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Sexuelle Gewalt

Mutmaßlicher Vergewaltiger wird freigesprochen, weil die Frau nicht schrie

Das Brandenburger Gericht argumentierte, dass dem Angeklagten seine Tat vielleicht nicht bewusst war.
Symbolfoto: Pixabay | Counselling | CC0

Eigentlich sollten der 39-jährige Christoph F. und seine 28-jährige Kollegin im November 2017 anderen Familien dabei helfen, Gewalt zu vermeiden. Dafür hatten der Erlebnispädagoge und die Bildungswissenschaftlerin die betroffenen Familien in ein Tagungszentrum in einem Naturpark in Brandenburg eingeladen. Darüber, was dort passiert sein soll, verhandelte am vergangenen Dienstag das Amtsgericht Brandenburg an der Havel: Die Pädagogin sagte aus, Christoph F. sei nachts in ihr Zimmer gekommen und habe sie vergewaltigt. Der Angeklagte leugnete das und sprach von "einvernehmlichem Sex". Die Richterin gab zu verstehen, dass sie der Darstellung der Frau glaube. Trotzdem sprach sie Christoph F. frei.

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Wie die Märkische Allgemeine Zeitung ( MAZ) berichtet, kennen sich F. und seine Kollegin bereits seit mehreren Jahren: Er habe einen erlebnispädagogischen Verein gegründet. Die 28-Jährige, eine Bildungswissenschaftlerin und erlebnispädagogische Trainerin, habe für und mit ihm gearbeitet. Doch rein professionell soll das Verhältnis der beiden Kollegen nicht immer gewesen sein: 2015 sollen F. und die Frau einvernehmlichen "sexuellen Kontakt" gehabt haben und sich bei einem Teamtreffen ein Jahr später erneut näher gekommen sein. Als die Lebenspartnerin von F. davon erfahren habe, hätte man die Affäre beendet.

Danach soll F. noch einmal versucht haben, mit der Kollegin intim zu werden. Sie habe abgelehnt, er habe es akzeptiert. Wie die MAZ schreibt, habe man sich damals auf ein kollegiales Verhältnis geeinigt. Als die beiden im November 2017 mit zwei alleinerziehenden Frauen und deren Kindern in eine vom Jugendamt finanzierte Familienfreizeit im brandenburgischen Hohen Fläming fuhren, hätten die Grenzen deshalb eigentlich klar sein müssen. Doch F. hat sich offenbar trotzdem nicht an sie gehalten.

F. soll nachts ins Zimmer der Kollegin gekommen und sie vergewaltigt haben

Wie die Frau laut MAZ vor dem brandenburgischen Amtsgericht ausgesagt hat, soll F. bereits am Tag vor der mutmaßlichen Tat seine Hand auf den Oberschenkel der Kollegin gelegt haben, während diese im Whirlpool auf eines der Kinder aufpasste. Sie habe ihm mit Blicken zu verstehen gegeben, dass er eine Grenze überschritten habe. Doch F. will die Ablehnung offenbar nicht richtig gedeutet haben – und soll in der Nacht nach dem Vorfall sogar gewalttätig geworden sein.


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Vor Gericht habe die Frau geschildert, wie F. in ihr Zimmer gekommen sei, während sie bereits geschlafen habe. Er habe sich zu ihr ins Bett gelegt, sie sich im Halbschlaf von ihm weggedreht. Trotzdem sei ihr Chef nähergerückt, habe sie mehrfach angefasst und versucht, ihr T-Shirt auszuziehen. Immer wieder habe sie sich gewehrt und seine Hände weggedrückt. Dann habe F. ihren Hals gepackt und sie vergewaltigt.

Die Pädagogin erklärte vor Gericht, sie habe sich aus Angst vor Gewalt passiv verhalten

Nach eigenen Angaben hat die 28-Jährige während der mutmaßlichen Vergewaltigung kein Wort gesagt. "Ich habe so große Angst vor schlimmer Gewalt gehabt", zitiert die MAZ die Frau, "diese Angst lähmt den Körper." Sie habe in der bedrohlichen Situation keine andere Chance gesehen, als sich passiv und still zu verhalten – ihrem mutmaßlichen Angreifer dabei aber deutlich signalisiert, "dass ich nicht will". Zehn Tage später habe sie mithilfe eines Vereins für Betroffene Anzeige gegen F. erstattet.

F. wollte sich in der Verhandlung am vergangenen Dienstag nicht zu den Vorwürfen äußern. Laut MAZ erklärte sein Verteidiger allerdings, der Pädagoge habe "null Bewusstsein, dass er sie vergewaltigt hat". Das Gericht habe der Frau zwar geglaubt, heißt es in der Zeitung. Es sei allerdings nicht ausreichend nachweisbar, dass F. erkannt habe, dass er seine Kollegin vergewaltigte. Weil so viele Zweifel bestünden, müsste er freigesprochen werden.

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Erst im November 2016 trat in Deutschland ein Gesetz in Kraft, das Betroffene in Fällen wie dem gerade verhandelten helfen soll. Das "Gesetz zur Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung" macht sexuelle Handlungen gegen den Willen der betroffenen Person auch dann strafbar, wenn diese sich nicht nachweislich körperlich gewehrt hat. "Nein heißt Nein", das gilt jetzt also auch per Gesetz. Nur bedeutet das nicht, dass alle Täter und Täterinnen auch verurteilt werden. Gerade Delikte, bei denen mutmaßliche Täter und Betroffene schon eine sexuell einvernehmliche Vorgeschichte hätten, seien schwer nachweisbar, so Forschende der Kriminologischen Zentralstelle gegenüber der Zeit.

Bereits im April 2017 sprach das Amtsgericht Brandenburg an der Havel einen Mann in einem ähnlichen Fall frei. Damals erklärte die Pressesprecherin gegenüber VICE, die mutmaßliche Geschädigte hätte nicht ausreichend deutlich zu Verstehen gegeben, dass sie nicht mit dem Angeklagten schlafen wolle. "Somit konnte man nicht ausschließen, dass es sich um einen Irrtum gehandelt hat", so die Pressesprecherin.

Im Fall der mutmaßlichen Vergewaltigung durch Christoph F. konnte die Pressesprecherin des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel die Urteilsbegründung bislang noch nicht kommentieren. Sie bestätigte lediglich, dass F. tatsächlich freigesprochen wurde. Das Urteil sei noch nicht rechtskräftig. Die Staatsanwaltschaft Potsdam, die Hauptklägerin im Verfahren, wolle Berufung einlegen. Vielleicht nimmt dann auch Christoph F. die Gelegenheit wahr zu erklären, wie er auf die Idee kam, sich nachts in das Zimmer seiner Kollegin zu schleichen.

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