Eine römische Herkules-Statue
Herakles untenrum | Foto: Wikimedia Commons | CC BY 2.5
Sex

Kleine Schwänze könnten wieder in Mode kommen

Der Idealpenis ist im Laufe der Menschheitsgeschichte immer wieder gewachsen und geschrumpft.

Der moderne Westen ist verrückt nach großen, dicken Schwänzen – nicht nur in Pornos. Mehrere Studien deuten darauf hin, dass viele Frauen, die auf Männer stehen, überdurchschnittlich große Penisse bevorzugen, und zwar etwa 16 Zentimeter. Der Durchschnitt liegt allerdings bei 12 bis 15 Zentimetern. Über die Vorlieben von Männern, die Sex mit Männern haben, liegen leider noch keine Daten vor.

Das moderne Penisideal hält sich so hartnäckig, dass einige Evolutionsbiologen sogar versucht haben, einen tieferen Sinn dahinter zu finden. Zahlreichen Männern beschert die allgegenwärtige Verehrung von Riesenschwänzen hingegen das Gefühl, unzulänglich zu sein. Anbieter von fragwürdigen Mittelchen und experimentellen chirurgischen Eingriffen verdienen damit ihren Lebensunterhalt.

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Aber das war nicht immer so: "Im antiken Griechenland war ein schöner Penis ein zierlicher Penis", sagt John Clarke, Experte für die erotische Kunst des Altertums. "Ein Mensch mit sehr großen Genitalien, insbesondere männlichen Genitalien, galt als grotesk und lächerlich." Diese Vorliebe für kleine Penisse reicht laut Kunsthistoriker Timothy McNiven bis mindestens ins achte Jahrhundert vor Christus zurück und zieht sich durch die Klassiker der griechischen Kunst und Literatur.


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Das griechische Penisideal habe sich laut Clarke bis weit ins christliche Zeitalter gehalten und über die Grenzen des griechischen Reichs hinaus verbreitet. Aber warum standen die alten Griechen so sehr auf zierliche Penisse – und wann und warum nahmen Riesenschwänze ihren Platz ein?

Kunsthistorikerin Ellen Oredsson sieht eine mögliche Erklärung im altgriechischen Schönheitsideal: "Ihre Ästhetik basierte auf Symmetrie. Nichts sollte zu groß sein oder das Gleichgewicht anderweitig stören." McNiven hingegen vermutet, dass die zierlichen Penisse die kulturell fest verankerte und akzeptierte Erotisierung junger Knaben reflektierten. "Die unausgebildeten Genitalien in den idealisierten Darstellungen von Männerkörpern passen zu der fehlenden Körperbehaarung und dem stets vollen Haar", sagt McNiven.

Wesentlich weiter verbreitet ist die Theorie, dass ein kleiner Penis im alten Griechenland für Bescheidenheit, Rationalität und Selbstkontrolle stand – Werte, die man sehr schätzte. Riesenschwänze hingegen standen für kopflose, animalische Lust und fehlende Selbstkontrolle. Mischwesen wie die Satyrn wurden oft mit gigantischen Erektionen dargestellt – und fast immer volltrunken. Sie seien "die Posterboys für Kontrollverlust" gewesen, sagt McNiven.

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Aber spielten diese Vorstellungen auch im Privatleben der Griechinnen und Griechen eine Rolle? Oredsson verweist auf einige Theaterstücke aus jener Zeit – die Massenunterhaltung im antiken Griechenland. In Die Wolken von Aristophanes werde ein kleiner Penis als Ideal angepriesen, in Lysistrate sollen Riesenständer für Lacher sorgen. Das antike Penisbild war also wahrscheinlich weitverbreitet und über Jahrhunderte hinweg akzeptiert.

Unklar ist, ob die alten Griechen mit ihrer Vorliebe für zierliche Penisse allein waren. Ein berühmter ägyptischer Papyrus zeigt zwar auch hässliche Männer mit langen und zugespitzten Schwänzen, aber dieser gilt als Ausnahme. McNiven gibt zu bedenken, dass die anderen Kulturen zu der Zeit in ihrer Kunst nicht so viel Haut zeigten oder in in den erhaltenen Texten so ausführlich über ideale Körperbilder diskutierten.

Die Römer jedenfalls übernahmen große Teile der griechischen Kultur – auch das Ideal des zierlichen Penis. Riesenschwänze galten auch hier als lächerlich. Sogar als so lächerlich, dass sie Penis-Amulette anfertigten, die von jungen Männern getragen wurden – manche sogar mit Flügeln. Durch das Lachen, das sie auslösten, sollte das Böse vertrieben werden. Zu besonderen Festen zogen sie mit großen Phallus-Statuen durchs Land, um die Ernten zu schützen. Ihre Schutzkraft zogen die Riesenschwänze aus ihrer Absurdität. Clarke sagt, dass die Römer insbesondere den Gott Priapus liebten, "eine Vogelscheuche mit großem Phallus – ursprünglich ein Beschützer von Gärten und Äckern, der Missetäter bestraft, indem er sie mit seinem absurden, übergroßen Penis penetriert".

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Aber es gab bei den Römern auch Situationen, in denen ein großer Penis als Zeichen von Männlichkeit galt. David M. Friedman schreibt in seinem Buch über die Kulturgeschichte des Penis, A Mind of Its Own, dass römische Generäle ihre Soldaten schon mal aufgrund ihrer Penisgröße beförderten. Auch privat schienen die Römer üppig bestückte Männer sexuell zu schätzen. "Einiges deutet darauf hin", sagt Altphilologe Kirk Ormand, "dass es männliche Prostituierte in Rom gab, die für die Größe ihrer Genitalien geschätzt wurden."

Medien- und Kulturwissenschaftler Joseph Slade sagt, dass der Penis in Kunst und Mythen oft eine gewisse Macht innehabe. Er sei Symbol für Potenz, Fruchtbarkeit und Stärke. Auch wenn sich über einen Penis lustig gemacht werde, behalte er oft noch diese Stärken. "Selbst im alten Griechenland", sagt Ormand, "gibt es Situationen, in denen ein großes Gemächt positive Eigenschaften hat."

Dieses ambivalente Penisbild innerhalb der gleichen Kultur wiederholt sich im Laufe der Geschichte bis heute. "Unsere kulturellen Darstellungen des Penis sind auch heute sehr komplex", sagt Oredsson.

Wahrscheinlich, sagt Clarke, "hat es immer Menschen gegeben, die einen großen Penis attraktiv fanden, auch wenn derartigen Vorlieben wie bei den Griechen vielleicht verpönt waren". Andersrum stehen heute bei Weitem nicht alle auf Riesenschwänze. Es gibt genug Horrorgeschichten über Schmerzen und andere Probleme beim Sex mit einem übergroßen Geschlechtsteil.

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Warum genau große Schwänze momentan die ganze Aufmerksamkeit bekommen, lässt sich nicht so einfach sagen. Wahrscheinlich hat es auch damit zu tun, welche Gruppe die größte kulturelle Macht besitzt und was sie beschäftigt. "Es ist definitiv keine lineare Entwicklung", so Oredsson. "Es gab keinen Punkt, an dem sich die gesellschaftliche Wahrnehmung des Penis geändert hat. Im Laufe der Geschichte haben viele verschiedene Idealpenisse existiert, oft nebeneinander."

Es gibt also keinen guten Grund, sich zu sehr an der Penisgröße aufzuhängen oder Pornos als Vorbild zu nehmen. Riesenschwänze sind nicht das Nonplusultra, sondern eine flüchtige kulturelle Präferenz. Egal, was du auch zwischen den Beinen hast, es gibt Augenblicke in der Geschichte, in denen dein Schwanz lachhaft und grotesk war – und andere, in denen er als bewunderns- und begehrenswert galt. Auch heute ist er beides. Es hängt einfach nur davon ab, wie du ihn betrachtest – oder für die Nachwelt in Stein meißeln lässt.

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