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Sex

Alle großen Künstlerinnen und Künstler hatten Sex miteinander

Ein neues Buch erforscht das komplizierte Geflecht aus Liebschaften zwischen berühmten Schriftstellern, Malern und Dichtern.
Alle Illustrationen von Forsyth Harmon | Mit freundlicher Genehmigung von Bloomsbury

Vielleicht hänge ich ja mit den falschen Leuten ab, aber mir scheint, Künstler waren früher sexyer. Vielleicht lag's an Paris. Vielleicht daran, dass früher wohlhabende Mäzene Künstler unterstützten, und sie freier leben konnten als heute zwischen Spätkapitalismus und Social Media. Vielleicht liegt es auch daran, dass die Geschichte Drama festhält und überzeichnet und am Ende nicht Leute in Erinnerung bleiben, die ihr Essen fotografieren. Wer weiß, vielleicht wirken die "Kreativen" von heute in der Zukunft so, als hätten sie ebenso spannende Leben geführt wie Simone de Beauvoir oder Orson Welles. Warum auch immer, die Biografien von Künstlerinnen und Künstlern aus dem 20. Jahrhundert sind voller sepiagetöntem Glamour, leidenschaftlichen Briefen, mysteriösen Musen und mehr oder weniger offenen Affären, und dürften damit selbst den größten Zyniker ein bisschen verzaubern.

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The Art of the Affair: An Illustrated History of Love, Sex, and Artistic Influence ist ein neues, kurzes Buch von Catherine Lacey, mit Illustrationen von Forsyth Harmon. Laceys und Harmons Geschichte über Liebe, Sex und Kunst zeigt die Verbindungen zwischen Künstlern, Schriftstellern, Musikern und anderen Kreativen. Da sind die üblichen Verdächtigen—Picasso, Hemingway, Frida Kahlo, Anaïs Nin, Henry Miller—, aber auch weniger bekannte Personen wie Romaine Brooks, Léonard Tsuguharu Foujita und Beauford Delaney, die Lacey erst bei der Recherche für das Buch entdeckt hat.

Es ist allerdings völlig unmöglich, hier alle Fäden des Wer-mit-wem zu erfassen. Lacey sagt, sie hoffe, dass Leser The Art of the Affair als "Einführung in die Verknüpfungen zwischen einzelnen Künstlern und Kunstformen" nutzen. Was man erfährt, ist interessant: Greta Garbo und die Dramatikerin Mercedes de Acosta waren bis über beide Ohren ineinander verliebt—"gemeinsame Reisen, Rendezvous am Strand, Aktporträts"—, doch als Garbo nicht offen als lesbisch auftreten wollte, begann de Acosta eine Affäre mit Marlene Dietrich. Madonna und Jean-Michel Basquiat hatten einen Flirt, doch dieser rutschte in solche Bitterkeit ab, dass Basquiat die Gemälde, die er für Madonna gemalt hatte, zurückverlangte und schwarz überstrich. Der Dichter Robert Lowell starb in einem Taxi auf dem Weg zur Wohnung seiner Ex-Frau, der legendären Literaturkritikerin Elizabeth Hardwick; dabei "umklammerte er ein Lucian-Freud-Porträt" seiner dritten Gattin, der britischen Schriftstellerin Lady Caroline Blackwood, die etwa 20 Jahre zuvor mit Freud verheiratet gewesen war.

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Ah, die gute, alte Zeit. Wer hat denn heutzutage noch künstlerisch wertvolle Porträts von seinen Liebhaberinnen, geschweige denn umklammert diese, während er sein Leben aushaucht? Viele der Geschichten in The Art of the Affair wirken auf den ersten Blick wie Retro-Klatsch aus der Boulevardzeitung, doch über dieses Niveau wachsen sie schnell hinaus. Auch wenn nicht alle Verbindungen und Rivalitäten, die Lacey aufzeichnet, romantischer Art waren, sind es Verbindungen zwischen zwei oder mehren außergewöhnlich nachdenklichen Menschen, die zum Beispiel wortgewandt darlegen können, warum sie zum Beispiel unbedingt Sex mit einem geheimnisvollen blonden Poeten wollten. Für einen Künstler oder eine Künstlerin ist Lust niemals einfach Biologie, sondern Essenz. "Aus irgendeinem Grund ist es nur Klatsch, während die Person noch lebt", sagt Lacey, "aber sobald jemand tot ist, wird daraus Geschichte. Dadurch können wir ihre Arbeit besser verstehen."

Viele der Geschichten in  The Art of the Affairwirken auf den ersten Blick wie Retro-Klatsch aus der Boulevardzeitung, doch darüber wachsen sie schnell hinaus.

Viele meinen, das Leben einer Künstlerin oder eines Künstlers habe in der Interpretation ihrer Werke nichts zu suchen. (Dieses Argument bemühen vor allem Leute, die Künstler mit fragwürdigen oder furchtbaren Moralvorstellungen mögen.) Einige der Kreativen, über die Lacey schreibt, achteten sehr auf Diskretion, weil sie zum Beispiel aufgrund ihrer Ethnie oder sexuellen Orientierung diskriminiert wurden, oder weil sie ihre Privatsphäre wahren wollten. In seinen Tagebüchern verwendete der Essayist Edmund Wilson zum Beispiel Pseudonyme für seine Liebhaberinnen, doch Historiker haben ein paar von ihnen identifizieren können: Wilson verlor seine Jungfräulichkeit an die Dichterin Edna St. Vincent Millay, war eine von Anaïs Nins Eroberungen, und heiratete die Romanautorin Mary McCarthy, die selbst eine Affäre mit dem Kunstkritiker Clement Greenberg hatte. Doch wie Lacey sagt: "Wenn man so tut, als würden die Werke aus heiterem Himmel entstehen und hätten überhaupt nichts mit dem Leben eines Künstlers oder einer Künstlerin zu tun, dann erklärt man Künstler zu Götzen oder Göttern, und das sind sie nicht."

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Lacey findet, das Sammeln von Hintergrundinformationen über eine historische Figur ist kein Problem. Problematisch werde es, wenn man sich basierend auf diesen Informationen einbilde, die Person zu kennen. In der Einleitung ihres Buchs schreibt sie: "Letztendlich ist es ihre Unergründbarkeit, die uns an diesen Verbindungen so fasziniert." Sie sagt: "Beim Zusammentragen dieser Geschichten wurde ich immer neugieriger; ich war nie zufrieden, hatte nie das Gefühl, dass ich wirklich den Brief, die Anekdote oder das biografische Detail fand, das mir erschloss, wer diese Person war."

Catherine Lacey und Forsyth Harmon | Illustration von Forsyth Harmon, mit freundlicher Genehmigung von Bloomsbury

Das war auch eines der Probleme, die ich mit dem Buch hatte. Mit nur 86 Seiten ist es wenig überzeugend, die Protagonisten als "unergründbar" zu bezeichnen, immerhin muss man dazu erst einmal etwas mehr versuchen zu ergründen. Und so wartet am Ende des Buchs ein Philosophiestudenten-Fazit: "Selbst wenn wir glauben, alles über zwei Menschen zu wissen—durch ihre Bücher, Briefe, Gemälde, Fotografien und Tagebücher—, werden wir nie wirklich wissen, was sie empfanden, als sie einander ansahen." Das trifft im Übrigen nicht nur auf tote Künstler zu; nicht einmal Paare selbst wissen, was dem jeweils anderen durch den Kopf geht.

Was an den kleinen Beziehungsschnappschüssen in The Art of the Affair allerdings überzeugt, sind die Einblicke, die über romantische Nostalgie hinausgehen. Wie Lacey hatte ich vorher nie von der "grüblerischen" Malerin Romaine Brooks gehört, doch ich war sofort eingenommen von den biografischen Details, die Lacey ausgewählt hat. Brooks war mehr als 50 Jahre lang die Liebhaberin der umtriebigen Schriftstellerin Natalie Clifford Barney und sagte darüber, sie sei "ein klein wenig lieber mit Natalie zusammen als alleine, und lieber alleine als in der Gegenwart so ziemlich aller anderen". Als ich das las, war ich überzeugt, dass diese Person Gemälde hervorgebracht haben musste, die mir gefallen, und eine kurze Google-Suche später war meine Vermutung bestätigt. Brooks' gräulich-violette Porträts von mystischen Frauen sind betörend und provokativ—und es war ihr Liebesleben, das mich mit ihrer Arbeit in Berührung brachte.

The Art of the Affair von Catherine Lacey und Forsyth Harmon ist jetzt im Buchhandel erhältlich.

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