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Umfrage

Wir haben Minijobber gefragt, ob sie "was Ordentliches" gelernt haben

"Was willst du Peter Tauber sagen?" – "Ich wünsche ihm, so eine Erfahrung zu machen, damit er demütiger wird." Minijobber antworten auf die Vorwürfe des CDU-Politikers, sie seien zu schlecht ausgebildet.
Foto: Lea Albring

Die Grundregeln für Politiker im Umgang mit dem Bürger klingen eigentlich nicht nach Rocket Science: 1. nett zu Wählern sein (vor allem kurz vor der Wahl); 2. ihnen das Gefühl geben, sie sind hart arbeitende Leute; 3. den Eindruck vermitteln: "Ich setz mich für dich ein."

Eine nicht so gute Idee: per Tweet einfach mal Millionen Menschen in schwierigen beruflichen Situationen vorwerfen, sie seien ungebildet und selbst schuld an ihrer Lage. Der CDU-Generalsekretär Peter Tauber hat allerdings genau das gestern getan.

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Tauber wollte für das Wahlprogramm der Union werben, das Deutschland die Vollbeschäftigung verspricht. Ein Twitter-Nutzer fragte darauf hin: "Heißt das jetzt drei Minijobs für mich?" Tauber antwortete:

Es wäre schön, wenn das Bedenklichste an diesem Tweet wäre, dass ein Generalsekretär über das Bildungsniveau von Menschen spekuliert, aber nicht weiß, dass "was Ordentliches" hier groß geschrieben wird. Deutlich besorgniserregender ist allerdings, dass ein Volksvertreter über die Biografien von Menschen spekuliert, von denen er offenbar keine Ahnung hat. Denn: Mehr als die Hälfte der Minijobber hat eine abgeschlossene Berufsausbildung.


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Tauber hat sich mittlerweile entschuldigt, für den Fall, dass er Menschen mit seinem Tweet verletzt hat. Was er ziemlich sicher auch hat. Denn: Minijobs sind für Studenten und Rentner zwar eine tolle Möglichkeit, ein paar hundert Euro dazu zuverdienen, ohne Abgaben zu zahlen. Für Millionen Menschen sind sie aber eine berufliche Sackgasse. Wer dauerhaft nur in Minijobs arbeitet, besitzt ein großes Risiko, im Alter arm zu sein. Die Aufstiegschanchen aus geringfügiger Beschäftigung sind schlechter als bei Vollzeit-Jobs. Die Stundenlöhne häufig nur wenig über dem Mindestlohn. Viele Frauen arbeiten in Minijobs, weil es die einfachste Möglichkeit ist, nach einer Kinderpause wieder in den Job einzusteigen oder weil ihnen schlicht eine Ganztagsbetreuung fehlt.

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Wir haben Minijobber gefragt, was sie von Taubers Tweet halten, und ob sie wirklich "nichts Ordentliches" gelernt haben.

Pedro (57): "Ich wurde dreimal an der Bandscheibe operiert. Jetzt kann ich nur noch wenige Jobs machen."

Foto und Interview: Lea Albring

VICE: Welchen Minijob machst du?
Pedro: Seit zwei Jahren fahre ich jeden Tag behinderte Menschen zur Arbeit, Montag bis Freitag. In der Woche komme ich so auf zehn Stunden, jeden Tag zwei. Dafür habe ich extra einen Personenbeförderungsschein gemacht.

Hast du noch andere Jobs?
Jeder Mensch möchte eine Beschäftigung haben, ich auch. Ich bin gelernter Schlosser, habe aber schon in vielen Bereichen gearbeitet, war Fabrikarbeiter, habe in Lagern Kisten gestapelt und war auch als Wachmann angestellt. Durch drei Operationen an der Bandscheibe hat mein Lebenslauf aber einige Lücken, ich kann nicht mehr jeden Job machen. So bin ich vor 16 Jahren beim Amt gelandet. Neben meinem Minijob berate ich meine Landsleute ehrenamtlich. Ich erkläre ihnen, wie die Behörden hier in Deutschland funktionieren. Das weiß ich, seitdem ich als 15-Jähriger mit meiner Mutter aus Portugal hierher kam.

Kannst du dir gerade einen Urlaub leisten?
Nein, in Portugal war ich seit zwölf Jahren nicht mehr. Das ist eine große Sehnsucht von mir. Klar, ich bekomme zwar Einladungen, aber ganz ohne Geld will ich niemandem auf der Tasche liegen. Dafür bin ich zu stolz.

Beate (59): "Ich habe nur Jahresverträge bekommen. Und der letzte wurde nicht verlängert."

Foto und Interview: Lea Albring

VICE: Seit wann machst du einen Minijob?
Beate: Ich arbeite an drei Vormittagen in der Woche in einer Kneipe, seit 2014. Da mache ich den Tresen sauber, fege den Boden, putze die Klos. Dafür bekomme ich 160 Euro im Monat zusätzlich zu Hartz IV.

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Warum bist du Minijobberin?
Ich habe einige Schicksalsschläge hinter mir, meine Tochter ist mit 23 ganz plötzlich gestorben. Das hat mich so aus der Bahn geworfen, dass ich einige Zeit nicht arbeiten konnte. So bin ich zum ersten Mal in Hartz IV gelandet.

Hast du "was Ordentliches" gelernt?
Ja, ich bin gelernte Altenpflegehelferin. In dem Job habe ich nach meinem Tief dann auch wieder gearbeitet. Allerdings habe ich da nur Jahresverträge bekommen und der letzte wurde dann einfach nicht mehr verlängert. Danach habe ich keinen Job mehr gefunden: Die Leute wollen 20-Jährige, die ohne Ende belastbar sind, aber dann bitte mit einem Erfahrungsschatz einer 60-Jährigen. Das kann keiner bieten.

Was möchtest du Peter Tauber gerne sagen?
Ich habe seine Aussage heute morgen im Radio gehört, als ich die Kneipe geputzt habe. Da wäre mir fast der Besen aus der Hand gefallen. Wenn jemand von oben herab so urteilt, dann ist das eine Frechheit. Mit vielen Menschen meint es das Schicksal nicht gut, ihre schlechte Jobsituation hat nichts mit einer "ordentlichen Ausbildung" zu tun. Ganz ehrlich: Ich würde dem Mann mal wünschen, so eine Erfahrung zu machen, damit er demütiger wird.

Susanne (41): "Ich muss raus und mit Menschen arbeiten."

Foto und Interview: Rebecca Baden

VICE: Hast du noch andere Jobs?
Susanne: Der Job hier als Verkäuferin ist mein einziger Minijob, aber ich habe noch eine richtige Arbeit. Seit 20 Jahren bin ich Flugbegleiterin.

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Warum machst du diesen Job?
Weil der Job als Vollzeit-Flugbegleiterin sehr anstrengend ist, arbeite ich dort lieber Teilzeit und dann die Hälfte der Zeit hier. So komme ich am Ende des Monats auf ein volles Gehalt, das ich auch brauche. Und es bringt mehr Abwechslung.

Wie viel verdienst du insgesamt?
Im Monat verdiene ich 2.000 Euro netto. Das ist auch etwa, was ich brauche. Mein Mann und ich haben zwei Kinder, die Privatschulen besuchen. Aber mein Mann verdient noch sehr gut. Von meinem Gehalt bleibt eher nichts übrig.

Hast du "was Ordentliches" gelernt?
Ich habe Steuerfachgehilfin gelernt und Eventmanagement studiert. Aber das war mir zu trocken. Ich muss raus und mit Menschen arbeiten.

Was ist deine Meinung zu Peter Taubers Tweet?
Für Politiker ist so eine Aussage natürlich einfach, die verdienen genug und müssen sich um Geld keine Gedanken machen. Es sollte doch jedem selbst überlassen sein, wie viele Minijobs er oder sie machen will.

Wenn du Tauber etwas sagen könntest, was wäre das?
Arschloch [flüstert].

Monika (31): "Ich habe in jedem Bereich schon einmal gearbeitet."

Foto und Interview: Anna Zanner

VICE: Seit wann hast du einen Minijob?
Monika: Ich arbeite seit Januar dieses Jahres als Verkäuferin, ein Mal in der Woche. Das mache ich auch nur noch bis Juli. Nebenbei bekomme ich Arbeitslosengeld.

Was hast du davor gemacht?
Ich habe sehr lange in der Gastronomie gearbeitet. Ich habe in jedem Bereich schon einmal gearbeitet. Nun ist der Einzelhandel dran.

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Wie viel hast du im Monat durchschnittlich zur Verfügung?
Abzüglich meiner Fixkosten bleiben mir etwa 500 Euro.

Kannst du dir einen Urlaub leisten?
Ich denke eigentlich nicht darüber nach, ob ich mir einen Urlaub leisten kann. Wenn ich Lust habe zu verreisen, richte ich das schon irgendwie ein. Ich habe da auch nicht so hohe Ansprüche.

Hast du "was Ordentliches" gelernt?
Ich bin gelernte Fremdsprachensekretärin, aber aktuell studiere ich wieder: deutsche Literatur- und Kulturwissenschaften.

Stimmst du dem zu, was Peter Tauber getweetet hat?
Von Politikern sollte man eigentlich erwarten, dass sie nachdenken, bevor sie solche Tweets absetzen. Das hat Herr Tauber leider nicht gemacht. Wer immer wohlhabend war, kennt andere Lebensformen nicht und kann auch nicht über sie urteilen. Vielleicht übersteigt das einfach seine Vorstellungen.

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