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„Ich hätte lieber gewonnen.“

Von Schlitzaugen, Bauernführern und Lyrikern: Unser Sonntag im Herzen von Ecopop.
Fotos von Evan Ruetsch

Dichtestress, das Wort, das uns jetzt etwa ein Jahr lang nervt, war neben der Ökologie das stärkste Argument der Ecopop-Befürworter. Kaum je war ich so für Dichtestress sensibilisiert wie am heutigen Abstimmungssonntag: Wegen einem Grippe bedingten Riss im Trommelfell habe ich meine WG mehrere Tage lang nicht verlassen, ich höre auf dem rechten Ohr ein dumpfes Rauschen und meine Sozialkontakte der letzten Tage beschränkten sich auf wütende Anrufe bei der Swisscom-Hotline, wegen eines nicht funktionierenden Internetanschlusses.

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Kurz: Ich erlebe einen erzwungenen Selbstversuch als alleinstehender 75-Jähriger, dem Idealopfer von Dichtestress.

Gefühlt habe ich ihn dann bei meinem ersten Freigang an den Medienanlass des Ecopop-Komitees im Restaurant Commercio in Brugg. Leider findet die Abstimmungsfeier der Ecopop-Aktivisten an einem anderen, privaten Ort statt; in der munzigen Pizzeria türmen sich Journalisten, Kameras und Fernsehbeleuchtung.

Von Ecopop ist bis 12.15 niemand da. Dann kommt Andreas Thommen, Geschäftsführer des Vereins Ecopop und grüner Gemeindeammann von Effingen.

Alle Fotos von Evan Ruetsch

Nachdem die ersten verkabelten Fernsehmenschen den einzigen anwesenden Politiker vollgelabert haben, dränge ich mich mit meiner Thermoskanne Kräutertee durch: „Wie geht es Ihnen an diesem Sonntag, Herr Thommen?" „Ich hätte lieber gewonnen." Oha, offiziell ist noch keine Hochrechnung draussen.

„Und den Verein Ecopop wird es weiterhin geben?" „Natürlich, uns gibt es 42 Jahre lang und wir hören nicht auf." „Geht es 42 Jahre bis zur nächsten Initiative?" „Hoffentlich nicht." Seine Antworten zeigen es nicht unbedingt, aber seine unverschämt-bauernschlaue Art ist sympathisch. Schade, vertritt er so ein grauenvolles Anliegen.

Es ist 12.25 und wir haben nicht die Spesen, um uns mit drei bis vier Pizzen die Zeit zu vertreiben, bis der Abstimmungssonntag durch ist. Die Homepage der Gemeinde Effingen sagt mir, dass sie ihre Wahlresultate nicht online stellt, sondern vor der Gemeindeverwaltung aushängt.

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Google Maps sagt mir, dass es in Effingen so viele Swimming Pools wie an der Côte d'Azur gibt. Effingen ist der Wohn- und Regierungsort von Ecopop-Geschäftsführer Andreas Thommen und liegt nur 15 Bus-Minuten von Brugg. Also, ab dahin!

Vor dem Restaurant machen wir nochmals ein Foto von Thommen. Er ruft uns lachend nach: „Zum Glück seid ihr nicht von Watson! Denen sollte ich mal die Ohren langziehen, schreiben einfach, ich lebe in einem Haus am Waldrand."

Im Bus nach Effingen fragen wir uns, ob man in dieser Region nicht sowieso irgendwie am Waldrand lebt, egal wo genau man in einem der nebligen Bözberg-Dörfchen wohnt.

In Effingen steht auf dem Aushang der Gemeindeverwaltung, dass nur 91 von 241 Abstimmenden zu Ecopop Ja eingelegt haben. Darum war sich Thommen also schon so früh so sicher, dass er verloren hat. Um die Waldrand-These von Watson zu kontrollieren, laufen wir durch den Ort und besuchen das Haus von Gemeindeammann Thommen.

Unterwegs sehen wir eine offiziell aussehende Statue aus Roststahl: Einige Menschlein, die die Welt schultern. Effingen ist Atlas. Und Effingen wirft die Welt nicht ab. Vor Thommens Haus sehen wir dann eine Variation dieses Rostkunstwerk. Allerdings ohne Menschlein.

Thommen lebt tatsächlich nicht am Waldrand. Hinter dem Hippie-Traumhaus, in dem der Agronom lebt, steht auch keiner der zahlreichen Swimming Pools. Auffällig ist der Schriftzug „Laurhaus" und der Heizpilz auf dem Vorplatz. Soviel zu Energieeffizienz.

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Ernst Laur ist eine bedeutende Figur für die Geschichte der Schweizer Bauern: Agronom; seit der Gründung über 30 Jahre lang Direktor des Schweizerischen Bauernverbands und jemand, den die Geistige Landesverteidigung im 2. Weltkrieg etwas übermütig gemacht hatte.

Zurück in Brugg frage ich Thommen nach dem berühmten Vorbewohner seines Wohnhauses: „Ich habe keinen Bezug zu ihm. Laur war natürlich wichtig für die Schweizer Bauern, aber er ist ins falsche Fahrwasser gekommen. Schlussendlich war er ein Fascho. Das wird mir nicht passieren."

Danach mische ich nicht mehr mit beim Kampf um Statements von Thommen und ziehe mich zurück zu Tee und den beiden älteren Ecopoppern, die jetzt auch da sind. Der emeritierte Wirtschaftsprofessor Hans Geiger, Mitglied von SVP und AUNS, redet sich schnell in Rage. Wenn jemand rassistisch sei, sei das der Bundesrat. Das dürfe ich gerne zitieren.

Und fürs Aufnahmegerät sagt er es gleich nochmals in anders-originellem Wortlaut: „Bundesrätin Sommaruga hat uns fremdenfeindlich genannt, dabei vertritt sie eine Politik, die rassistisch ist, wenn Ecopop fremdenfeindlich sein soll.

Die heutige Politik, dass wir alle aus Europa reinlassen, aber nicht die aus Afrika—sind meistens Schwarze—und die aus Asien—Dunkelhäutige, Schlitzaugen—die lassen wir nicht rein." Der aufmerksame Leser kann Geigers Alternativbezeichnungen für Asiaten und die Definitionshilfe für Afrikaner selbst einordnen.

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Der ehemalige Fernmeldeingenieur Markus Zimmermann ist laut Ecopop-Homepage „Lyriker" von Beruf. Er verwickelt mich in ein Gespräch, das nicht mehr aufhören will. Seine Positionen sind teilweise recht abstrus: „Doch, wir müssen das Problem aus der Schweiz lösen, weil wir uns 1992 bei der UNO dazu verpflichtet haben."

Nach fünf Minuten Gespräch zwingt er mich, die Bevölkerungsdichte und Biokapazität der Schweiz nachzurechnen. Nach zehn Minuten trägt er mir seine Gedichte vor: „Es wird die Überlastung der Natur/ von Wenigen beachtet nur / allzulang bleibt man passiv / nur wenn's brennt wird man aktiv (…)"

Der 76-Jährige kämpft seit der Gründung des Clubs of Rome für den Umweltschutz und möchte seinen Grosskindern (Vom Alter her also mir.) eine gesunde Welt hinterlassen.

Leider ist er ein von Zahlen besessener Technokrat, der meint, Ecopop handle im Auftrag der UNO. Die Abstimmungen sind schon lang entschieden, irgendwann geht mir der Tee aus und mein Trommelfell pocht. Die Schlussresultate sind zwar noch nicht bekannt, aber es ist eng zwischen den Journis und neues werden wir hier von niemandem mehr erfahren. Wir verabschieden uns.

Erzähl Benj auf Twitter von deinem Ecopop-Sonntag: @biofrontsau