Sex

Homosexuelle erzählen, wie sie mit Homofeindlichkeit am Arbeitsplatz umgehen

"Es fing damit an, dass eine Kollegin meine Gesten nachäffte und nasal ihre Stimme verstellte, wenn ich ans Telefon ging" – Simon, 23.
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Arschficker. Homofürst. Schwuchtel. Für homosexuelle Menschen gibt es viele Schimpfwörter. Beleidigungen begleiten sie oft ihr Leben lang. Dabei werden "schwul" und "Schwuchtel" nicht nur für Homosexuelle benutzt. Die roten Sneaker, das Ausfallen lassen der Sportstunde, ein Unwetter können schwul sein. Die Quintessenz: Wenn etwas schwul ist, ist es nicht gut.

Auch 25 Jahre nach Abschaffung des Paragraphen 175, der Sex zwischen Schwulen unter Strafe stellte und zu dem wir bei VICE eine Themenwoche hatten, haben Homosexuelle mit Vorurteilen und Homophobie zu kämpfen. Die Vorurteile und Beleidigungen gehen über den Schulhof hinaus, verfolgen Betroffene bis ins Erwachsenenalter, bis an den Arbeitsplatz.

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Wir haben vier homosexuelle Menschen gefragt, wie sie mit Homophobie am Arbeitsplatz umgehen – René, Amanda und Martin haben uns darum gebeten, ihre tatsächlichen Namen hier nicht zu schreiben.

René, 24

René

"Ich war auf der Suche nach einem studentischen Nebenjob und bewarb mich als Verkaufshilfe in einem Schuhgeschäft. Einige Kommilitonen hatten auch schon dort gearbeitet und es mir empfohlen.

Die Chefin des Unternehmens war sehr kurz angebunden, einige Zeit danach habe ich eine Absage erhalten. Ein Kommilitone, der mich empfohlen hatte, berichtete anschließend von ihrem Kommentar nach unserem Gespräch. Sie fragte ihn, ob 'es wieder so ein schwuler Junge' gewesen sei von seiner Uni. Sie wolle lieber mal ein Mädchen haben.

Als ich einige Zeit später eine Freundin in eine andere Filiale begleitete, wurde ich dort angesprochen – weil ich meine Freundin gut beraten hatte und die Modelle kannte – ob ich nicht als Aushilfe dort arbeiten wollen würde. In dem Moment konnte ich meinen Missmut nicht mehr zurückhalten und habe die Geschichte über die Chefin erzählt. Für mich gibt es einen Unterschied zwischen den Produkten und den Persönlichkeiten der Chefs. Ich werde weiter dort einkaufen.

Ein anderer Vorfall war in einer Kirche, ich arbeitete als Organist in Sommervertretung. Ich bin dort hingegangen, ohne mich speziellen Kleiderordnungen zu unterwerfen. Später wurde mir zugetragen, wie Leute schon über mich tuschelten, irgendwas von Paradiesvogel und exzentrischer Kleidung. Da wird einem schon mulmig, man wird unsicher und hinterfragt die Freiheit, mit der man sonst immer auf die Straße geht. Im gleichen Zuge wurde mir bewusst, wie sehr ich schon immun gegen abwertende Blicke bin. Diese Immunität bröckelt aber immer wieder."

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Amanda, 38

"Ich bin Sängerin und hatte einen Auftritt bei einem Firmenevent auf einem Boot. Wir hatten keinen Backstage-Bereich, zwischen meinen Sets war ich den Gästen zwangsläufig sehr nah. Ein heterosexueller Mann, der sehr betrunken war, versuchte mit mir zu flirten. Ich sagte ihm, dass ich mit einer Frau verheiratet war. Statt das zu akzeptieren, wurde er übergriffig: Er wollte nicht akzeptieren, dass ich lesbisch bin und eine Partnerin hatte. Das wäre sicher anders gewesen, hätte ich gesagt, dass ich mit einem Mann verheiratet sei.

Er sagte dann, dass ich nur einen richtigen Mann brauchen würde, diese typischen, peinlichen Klischees halt. Bullshit. Ich sagte ihm, dass das Gespräch beendet sei: 'Ich werde nicht mehr mit dir reden. Es reicht jetzt.' Ich musste Gott sei Dank nicht mehr lange auf dem Boot bleiben.

Würde so etwas heute nochmal passieren, würde ich direkt zum Personal gehen und mir Hilfe suchen. Ich würde das nicht mehr akzeptieren und mir gefallen lassen. Das ist mein Arbeitsplatz. Ich bin dort, um zu singen und meinen Job zu machen. Ich bin nicht dort, um mit betrunken Typen zu reden und meine sexuelle Identität und meine Ehe zu verteidigen."

Martin, 28

Ein Mann von sitzt auf einer Bank

"Ich arbeite in einer großen Behörde im öffentlichen Dienst, im Frühling 2018 habe ich einen neuen Teamleiter bekommen. Ziemlich schnell merkte ich, dass er eine persönliche Abneigung gegen mich hatte. Ich bin zu diesem Zeitpunkt noch nicht davon ausgegangen, dass die Abneigung einen homophoben Hintergrund haben könnte. Er hatte nie etwas Fachliches auszusetzen oder Probleme mit meiner Arbeit.

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Als seine persönlichen Angriffe weiter zunahmen, habe ich langsam gemerkt, welchen Hintergrund diese hatten. Er sah Homosexualität anscheinend als Schwäche an, er machte ständig Anspielungen auf meine physische Kraft, zum Beispiel wenn ich ein paar Akten getragen habe oder Anspielungen auf meine wegen meiner Homosexualität angeblichen schwachen Gesundheit. Ich war bis dato in einem Jahr ein einziges Mal für drei Tage arbeitsunfähig gewesen wegen eines grippalen Infekts.


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Er zitierte mich mindestens einmal die Woche in sein Büro und hat mich dort beleidigt: 'Du bist dumm', 'von einem Schwulen kann ich aber auch nicht mehr erwarten'. Oder: 'Vielleicht solltest du eine Therapie anfangen oder einfach mal in den Puff gehen.'

Nach fast einem Jahr war ich psychisch fertig. Ich konnte kaum noch schlafen und hatte jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit Bauchschmerzen. Nachdem er mich aber ein weiteres Mal in sein Büro bestellte, mich beleidigte und anschrie, habe ich mich eine Woche krankschreiben lassen. Und ich habe mich an den Personalrat gewandt. Dieser riet mir, eine Beschwerde zu schreiben und diese der Gleichstellungsbeauftragten zu überreichen.

Leider kam das wie ein Bumerang zurück. Da der Teamleiter sehr gut mit der Geschäftsführungsebene vernetzt war und dort auch private Freundschaften pflegte, wurde nicht nur alles unter den Teppich gefegt, sondern ich bekam zudem auch noch eine schlechte Jahresbeurteilung. Mir wurde im Vorfeld von der Geschäftsführung angeboten, dass ich eine bessere Beurteilung bekommen würde, wenn ich die Beschwerde zurückziehe. Das tat ich nicht. Nun musste ich mit den Konsequenzen leben.

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Zum Glück konnte ich das Team danach wechseln und bekam eine neue Teamleitung. Aber ich werde immer noch wie ein Querulant behandelt und das spüre ich jeden Tag."

Simon, 23

Simon

"Es fing damit an, dass eine Kollegin meine Gesten nachäffte und nasal ihre Stimme verstellte, wenn ich ans Telefon ging. Es ging bis hin zu unkonstruktiver Kritik an meinen Fähigkeiten, die sie auch gegenüber Vorgesetzten äußerte.

Ich war bis dato in einem Arbeitsverhältnis noch nie in eine derartigen Situation gekommen, fühlte mich grauenhaft. Jeden Tag mit dem Wissen ins Büro zu gehen, gleich wieder vor versammelter Mannschaft zum Gespött gemacht zu werden – und das nur aufgrund meiner sexuellen Identität.

Ich habe mir daraufhin Hilfe von anderen Kollegen geholt, die mir den Rücken stärkten. Nach einem Vorfall, bei dem die Kollegin sehr abfällige Worte über mich fand, die menschenfeindlich und homophob waren, habe ich mich mit meiner Abteilungsleitung zusammengesetzt. Nach dem Gespräch wandelte sich das Verhalten der Kollegin um. Wichtige Dinge im Arbeitsablauf wurden von da an sachlich geklärt und ansonsten wurde ich von ihr einfach ignoriert. Das war für mich in diesem Fall in Ordnung. Da ich mich jedoch in einem Arbeitsumfeld mit derartigen Menschen nicht so wohl fühle und mich beruflich weiterentwickeln möchte, wechselte ich den Arbeitgeber.

Da ich seit meiner frühen Jugend mit viel Gegenwind und Anfeindungen zu kämpfen habe, war ich ein solches Verhalten traurigerweise schon gewöhnt. Ich komme aus einem sehr kleinem Dorf und hatte in Berlin gehofft, von homophoben Anfeindungen verschont zu bleiben. Doch auch hier wurde mir schnell klar, diese Art Mensch trifft man sowohl in einem 300-Einwohner-Örtchen als auch in einer Millionenstadt."

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