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armageddon

6 Ereignisse auf der Münchner Sicherheitskonferenz, die zeigen, dass die Welt am Abgrund steht

"Wir brauchen mehr Panzer und weniger Denkfabriken", sagte Polens Ministerpräsident – und gab damit das inoffizielle Motto vor.
Fotos Politiker: imago 

Das ist das Idealbild einer Münchner Sicherheitskonferenz: Staatschefs, Diplomaten und Wissenschaftler kommen zusammen und denken gemeinsam darüber nach, wie sie die Konflikte auf der Welt lösen können. Es geht respektvoll zu, alle sind gut angezogen, und in den mit Goldstuck verzierten Hinterzimmern des Bayerischen Hofes können die Delegationen in Ruhe Kompromisse aushandeln, die unseren Planeten sicherer machen. Eine schöne Utopie.

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Und das ist am Wochenende wirklich passiert: Dutzende Staatschefs sind gar nicht erst gekommen. Die, die da waren, haben sich hauptsächlich gegenseitig ignoriert, vom Rednerpult beschimpft, bedroht oder als Comicfiguren bezeichnet. Das offizielle Motto lautete "Zum Abgrund – und wieder zurück?". Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki fand einen passenderen Leitspruch, als er in seiner Rede "mehr Panzer und weniger Denkfabriken" forderte.

Die Konferenz war so ergebnislos, dass selbst der Gastgeber Wolfgang Ischinger danach gar nicht erst versuchte, seine Enttäuschung zu verbergen. "Tut mir leid, aber die Dinge werden schlechter, nicht besser", schrieb er auf Twitter. "Das Risiko steigt. Zurück vom Abgrund? Nicht wirklich!" Der Analyst Tobias Bunde wurde ebenfalls deutlich: "Viele Reden auf der Konferenz haben nur Öl ins Feuer gegossen."

Das sind sie, die absoluten Tiefpunkte dieser Konferenz:

1. Benjamin Netanjahu droht dem Iran mit Krieg

Der israelische Premier hat auf jeden Fall den Preis für die dramatischste Inszenierung von Altmetall gewonnen: Mitten in seiner Rede griff er unter sein Pult und holte etwas hervor, das er als Teil der iranischen Drohne bezeichnete, die vor Kurzem in den israelischen Luftraum eingedrungen war und dort abgeschossen wurde.

"Mister Sarif, erkennen Sie das wieder? Es gehört Ihnen!", rief Netanjahu dem iranischen Außenminister Mohammed Dschawad Sarif zu. Und er gab dem Iraner gleich noch "eine Botschaft für die Tyrannen in Teheran" mit: "Stellen Sie nicht Israels Entschlossenheit auf die Probe!" Dazu bezeichnete er den Iran als "größte Bedrohung für diese Welt" und erklärte, man werde in der Not "auch den Iran selbst angreifen".

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2. Der Iraner verglich Netanjahus Rede mit "Zirkus"

Sarif war davon offenbar nicht besonders beeindruckt. Statt zu erklären, was die Drone im israelischen Luftraum zu suchen hatte, bezeichnete er Netanjahus Auftritt als "Zirkus wie in einem Comic". Schuld an den Unruhen in der Region seien die USA und Israel, das "beinahe schon Routinebombardierungen in Syrien" durchführe und generell nur dadurch auffalle, seine Nachbarn zu terrorisieren.

Dass Israel und Iran sich rhetorisch an die Gurgel gehen, ist zwar nichts Neues. Aber so nahe davor, in einen neuen Krieg in der Region hineingezogen zu werden, war Israel schon lange nicht mehr.

3. Cem Özdemir musste von der Polizei beschützt werden – vor türkischen Bodyguards

Auch noch nie passiert: Cem Özdemir wurde unter Polizeischutz gestellt – weil er zufällig im selben Hotel untergebracht war wie die türkische Delegation um Premierminister Binali Yıldırım. Die türkische Regierung hasst Özdemir besonders, weil er die AKP und den Präsidenten Erdoğan immer wieder scharf kritisiert. Als die Türken den Grünen bemerkten, regten sie sich dermaßen über den "Terroristen" in ihrem Hotel auf, dass die Münchner Polizei offenbar beschloss, Özdemir besser schützen zu müssen – er durfte nicht mal mehr ans Frühstücksbuffet, berichtet die Welt.

4. Die Amerikaner haben so gut wie gar nichts gesagt

Besonders auffällig war die Stille der USA. Der Verteidigungsminister James Mattis war zwar da, sagte aber öffentlich gar nichts. Stattdessen hielt Donald Trumps Sicherheitsberater Herbert Raymond McMaster eine Rede, in der er vor allem weitere Drohungen gegen Nordkorea aussprach. "Die Sprachlosigkeit […] illustrierte, wie sehr sich die USA als internationale Ordnungsmacht verabschiedet haben", schreibt Spiegel Online.


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Ach ja: McMaster erklärte in seiner Rede außerdem, dass die USA an ihren Plänen festhalten wollen, neue Atomwaffen zu entwickeln, um "die Abschreckungskraft der USA" zu erhöhen.

5. Die Russen wollen aufrüsten

Der russische Außenminister Sergei Lawrow war zwar da und hat auch gesprochen, allerdings hat das auch niemandem wirklich geholfen. Wie immer kritisierte er die NATO, erklärte, man werde jetzt mit der Nuklear-Aufrüstung der USA mitziehen müssen – und warnte Europa vor einer Rückkehr in die Nazizeit.

Außerdem erinnerte er die EU daran, dass es "kontraproduktiv" sei, sich in die Politik in Osteuropa einzumischen (also zum Beispiel: gegenüber der Ukraine eine EU-Mitgliedschaft auch nur zu erwähnen). Allerdings scheint die EU sowieso nicht mehr allzuviel Interesse an der Ukraine zu haben, denn …

6. Der deutsche Außenminister hat ein Ukraine-Treffen platzen lassen, um sich stattdessen für Deniz Yücels Freilassung zu feiern

Eigentlich hätte es bei dieser Münchner Sicherheitskonferenz auch zum ersten Treffen der Außenminister des "Normandie-Formats" – Deutschland, Frankreich, Ukraine und Russland – seit einem Jahr kommen sollen.

Als am Freitag aber bekannt wurde, dass der Journalist Deniz Yücel nach über einem Jahr aus der türkischen Untersuchungshaft entlassen worden war, sagte Gabriel das Treffen offenbar kurzfristig ab, um nach Berlin zu fliegen und dort an der Befreiungs-Pressekonferenz teilzunehmen. Man kann das verstehen: So eine Pressekonferenz ist gute PR – und die kann Gabriel gerade ziemlich gebrauchen. Allerdings wäre es vielleicht trotzdem sinnvoller gewesen, sich darum zu kümmern, dass der immer noch am Rande Europas schwelende Krieg irgendwann ein Ende findet – vor allem, da es nach dieser Konferenz nicht so aussieht, als ob uns die Kriege bald ausgehen würden.

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