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Illustrationen: Mauricio Santos

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Drogen

Kartelle, Korruption, Mord: Studierende aus Mexiko erzählen, warum sie trotzdem Journalismus machen

In Mexiko werden jährlich so viele Journalistinnen und Journalisten getötet wie in keinem anderen Land. Trotzdem entscheiden sich junge Menschen für den riskanten Beruf. Wir haben mit fünf von ihnen gesprochen.

Die Gewalt in Mexiko hält an. Drogenkartelle bekriegen sich untereinander und liefern sich blutige Kämpfe mit dem Militär. Jährlich verschwinden Tausende Menschen, einige von ihnen tauchen später in Massengräbern wieder auf. Vergangenes Jahr wurden in Mexiko so viele Menschen ermordet wie noch nie zuvor. Auch Journalistinnen und Journalisten bezahlen für ihre aufklärerische Arbeit mit dem Leben oder werden massiv bedroht. Allein im vergangenen Jahr wurden in Mexiko zwölf von ihnen ermordet, seit dem Jahr 2000 waren es insgesamt 118. Reporter ohne Grenzen schätzt Mexiko aktuell als das gefährlichste Land für Medienschaffende ein, in dem kein Krieg herrscht.

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Trotzdem entscheiden sich junge Mexikanerinnen und Mexikaner, Journalismus zu studieren. Wir haben mit fünf von ihnen gesprochen, die in Gebieten leben, in denen die Gewalt besonders stark verbreitet ist:

"Meine Eltern flehten mich an, es nicht zu tun" – Daniela Rojas (20), Veracruz

In Veracruz wurden in den letzten 18 Jahren 26 Journalistinnen und Journalisten ermordet .

Ich studiere im zweiten Semester Kommunikationswissenschaften an der Universidad Veracruzana und möchte Journalistin werden. Ehrlich gesagt machen mich die journalistischen Bedingungen in diesem Teil von Mexiko oft traurig. Als ich beschloss, Journalistin zu werden, flehten meine Eltern mich an, es nicht nicht zu tun. Aber da hatte ich mich schon entschieden.

Seit ich denken kann, kann ich Lügen nicht ausstehen. Daher habe ich nie an meiner Wahl gezweifelt. Es gibt momentan so viel, was die Mächtigen vor uns verstecken wollen, das macht mich wütend. Gerne würde ich einige dieser Missstände aufdecken. Ich arbeite gerne investigativ, möchte mich aber auch auf die Berichterstattung über Verbrechen konzentrieren. Adrenalin ist meine Leidenschaft und ich bin bereit, das Risiko in Kauf zu nehmen.

"Ich würde statt über Gewalt und Drogen lieber über Sport berichten" – Juan Jesús Almodóvar (20), Sinaloa

Der Journalist Javier Valdez Cárdenas, der über den Drogenkrieg berichtete, wurde vor einem Jahr in Sinaloa auf offener Straße erschossen .

Wenn ich Leuten erzähle, dass ich aus Culiacán in Sinaloa komme, sprechen sie mich als Erstes darauf an, wie viel Gewalt in der Stadt herrscht. Das gefällt mir nicht. Noch weniger gefällt mir, dass alle die Augenbrauen hochziehen, wenn ich erzähle, dass ich als Journalist für einen örtlichen Radiosender arbeite. Sie fragen mich, ob ich sicher bin, dass ich das weiter machen möchte.

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Ich studiere Journalismus an der Autonomen Universität von Sinaloa (UAS). Nach zwei Semestern bin ich immer noch von meiner Wahl überzeugt. Trotz der Gefahren möchte ich als Journalist arbeiten.


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Drogenkriminalität hat zwar einen großen Teil unseres Lebens eingenommen, aber es wird immer Leute geben, die etwas daran ändern wollen. Mich macht es wütend, dass die Aktivisten, die sich trauen, etwas zu veröffentlichen, ermordet werden oder verschwinden. Dabei herrscht doch eigentlich "Meinungsfreiheit".

Am liebsten würde ich nicht mein ganzes Leben lang über Gewalt, Drogenkriminalität oder Massengräber berichten, sondern als Sportjournalist über Fußball, Basketball oder Football.

"Wir müssen die Wahrheit ans Licht bringen" – Diana Estefanía Chaparro (19), Chihuahua

Die Journalistin Miroslava Breach wurde 2017 in Chihuahua ermordet. Ihre investigative Arbeit konzentrierte sich auf Korruption.

Als ich meiner Mutter erzählte, dass ich Journalismus studieren wolle, war sie außer sich. Sie flehte mich mehrmals an, es nicht zu tun. Aber ich hatte mich entschieden.

Momentan bin ich im zweiten Semester. Ich bin sehr stolz auf meine Entscheidung. Als Journalistin lebt man in Chihuahua sehr gefährlich. Die Gewalt hat in letzter Zeit zugenommen, viele Menschen wurden getötet. Aber ich glaube, dass es ein sehr wichtiger Beruf ist, weil die Regierung uns oft anlügt und wir die Wahrheit ans Licht bringen müssen.

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Ich hinterfrage die Dinge gerne. Ich mag es nicht, die ganze Zeit vorm Computer zu sitzen. Ich mag Action und möchte gerne über Verbrechen und Politik berichten. Glücklicherweise habe ich keine Angst davor, Blut zu sehen. Was mich aber ängstigt und wütend macht, ist, dass wir für unsere Arbeit viel zu oft mit dem Leben bezahlen.

Illustration: Mauricio Santos

"Wenn nicht wir, wer dann?" – Karla Martínez (19), Jalisco

Vor wenigen Monaten wurden drei Studierende in einem Säurebad in Jalisco aufgefunden.

Ob ich Angst habe, mich dem Journalismus zu verschreiben? Ein bisschen. Wir können unsere Augen nicht davor verschließen, wie viele mutige Journalistinnen und Journalisten wir in dieser Amtsperiode und den beiden davor verloren haben. Aber ich glaube fest daran, dass aufgeben keine Option ist. Wir müssen alle etwas beitragen, damit sich die Lage bessert. Wenn nicht wir, wer dann?

Mein größter Traum ist es, investigativ zu arbeiten und die schmutzigen Geheimnisse der Politiker ans Licht zu bringen. Auch wenn ich manchmal von der Angst gelähmt bin, mache ich mir damit Mut, dass es Millionen Menschen gibt, die wollen, dass sich unser Land ändert. Es ist gut zu wissen, dass ich meinen Teil dazu beitragen kann. Niemand möchte zusehen, wie das eigene Land untergeht.

"Ich habe gelernt, dass Informationen eine mächtige Waffe sind" – Marifer Lattuada (20), Nuevo León

In Lattuadas Heimatbundesstaat Tamaulipas ist die Zahl der Morde im ersten Quartal 2018 um 75 Prozent gestiegen .

Ich wusste, dass ich Journalistin werden wollte, als ich mich mit sieben Jahren in das Arbeitszimmer meines kürzlich verstorbenen Opas schlich. Er war einer der bekanntesten Journalisten in Tampico und Gründer eines Kulturmagazins. Seine Wände waren voll mit Zeitungsausschnitten und Auszeichnungen. An diesem Tag veränderte sich etwas in mir.

Heute bin ich 20 Jahre alt. Auf meine Entscheidung, Journalismus an der Autonomen Universität von Nuevo León zu studieren, bin ich sehr stolz. Auch wenn mich die Realität und meine Familie immer wieder daran erinnern, dass ich mich für einen sehr gefährlichen Beruf entschieden habe, werde ich nicht aufgeben. Ich habe ein Jahr lang als Freiwillige in einer Unterkunft für Migrierte in Mexico City gearbeitet und gesehen, wie Journalistinnen und Aktivisten den Leuten helfen. Dort habe ich gelernt, dass Informationen eine mächtige Waffe sind.

Als Journalistin möchte ich den Menschen eine Stimme geben, die ansonsten zum Schweigen gebracht werden. Eins meiner Ziele ist es, der Zensur ein Ende zu setzen und dafür zu sorgen, dass Menschen für die Wahrheit nicht mehr mit ihrem Leben bezahlen. Ich denke, mein Großvater wäre stolz auf mich.

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