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Wer ist Herbert Kickl?

Er sieht aus wie Reinhard Mey, sitzt am liebsten nahe am Torpedoraum und kämpfte früher mit Ex-Grünen-Chefin Eva Glawischnig um die Rolle des Klassensprechers.
Herbert Kickl im interview über seine burschenschaft und familie

"Kickl sieht ungefähr so bedrohlich aus wie Reinhard Mey", schrieb der Standard im Frühling 2009 über den Generalsekretär der FPÖ, der achteinhalb Jahre später – in der letzten Adventswoche 2017 – zum neuen österreichischen Innenminister ernannt wurde und seither für Furore bei seinen Gegnern sorgt. Doch wer ist der Mann mit Nickelbrille, der gerne Jeans, weiße Hemden und Sportschuhe trägt? Wer sind seine Gegner und warum löst der nunmehr als Innenminister vereidigte Langzeitpolitiker solches Unbehagen bei ihnen aus? Wir haben uns auf die Suche nach Antworten gemacht.

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Hört man sich an, was frühe und spätere Wegbegleiter über ihn zu sagen haben, zeichnet sich ein aus heutiger Sicht fast irrwitzig dialektisches Bild: Da sind Kickls ehemalige Schulkollegen, die mit ihm gemeinsam im Gymnasium in Spittal an der Drau die Schulbank drückten und zu denen auch die ehemalige Chefin der Grünen, Eva Glawischnig zählt. Über sie sagt Kickl: "Sie ist eine von mir geschätzte Schulkollegin, aber politisch vertreten wir eine diametral andere Sicht."

Zu Schulzeiten gewann meist Eva Glawischnig die Wahlen. Heute hat sich das Blatt gewendet.

Kickl und Glawischnig kämpften beide um das Amt des Klassensprechers. Beide galten als selbstbewusst und zielstrebig. Beiden wurde schon früh ein rhetorisches Talent bescheinigt. Beide schrieben so gut, dass die strenge Deutschlehrerin ihre Aufsätze als Positivbeispiel der Klasse vorlas. Beide waren gut in die Klasse integriert. Kickl galt unter seinen Mitschülern als sozial und hilfsbereit, entstammt einer unpolitischen Arbeiterfamilie und hatte ein Faible fürs Militär. Glawischnig ist musikalisch begabt, ihre Familie besaß ein Wirtshaus und stand dem freiheitlichen Lager nahe. Glawischnig gewann zu Schulzeiten meist die Wahlen.

Heute hat sich das Blatt gewendet. Glawischnig hat mit ihrem autoritären Kurs die Grünen an die Wand gefahren. Kickl hingegen erringt für die FPÖ einen Etappensieg nach dem anderen. Aber auch er gilt als autoritär. "Wenn er seine Positionen darlegt, ist es mucksmäuschenstill, und Strache und Hofer sitzen da wie die Schulbuben", berichtet aktuell zum Beispiel ein Verhandlungsteilnehmer der Koalitionsverhandlungen gegenüber dem Magazin Trend . Geblieben ist die Dialektik. Nicht nur, weil Kickl von sich selbst behauptet, eine Spannweite von ordungspolitisch rechts bis sozialpolitisch links zu haben und sich "auch gerne immer wieder in marxistische Dialektik" vertieft. Der Zyniker Kickl liebt das Spiel mit Polaritäten und weiß die polarisierende Wirkung seiner Politik geschickt zu nutzen.

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Mit seinen zynischen Zuspitzungen und Wortspielen und dem bewussten Einsatz von Sprache an der Schmerzgrenze fängt der Autor von Wahlkampfslogans wie "Daham statt Islam" und "Abendland in Christenhand" nicht nur zahlreiche Stimmen, sondern provoziert auch geschickt seine Gegner. Der sonst eher unaufgeregte Ex-Nationalratsabgeordnete Dieter Brosz (Grüne) bezeichnete Herbert Kickl zum Beispiel als "Populisten der übelsten Sorte" und als "Schreibtischtäter" und ausgerechnet jener Mann, der Kickl nun als Innenminister angelobt hat, sagte noch 2016 gegenüber dem Profil : "Ich habe es aufgegeben, über verletzend gemeinte Äußerungen von Herrn Kickl nachzudenken."

"Der Wiener Landtagsabgeordnete Peko Baxant (SPÖ) zog in einem fragwürdigen Vergleich sogar Parallelen zwischen Kickl und dem NS-Propagandaminister Joseph Goebbels. Der Vergleich mit Goebbels ist allerdings nicht neu: Kickls Karriereaufschwung begann als Redenschreiber für Jörg Haider. Diesen ließ er 2001 bei dessen traditionell ausfälliger Aschermittwochsrede über den damaligen Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde, Ariel Muzicant, sagen, er könne nicht verstehen, wie "einer der Ariel heißt, so viel Dreck am Stecken" haben könne. Ariel Muzicant revanchierte sich Jahre später: "Wenn ich den Herrn Kickl höre, erinnert mich dieses Gehetze und die Sprache an Joseph Goebbels."

Wie und wo sich Herbert Kickl den antisemitischen Angriff auf Muzicant ausgedacht hat, ist nicht bekannt. Strache behauptet gar, er stamme gar nicht aus der Feder Kickls. Glaubt man allerdings Stefan Petzner, der in Kärnten gemeinsam mit Kickl ein Stück des politischen Karriereweges ging, sollen Kickls "beste" Sprüche im Suff entstanden sein.

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Kickls damals noch junge Karriere erhielt aufgrund der Aussage allerdings einen Dämpfer. Die damalige schwarz-blaue Koalition konnte sich einen solchen Skandal nicht leisten und Kickl wurde kurzer Hand in sein Heimatbundesland Kärnten verbannt. Begonnen hatte Kickls Aufstieg dennoch unter Jörg Haider, von dem er schon als Jugendlicher fasziniert war. "Der junge Jörg Haider hat mich als Schüler sicher interessiert", erklärte Kickl in November 2017 gegenüber Trend . "Das war alles ganz anders als bei meinen Lehrern, die fast alle links waren, auf eine billige Art links."

Nach der Schule verpflichtete sich Kickl für ein Jahr bei den Gebirgsjägern. Die Lust auf das Militär verging ihm allerdings und er begann ein Philosophiestudium in Wien. Die Diplomarbeit über Hegels Phänomenologie steht bis heute aus. Über die Zeit an der Uni sagt der von Platon, Luther, Rousseau und Kant inspirierte Rechtshegelianer und spätere Haiderianer heute: "Das Institut war stark links geprägt, aber es gab einen konservativen Professor, der für mich sicher zum wichtigsten Lehrer wurde." Sieben Jahre nach seiner Immatrikulation an der Uni Wien bewarb sich Herbert Kickl schließlich bei der FPÖ. Angeblich mit den Worten: "Ich kann nix, aber ich kann alles lernen." Am Anfang kochte er Tee für Jörg Haider. Bald schrieb er dessen Reden.

Am Anfang kochte er Tee für Jörg Haider. Bald schrieb er dessen Reden.

Als es 2005 zur Spaltung innerhalb der FPÖ kam und Jörg Haider schließlich das BZÖ gründete, trennten sich die Wege Kickls und Haiders. Kickl begründete das mit der destruktiven Haltung Haiders gegenüber dem aufstrebenden, jungen Heinz-Christian Strache. Haider fallen zu lassen und stattdessen auf den Newcomer Strache zu setzen, sollte sich jedenfalls als wohl wichtigster Schachzug Kickls erweisen. Fünf Jahre später, im Jahr 2010, holte die FPÖ unter Strache bei den Wiener Landtagswahlen fast 26 Prozent. Der dominierende und viel diskutierte Wahlkampfslogan der FPÖ "Mehr Mut für unser Wiener Blut" entstammte abermals der Feder Herbert Kickls. Seither gilt Kickl als Mastermind der FPÖ. Stefan Petzner sagte sogar: "Er ist Straches Hirn, der heimliche Parteichef." Fest steht: Bei jeder wichtigen Entscheidung innerhalb der Partei entscheidet Kickl mit.

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Trotz des unbestreitbaren Erfolges blieb Herbert Kickl allerdings in der zweiten Reihe. Dass er die Öffentlichkeit scheuen würde, ist übertrieben. Ein Erfolgsbad in der Menge nahm er allerdings noch nie und dass er seit Jahren als Zuarbeiter Straches gilt, stört ihn nicht im Geringsten. "Wenn eine Partei ein Schiff ist, dann bin ich lieber im Maschinenraum als beim Captains-Dinner", erklärte Kickl einmal gegenüber dem Kurier. "Unter der Wasserlinie" sei außerdem "der Torpedoraum", so Kickl. Dort fühlt sich der blaue General sichtlich wohl.

Seit 2006 sitzt Kickl für die FPÖ im Nationalrat. Seither schießt er seine polemischen und polarisierenden Verbalattacken in aller Schärfe auf seine Gegner. In offener Feindschaft steht er dabei zu "der Linken", wobei das immer die Grünen sind, manchmal die SPÖ und hin und wieder auch die ÖVP. Im Zuge solcher Kickl'schen Wortgewalten kann es schon vorkommen, dass selbst Politikern wie Josef Cap vorgeworfen wird, zu einem "zweiten Ansatz der marxistischen Weltrevolution" auszurücken.

Wie verhasst Herbert Kickl die linken "Willkommensklatscher", "Gutmenschen" und die "frustrieten, dauerbetroffenen Roten und Grünen" mittlerweile sind, machte er im Herbst 2016 deutlich: Damals trat Kickl beim rechtsextremen Kongress der "Verteidiger Europas" auf und hielt eine Rede, deren vorrangiger Inhalt aus einem Angriff auf alles links von ihm bestand.

Bis dahin war Kickl trotz seiner oftmals extremen Ausdrucksweise und seinem Hass auf die "beliebige Linke" im Gegensatz zu vielen anderen freiheitlichen Spitzenpolitikern nicht mit Kontakten zu rechtsextremen Gruppen und Personen aufgefallen. Selbst mit den sonst innerhalb der Partei sehr beliebten Burschenschaften kann der Stratege persönlich wenig anfangen: "Das ist nicht meine Welt. Aber ich habe vor jedem Respekt, der das will. Wir sind nicht umsonst eine Partei, die Freiheit im Namen trägt", erklärte er 2014 gegenüber der Presse .

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Wer daraus jedoch schließt, Kickl gehöre zum immer kleiner werdenden liberalen Flügel der FPÖ, liegt aber falsch. "Kickl hat immer wieder fast gleichlautende parlamentarische Anträge eingebracht, die einzig auf das Verhältnis Inländer und Ausländer abzielten", erinnert sich Judith Schwentner, die für die Grünen mit Kickl im Sozialausschuss saß, im Gespräch mit Trend. Innerhalb der Partei gilt Kickl als unnahbar und im Umgang schwierig. Gleichzeitig wird ihm aber ein scharfer Verstand und ein besonderes Gespür für Sprache nachgesagt. Dass Kickl ein kluger Stratege ist, ist unumstritten.

Nun ist Herbert Kickl nach 22 Jahren in der Politik zum Innenminister aufgestiegen. Es ist der bisherige Höhepunkt seiner Karriere und das erste Mal, dass sich der rhetorische Scharfmacher heraus aus seiner Komfortzone als Radikaloppositioneller wagen muss.

"In einer Regierungspartei hätte einer wie er nichts mehr zu tun."

"In einer Regierungspartei hätte einer wie er nichts mehr zu tun", schrieb das Profil 2013. Dass er nun den Posten des Innenministers zugespielt bekommen hat, hat viele überrascht. Glaubt man manchen Medienberichten, soll die Freude Kickls über das Amt wenig groß gewesen sein. Vielleicht auch, weil durch den Aufstieg zum Minister und den damit verbundenen Verlust der Immunität ein altes Korruptionsverfahren wieder aktuell werden könnte.

Nach einer Razzia in Klagenfurt 2013 wurde Herbert Kickl Verstrickung in illegale Parteifinanzierungen vorgeworfen. Konkret ging es dabei um sogenannte Kick-Back-Zahlungen einer Werbeagentur an die FPÖ, deren Miteigentümer Kickl gewesen sein soll. Einem Auslieferungsbegehren der Korruptionsstaatsanwaltschaft wurde damals aufgrund Kickls parlamentarischer Immunität nicht nachgekommen. Das könnte sich nun ändern.

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Die Sorge, dass mit Innenminister Kickl eine Wende in Richtung autoritärem Polizeistaat kommen könnte, ist unter seinen Gegnern jedenfalls groß. Zuletzt sprach etwa der Ex-SPÖ-Vizekanler Hannes Androsch von "Skepsis, Besorgnis und Beunruhigung". Dass die Sorge keineswegs unbegründet ist, zeigte Kickl bereits am ersten Tag im Amt, indem er Alexander Höferl zu seinem Kommunikationschef ernannte.

Höferl war zuvor unter anderem Chefredakteur der ultrarechten Plattform unzenusriert.at, die immer wieder mit ausländerfeindlichen und rassistischen Beiträgen auffällt und Verbindungen zur rechtsextremen Szene hat. So ist die Seite zum Beispiel "offizieller Medienpartner" des im Frühjahr 2018 erneut in Linz stattfindenden rechtsextremen Kongress der "Verteidiger Europas".

Mit Staatssekretärin Karoline Edtstadler von der ÖVP soll Kickl allerdings eine Art Aufpasserin an die Seite gestellt bekommen haben. Sie ist unter anderem für die Holocaust-Gedenkstätte Mauthausen zuständig, deren verantwortungsvolle Betreuung Herbert Kickl offenbar nicht zugetraut wurde. Kickls Gegner beruhigt das freilich nur wenig. Edstadler, die bisher für den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gearbeitet hat, erklärte zuletzt, sich der Europäischen Menschenrechtskonvention verpflichtet zu fühlen. Genau die wollte Herbert Kickl allerdings noch im August 2015 in eine "österreichische Menschenrechtskonvention" umwandeln.

Paul auf Twitter: @gewitterland

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