"Wie ein elendslanger Trip auf scheiß Drogen" – Eltern erklären, was Erwachsensein für sie bedeutet
Symbolfoto: imago | Westend 61;  Collage von VICE Media

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Erwachsenwerden

"Wie ein elendslanger Trip auf scheiß Drogen" – Eltern erklären, was Erwachsensein für sie bedeutet

Während wir schon an Steuererklärungen und Benzinpreis-Gesprächen scheitern, haben unsere Eltern noch Antworten. Oder?

Egal, ob ihr gerade an der Schwelle eurer ersten WG, am Scheideweg zwischen Matura und Lehre oder zum ersten Mal vor den Trümmern der Erkenntnis steht, dass auch eure Eltern kein Patentrezept für irgendwas im Leben haben: Was Erwachsensein bedeutet, hat sich wahrscheinlich jede und jeder schon einmal Gedanken gemacht.

Ist man automatisch erwachsen, wenn man aus dem Elternhaus auszieht? Und ist man es automatisch nicht, wenn man dann immer noch jeden zweiten Tag zuhause anruft, um sich Tipps beim Wäschewaschen zu holen? Braucht man eine Festanstellung? Merkt man die Reife einfach daran, dass man sich plötzlich für Benzinpreise interessiert?

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Heißt Erwachsensein auch, dass man endlich versteht, wie die Einkommenssteuererklärung funktioniert? Hat Erwachsenwerden mit Kinderkriegen zu tun? Oder – unsere schlimmste Befürchtung – wird man vielleicht nie richtig erwachsen und alle tun nur so, als hätten sie irgendeine Ahnung, was sie eigentlich treiben?


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Also haben wir die Menschen in unserem Leben gefragt, von denen wir glauben, dass sie am meisten Ahnung vom Erwachsenwerden haben – immerhin haben sie uns großgezogen, ohne dass wir vom Wickeltisch gefallen sind (zumindest glauben wir das) und haben geschafft, unsere Leben in halbwegs geregelte Bahnen zu lenken. Oder sie sind einfach nur ziemlich gut im Simulieren, aber wer will schon so genau sein.

Astrid, 51

VICE: Was bedeutet Erwachsensein für dich?
Astrid: Zuerst musst du einmal erwachsen werden. Und das ist umständlich. Im Nachhinein kommt es einem teilweise wie ein elendslanger Trip auf scheiß Drogen vor. Oft geniert man sich vor sich selbst, schämt sich dafür, wie man früher so drauf war und würde es genau deswegen sicher nicht noch mal so machen. Gleichzeitig ist es aber auch die Zeit, die am meisten Eindruck in deinem Leben hinterlässt. Es sind viele schöne Erinnerungen damit verbunden, von denen du den Rest deines Lebens zehrst. Es klingt abgedroschen, aber so schön wird’s nie wieder.

Was ändert sich, wenn man erwachsen ist?
Tipps zu geben ist genauso schwer, wie den Prozess des Erwachsenwerdens noch mal nachzuvollziehen. Aber ich denke, man sollte vieles viel entspannter angehen. Es geht so viel Energie in jungen Jahren verloren, weil man sich so unglaublich aufregen muss und vieles zu dramatisch nimmt. Heute komme ich mir teilweise vor wie ein Kifferin, so entspannt wie ich bin – und das tut so gut. Na gut, mein Leben war jetzt nicht das einfachste, aber vieles nimmt man mit der Erfahrung dann viel ruhiger.

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Was weiß man als Erwachsene und als Jugendliche nicht?
Wichtig finde ich, dass man so viel als möglich über den Tellerrand schaut – viele verschiedene Leute kennenlernt, in andere Kulturen schnuppert, unbedingt viel reist. Letzteres hab ich leider selbst zu wenig gemacht. Später kommst du oft nicht mehr dazu. Man kreist nicht mehr nur um sich selbst und lebt nicht mehr in seinem kleinen Universum. Genau so wichtig finde ich es, den eigenen Talenten und Vorlieben nachzugehen. Wenn du jung bist, steckt so viel Power in dir. Man ist mutiger, risikofreudiger. Dieses Potenzial sollte man unbedingt ausnützen.

Und noch was: Beziehungen, die einen runterziehen, sein lassen! Egal ob es eine Partnerschaft, Freundschaft oder vielleicht ein Job ist. Wirklich gut wird es dann eh nie, und das nimmt so viel Zeit und Energie in Anspruch, laugt dich aus und am Ende war’s dann eh für die Würste.

Boris, 53

VICE: Was bedeutet Erwachsensein für dich?
Boris: Mehr Verantwortlichkeit – für mich selber, die Familie und so weiter. Die Zeit der Unbekümmertheit ist vorbei. Entscheidungen werden von mir alleine getroffen. Mit den Konsequenzen der Entscheidungen muss ich in der Regel allein klar kommen.

Was ändert sich, wenn man erwachsen ist?
Der Widerstand gegen das Umfeld, wie die Eltern oder andere Autoritäten, lässt nach und man betrachtet die Ereignisse aus mehreren Perspektiven.

Was weiß man als Erwachsener, was man als Jugendlicher nicht weiß?
Dass das Leben nicht nur aus Party, Spaß und Freizeit besteht. Und: Beziehungsenttäuschungen, schulische Misserfolge oder Mangel an materiellen Gütern sind nicht das Ende der Welt.

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Bidong, 38

VICE: Was bedeutet Erwachsensein für dich?
Bidong: Ich reduziere das Erwachsenwerden auf eine einzige Aussage: Sei nicht so eine Pussy. Auch wenn es ein längerer Prozess war, dreht sich eigentlich alles im Kern darum, nicht mehr so ein egozentrischer, sich selbst bemitleidender Jammerlappen zu sein, der sein eigenes Gefühlsleben total überbewertet und insgeheim der Überzeugung ist, den echten Weltschmerz erfunden zu haben.

Was ändert sich, wenn man erwachsen ist?
Ich unterscheide zwischen erwachsen sein und alt sein. Erwachsen kann man sein, obwohl man jung ist, also superknackig, superfit und, naja, eben jung halt. Wenn man aber mittlerweile seine Geburtstage in mehr als zwei Dutzend angeben kann und täglich eine Rheumatablette einwerfen muss, steht man nur kurz vor der Inkontinenz und dem unwillkürlichen Sabbern beim Kacken.

Aber zurück zur Frage: Erwachsensein bedeutet für mich Freiheit. Keine finanzielle, weil ich am Anfang dieser Phase eine arme Bettelstudentin war, die sich von zwei Striezel, einem Fladenbrot, einer Tomatensuppe und einer Packung Nudeln pro Woche ernährte. Aber eine emotionale. Ich wurde einfach klüger und habe bessere Entscheidungen getroffen, die es mir ermöglicht haben, mein Leben so zu führen, dass ich mich nicht mehr gezwungen fühlte, Sachen zu machen, die mich ins Unglück stürzten.

Wann hast du dich das erste Mal erwachsen gefühlt?
Ich glaube, ich war 20 oder so. Schwierig, das auf ein, zwei Jahre genau zu sagen, wenn man so elendig alt ist wie ich. Die Mutter eines damals guten Freundes ist an Krebs gestorben und wir haben gemeinsam auf der Donauinsel getrunken.

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Am Ende habe ich ein leeres Plastiksackerl gesehen, das wie in American Beauty vom Wind weitergetragen wurde. Zuerst habe ich mir gedacht: "Cool, wie in American Beauty." Dann kam mir plötzlich der abgeklärte Gedanke: "Aber irgendwie ist ja auch alles so wie in American Beauty, oder?“, und da habe ich mich erwachsen gefühlt. So schnell kann das gehen.

Was weiß man als Erwachsene, was man als Jugendliche noch nicht weiß?
Die Welt interessiert sich einen Scheißdreck für dich. Aber es gibt bestimmte Menschen, die sind nicht wie die Welt.

Heike, 52

VICE: W as ändert sich, wenn man erwachsen ist?
Heike: Man ist selbstbestimmt, aber lernt auch irgendwie alleine zu sein. Man erkennt auch, dass man früher dachte, wenn man mal erwachsen ist, hat man dieses oder jenes Problem nicht mehr und dann hat man die immer noch … ich rede von Liebeskummer oder gewissen Ängsten.

Wann hast du dich das erste Mal erwachsen gefühlt?
An meinem ersten Tag im Kindergarten. Das war für mich Befreiung und da dachte ich, jetzt werde ich erwachsen. Das ist kein Witz, das stimmt. Trotz alledem, nochmal auf einer anderen Ebene: Als ich in einer anderen Stadt gewohnt und mein erstes Geld verdient hab und ich wusste, ich kann nun endlich alles selbst entscheiden. Aber: Ich dachte immer, dass man als erwachsene Person erwachsen ist. Scheint aber nicht wirklich so zu sein.

Veronika, 56

VICE: W ann hast du dich das erste Mal erwachsen gefühlt?
Veronika: Als ich mit dem Auto fahren durfte vielleicht. Aber zurückblickend war ich das damals noch lange nicht.

Was weiß man als Erwachsene und als Jugendliche nicht?
Keine Ahnung. Mit der Zeit stellt sich einfach eine gewisse Lebenserfahrung ein, weil man viele Dinge einfach selbst erfahren hat.

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Margret-Maria, 60

VICE: Was bedeutet für dich Erwachsensein?
Margret-Maria: So eine gute Kandidatin, um die Fragen rund ums Erwachsenwerden zu beantworten, bin ich nicht. Genau genommen durfte ich nie richtig Kind sein, war immer ein wenig traurig und neidisch auf Mitschüler, die eine Mami hatten, die sie in ihrem Kindsein bestärkt haben.

Was ändert sich, wenn man erwachsen ist?
Angeführt wird die Liste der Veränderungen durch die Grundbedingung, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen: Für meine Gedanken, aus denen mein Handeln resultiert, und daraus wiederum entwickeln sich Geschehnisse, für deren Auswirkung auf mein Leben und auf das der anderen ich mitverantwortlich bin. An der Schwelle zum Erwachsenwerden habe ich meine jämmerlichen Kindheitserlebnisse symbolisch in einen imaginären Fluss geworfen und von Neuem begonnen. Sonst hätte ich das Leben als Erwachsene nie hingekriegt.

Wann hast du dich das erste Mal erwachsen gefühlt?
Für mich war Erwachsenwerden gleichzusetzen mit Freiheit. Ich konnte meinem seelenlosen, dunklen Gefängnis mit seiner mich drangsalierenden Tyrannin – meine Mutter – endlich legal entkommen. Im vermeintlichen Schlaraffenland vor meinen Augen sah ich mich die Karriereleiter hochklettern, meinen Märchenprinzen heiraten und putzige Kinder bekommen.

Die Wirklichkeit war dann zwar nicht immer so kuschelig, aber ich lebe ganz wesentlich lieber als Erwachsene. Als Vierzehnjährige schrieb ich mit der Taschenlampe unter der Bettdecke in mein Tagebuch "In meiner Kindheit war nie ein Sommertag". Das Tolle am Erwachsensein ist, dass man auch Kind sein darf, wenn man will. Jetzt kann ich das endlich auch.

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