik im Umgang mit dem Thema Sexarbeit wünschen?
Redet mit uns und nicht über uns. Der Berufsverband für sexuelle Dienstleistungen ist offen für Gespräche.

Du bist Mitglied im Berufsverband für erotische und sexuelle Dienstleistungen. Macht ihr Lobbyarbeit?
Ja, wir sind ein sehr diverses Bündnis, vom Tantra-Masseur über die Straßenhure bis zur Domina, und haben konkrete Ziele an die Politik formuliert. Wir wollen weder das Prostitutionsschutzgesetz noch das Schwedische Modell in Deutschland. Wir fordern ein flächendeckendes Beratungsnetz. Wir wollen Gesundheitsangebote, aber freiwillig. Wir fordern eine Professionalisierung für den Beruf, das bedeutet Ausbildungsmöglichkeiten, zum Beispiel Deutschkurse für Migranten und Migrantinnen. Außerdem möchten wir zumutbare Umstiegsmöglichkeiten.

Keine Frau hört mit der Sexarbeit auf, wenn man ihr einen Putzjob für 1,50 Euro die Stunde anbietet. Wir haben auch einen sehr ketzerischen Vorschlag: Die Frauen, die umsteigen wollen, haben eine unglaubliche Expertise im erotischen Bereich. Wir könnten uns vorstellen, diese Frauen im Bildungsbereich einzusetzen. Das könnte in der Erwachsenenbildung sein, aber auch im Sexualkundeunterricht an Schulen. Auf der kulturellen Ebene wünschen wir uns eine Entstigmatisierung und eine Aufwertung des Berufes. Wir wünschen uns, dass Sexarbeit als eine soziale und künstlerische Tätigkeit wertgeschätzt wird, dass sie unter den „freien Berufen“ gefasst wird.

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