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Autoritär-Journalismus

Die 'Bild' macht Jagd auf Steinewerfer – mit Erfolg

Ein 19-Jähriger hat sich gestellt. Warum ihr trotzdem nicht bei der Hetzjagd mitmachen solltet.

Die Bild kann ihr Glück selbst kaum fassen: "G20-Steinewerfer hat sich nach Bild-Bericht gestellt!" triumphiert die Zeitung am Dienstagmorgen – und schiebt dann gleich noch "Er heißt Kevin, ist 19 und wohnt bei seiner Oma" hinterher. Ein Fest für die Leser auf Facebook, die den jungen Mann mit Häme überschütten: "Randalierer Kevin scheißt sich jetzt in die Hose, die Oma dann waschen muss", schreibt einer, "schwanzloses Muttersöhnchen" ein anderer.

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Für die Bild ist das ein großartiger Coup: Erst gestern hatte sie den jungen Mann auf die Titelseite geklatscht, darunter die riesige rote Überschrift "Gesucht! Wer kennt diese G20-Verbrecher?". In dem Artikel veröffentlichte die Zeitung dann noch Fotos von 17 weiteren Personen, die sich offenbar an den Randalen in Hamburg beteiligt hatten – wobei es nicht nur Steinewerfer an den Bild-Pranger geschafft haben, sondern auch eine Frau, die offenbar zwei Flaschen Kindersekt im Wert von 4,78 Euro aus einem geplünderten REWE mitgehen lässt.

Die Bild macht also wieder einmal das, was sie schon immer macht: ihre enormen Ressourcen dafür einsetzen, den Willen des "Volkes" zu bedienen – oder was sie dafür hält. In diesem Fall ist das eben der Ruf nach Bestrafung der G20-Randalierer. Und weil die Furcht so groß ist, dass die Polizei es nicht schafft, diese Leute alle selber dingfest zu machen, hilft die Bild eben nach. Ist ja auch gar nicht schwer: Es gibt aus Hamburg genug Fotos von Unvorsichtigen, die sich nicht gut genug vermummt haben. Man muss sie einfach nur drucken.

Das Problem ist: Nur weil es einfach ist, ist es nicht richtig. In diesem Fall ist es sogar ziemlich beschissen, wenn die auflagenstärkste Zeitung des Landes anfängt, öffentlich Polizeiarbeit zu machen und Fahndungsaufrufe auszuschreiben. Erstens, weil das einfach nicht die Aufgabe der Presse ist: Sie soll beobachten, berichten und kontrollieren – aber nicht der Strafverfolgung Aufgaben abnehmen. Die Polizei selbst zum Beispiel darf erst dann öffentliche Fahndungen ausschreiben, wenn es um "Straftaten von erheblicher Bedeutung" geht, und auch dann nur mit richterlichem Beschluss.

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Zweitens ist es ein Riesen-Problem, wenn die Bild öffentlich Dutzende Menschen an den Pranger stellt und als "Verbrecher" betitelt, obwohl noch keiner von ihnen wegen irgendwas verurteilt wurde. In unserem Rechtsstaat gilt aber erst der als Verbrecher, der von einem unabhängigen Gericht (und nicht von der Bild-Redaktion) verurteilt wurde – bis dahin gilt die Unschuldsvermutung. Die Frau, die mit zwei Flaschen Kindersekt abgehauen ist, hätte zum Beispiel gute Chancen auf eine Einstellung des Verfahrens gehabt, wenn das ihr erster Ladendiebstahl gewesen sein sollte – für die Bild ist sie trotzdem jetzt schon eine "Verbrecherin".

Das ist übrigens nicht das erste Mal, dass die Bild so eine groß angelegte Pranger-Aktion bringt. Im Oktober 2015 veröffentlichte die Zeitung einen großen Artikel, in dem sie Menschen, so die eigene Überschrift, "an den Pranger" stellte, die auf Facebook menschenverachtende Kommentare über Flüchtlinge abgelassen hatten – und zwar mit vollem Namen. Und auch wenn das damals viele in Ordnung fanden, weil es ja gegen Rechte ging – scheiße war es damals schon. Erstens, weil auch diese Leute Persönlichkeitsrechte haben und auch für sie die Unschuldsvermutung galt. Und zweitens, weil die Bild einige dieser Kommentare durch ihre ausländerfeindliche Berichterstattung selbst provoziert hatte.

Was für Instinkte die Bild mit dieser neuen Aktion bedient, zeigt sich in den Kommentarspalten auf Facebook: "Solches Pack gehört zum Finalen Schuss freigegeben", schreibt da einer, "Bei sowas bin ich dafür das die Polizei scharfe Waffen einsetzen darf" ein anderer. Selbst die Nachricht, dass Kevin sich gestellt hat, kommentiert ein besonders eifriger Ordnungsfanatiker mit den Worten "Sei froh, dass ich kein Kanzler bin. Ich hätte ein Bundewehr Fahrzeug ,für euch radikalen nur gebraucht und ein MG [bei allen Zitaten: sic!]".

Die Bild hat es also mal wieder geschafft, aus Wut und Hass Klickzahlen und Auflage zu zaubern – der "Verbrecher"-Artikel war am Montag der beliebteste Artikel in ganz Deutschland. Und gleichzeitig konnte sie sich noch als staatstreues Medium präsentieren. Da sind aber nicht alle dieser Meinung: Beim Presserat sind bereits zwei Beschwerden eingegangen, ein Sprecher hat in der Süddeutschen Zeitung bereits erklärt, dass er die Berichterstattung "diskussionswürdig" findet.

Übrigens: Über die zahlreichen dokumentierten Fälle von Polizeigewalt, die dieses Wochenende in Hamburg auch geprägt haben, hat die Bild genau null Artikel veröffentlicht.

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