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Underboobs sind böse, Ständer in der Öffentlichkeit gut

Als Reaktion auf eine „Free the Nipple"-Demo dürfen Frauen in Springfield, Missouri, jetzt per Gesetz keine Haut mehr zeigen.

So darfst du nicht in Springfield rumlaufen. Foto: Jim H. | Flickr | CC BY-SA 2.0

Dieser Artikel ist zuerst bei Broadly erschienen.

In meiner Heimatstadt müssen Frauen jetzt jeglichen Teil ihrer Brüste mit Stoff bedecken. Mit einer Weltanschauung direkt aus den 50er Jahren wurde in Springfield, Missouri, eine neue „Anti-Underboob"-Verordnung eingeführt, mit der Hotpants in Zukunft ebenfalls tabu sein werden. Als Reaktion auf die „Free the Nipple"-Demonstrationen definiert die Gesetzgebung das Vergehen der unsittlichen Entblößung neu, um jetzt jeglichen Teil der weiblichen Brust sowie den Hintern einzuschließen.

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Der Zeitung News-Leader zufolge gibt das neue, strengere Gesetz vor, dass „Frauen in der Öffentlichkeit jetzt einen größeren Bereich der Brust und alle Menschen 100 Prozent des Gesäßes verdecken müssen." Laut der Verordnung wird das Ganze unsittlich, wenn dieser Bereich „zur sexuellen Erregung, zur Befriedigung oder aus anderen beleidigenden bzw. Aufsehen erregenden Gründen" gezeigt wird. Ebenfalls sehr erwähnenswert ist hier die Tatsache, dass Stadtrat Justin Burnett, der die eben erwähnte Verordnung erst vorgeschlagen hat, gleichzeitig auch eine Regelung abschaffte, die „das Zeigen des verdeckten männlichen Genitals in einem erkennbar erregten Zustand" untersagte.

In anderen Worten: Wenn es um den „Schutz von Frauen und Minderjährigen vor Ausnutzung" (Burnetts Worte—er beschreibt sich selbst übrigens als „konservativen Fürsprecher für Familienwerte, Waffenrechte, finanzielle Verantwortung und Wohlstand") geht, dann sind Titten schlecht, Ständer aber vollkommen in Ordnung.

Als Frau, die sich ständig in einer Art und Weise kleidet, die sowohl sexuelle Erregung hervorruft als auch Alarmglocken schrillen lässt, machte ich mir Sorgen und wusste nicht, wie meine Zukunft in Springfield aussehen würde. Aber das neue Gesetz ließ in mir nicht nur Zweifel aufkommen, sondern warf auch einige Fragen auf. Einige Beispiele: Wie gehen Frauen dort jetzt schwimmen? Was sagt man dort zu den sogenannten „Whale Tails"? Wenn ich jetzt keine Kleidung mehr tragen darf, die die schlechten Tattoos um meine Brüste herum betont, werden mir meine Eltern diese Tattoos dann endlich nicht mehr übel nehmen?

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Die Gesetzgebung definiert das Vergehen der unsittlichen Entblößung neu, um jetzt jeglichen Teil der weiblichen Brust sowie den Hintern einzuschließen.

Für diejenigen unter uns, die das neue Gesetz immer noch etwas verwirrt, hat die Lokalzeitung The Springfield News-Leader ein Video gedreht und das Ganze „Springfield's Law and Your Nipples" genannt. Darin zu sehen ist ein männlicher Journalist Mitte 20, der peinlich berührt mit einer nackten Schaufensterpuppe herumgestikuliert, deren Nippel mit blauem Klebeband überdeckt sind. Mithilfe schwarzer Balken wird schließlich gezeigt, welche Bereiche des weiblichen Körpers nicht mehr öffentlich gezeigt werden dürfen—der Typ ist quasi die Live-Version der amerikanischen Zensurbehörde. In dem Video werden dann auch noch kurze Ausschnitte aus der Stadtratssitzung gezeigt, in der über das Gesetz diskutiert wurde. Rebekah Stanford, die gegen die Anordnung ist, gibt dabei an, wütend darüber zu sein, dass Frauen in Zeitschriften nackt sein dürfen, das Ganze beim Kampf um Gleichberechtigung dann aber plötzlich verwerflich und unmoralisch ist. Für die Anordnung ist dann jedoch zum Beispiel Danny Henderson, der kurz und bündig vorträgt, dass er sich nicht vom Busen der Frau verführen lassen darf.

Es ist inzwischen schon fünf Jahre her, dass ich aus Springfield weggezogen bin, und deshalb habe ich meiner Meinung nach genügend Abstand zu dieser Stadt gewonnen, um das Ganze manchmal wie eine Art Performance-Kunstwerk anzusehen, das sich durch verschiedene soziale Netzwerke und Nachrichtensender zieht. Die fast unglaubliche Absurdität dieser neuen Verordnung ist jedoch auch die Eigenschaft, die sie so wichtig macht.

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Ich bin wütend darüber, dass Frauen in Zeitschriften nackt sein dürfen, das Ganze beim Kampf um Gleichberechtigung dann aber plötzlich verwerflich und unmoralisch ist.

Stadtrat Burnett hat diese Veränderung nicht völlig überraschend vorgeschlagen, sondern das Ganze folgte nach der ersten „Free the Nipple"-Demonstration: Noch am gleichen Tag twitterte er, dass er sich für strengere Gesetze stark machen würde. Andere Stadträte, die Burnett in seinem Vorhaben unterstützten, beschuldigten die Demonstranten, sie dazu zu zwingen, sich bei der Gesetzgebung über Nippel (und politische Korrektheit) anstatt über wichtigere Dinge wie Springfields Armuts- und Hungerprobleme Gedanken machen zu müssen.

Alyssa Berrer, die 18-jährige Organisatorin der Springfielder „Free the Nipple"-Demos, ist aufgefallen, wie heuchlerisch es ist, zuerst für eine Verordnung zu stimmen und sich anschließend darüber zu beschweren, dass es sie gibt. Obwohl sie nach ihrer ersten Stadtratssitzung eigentlich schon damit rechnete, dass das neue Gesetz durchgewunken wird, meinte sie: „Die zahlreichen kindischen und unangebrachten Reaktionen haben mich nur noch wütender gemacht. Das Ganze war an Scheinheiligkeit nicht zu überbieten. Ohne Justin Burnett hätte es diese Diskussion überhaupt gar nicht erst gegeben."

Dabei zeigt Berrers Geschichte eigentlich, wie viel Einfluss und Macht eine organisierte Gemeinschaft in Städten wie Springfield haben kann: Auf die Idee, eine Demonstration auf die Beine zu stellen, kam sie durch eine Freundin, die Berrer als „überzeugte Frauenrechtlerin" beschreibt. Mit dem großen Anklang, auf den ihr Vorschlag bei der Feministen-Gruppierung ihrer Freundin dann stieß, hat Alyssa jedoch nicht gerechnet: „Das war total überwältigend. Obwohl ich erst 18 Jahre alt war und quasi alles alleine machen musste, wurde mir bewusst, dass ich das schaffen könnte."

Verordnungen wie diese sind nicht nur absolut rückschrittlich, sondern entmutigen dazu auch noch junge Aktivisten, die sich in Bereichen einsetzen, wo sie politisch gesehen sowieso keine großen Chance haben. Mal abgesehen von der Schuldzuweisung an die Opfer, die in Burnetts Mission zum „Schutz von Frauen und Minderjährigen vor Ausnutzung" ganz klar mitschwingt, indem er über deren Körper bestimmen und deren Entscheidungen einschränken will, wird hier auch den Aktivisten eine Teilschuld zugewiesen—viele Politiker implizierten in ihren Worten, dass die Organisatoren der Demonstrationen die neue Verordnung eben durch besagte Demonstrationen selbst zu verantworten haben. Die ganze „Sie hat es doch so gewollt"-Mentalität findet hier also doppelt statt.

„Wir setzen uns hier für eine gute Sache ein, ganz egal, was der Stadtrat auch denken mag."

Natürlich kratzt man sich bezüglich der Wirksamkeit von „Free the Nipple"-Demos in Orten wie Springfield, wo Leute wie Burnett im Stadtrat sitzen, schon ein wenig am Kopf. Gleichzeitig stellt sich aber auch die Frage, wo man denn sonst anfangen sollte. Zum Glück haben sich die örtlichen Feministinnen durch die ganze Entwicklung nicht entmutigen lassen. Für den 2. Oktober ist ein Slutwalk geplant und am 6. November soll die nächste „Free the Nipple"-Demonstration stattfinden. Außerdem wurde noch eine Petition gestartet, um Burnett aus dem Stadtrat zu schmeißen—die dazugehörige Facebook-Gruppe hat bereits über 1.300 Mitglieder. Die Organisatoren haben sich auch schon bezüglich einer Regressklage informiert und stehen mit der American Civil Liberties Union in Kontakt.

Ich weiß, wie frustrierend es ist, dass selbst im Jahr 2015 noch solch altmodischen Gesetze erlassen werden. Umso ermutigender ist deshalb die Tatsache, dass junge Menschen sich so etwas nicht gefallen lassen und dagegen kämpfen. Als ich damals noch in Springfield wohnte, hätte ich mir träumen lassen, dass dort mal eine „Free the Nipple"-Demonstration stattfinden würde. Zwar ist es noch ein weiter Weg, aber der doch als sehr konservativ geltende US-Bundesstaat Missouri befindet sich dennoch ganz klar im Umbruch. Und so meinte Berrer auch: „Ich bin froh, dass die Leute über solche Themen reden. Wir setzen uns hier für eine gute Sache ein, ganz egal, was der Stadtrat auch denken mag."