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Busfahren in Mexikos Drogenstadt

Lety ist Busfahrerin in Ciudad Juàrez, der Stadt im Norden Mexikos, in der jeden Tag sieben Menschen umgebracht werden.

Der zentrale Busbahnhof der mexikanischen Stadt Ciudad Juàrez liegt in einer dreckigen und lärmenden Ecke. Es ist ein Ort für Faulenzer und Reisende, aber vor allem für Dutzende von Männern, die als Busfahrer, Verkäufer und Verkehrskontrolleure arbeiten und den Löwenanteil ihrer Zeit mit Schreien verbringen. Genau dort begann ich, Lety zu suchen, eine Busfahrerin, die die einzige Frau hier ist. Die Route verläuft durch einige der gefährlichsten Gegenden der Stadt.

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Nachdem ich ungefähr eine Stunde gewartet hatte, sah ich sie in ihren Bus ranfahren, im Inneren rote Vorhänge und Unsere Liebe Frau von Guadalupe über ihrem Kopf hängend. Sie sah echt hart aus, mit ihren engen Hosen, ihrem Pferdeschwanz, vielleicht sogar ein bisschen einschüchternd, wie sie ihre Passagiere da meisterhaft rumkutschierte. Ich sagte ihr, ich fände ihre Arbeit sehr wagemutig. Sie lachte und sagte: „Na dann, komm rein. Willst du was über mich wissen oder was? Wir haben einen langen Weg vor uns.“

Sie besucht solche Orte wie Lomas de Poleo, wo im März 1996 sieben Frauenleichen gefunden wurden, die sexuell gefoltert und umgebracht wurden. Dieser und viele andere Fälle von Frauen, die in Lote Bravo Opfer von Anschlägen wurden und/oder verschwanden, führte zu einem großen Aufruhr, der eine Reihe an Untersuchungen und Forderungen von Menschenrechts-Organisationen und der Gesellschaft im Allgemeinen nach sich zog.

In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Morde an Frauen in dieser Grenzstadt gestiegen, die Reaktion der Regierung blieb, um es nett zu formulieren, mangelhaft. 2009 erließ der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte einen bahnbrechenden Beschluss, indem es den mexikanischen Staat für einen als „Campo Algodonero“ („Baumwollfeld“) bekannt gewordenen Fall verantwortlich machte, bei dem drei Frauen ermordet worden sind. Unglücklicherweise gilt dies aber nur für drei von insgesamt über 450 Todesopfern, die zwischen 1993 und 2009 registriert wurden. Der Tageszeitung El Diario zufolge wurden zwischen Januar 2009 und August 2011 609 weitere Fälle registriert, was Ciudad Juàrez zu der Stadt mit der höchsten Rate an weiblichen Mordopfern in ganz Mexiko macht. Das Schlimmste aber an dieser tragischen Situation ist, dass dies im Vergleich zu den 12.000 Menschen, auf die die Semanario Zetas kam, verblasst. So viele wurden im Bundesstaat Chihuaha im Zusammenhang mit Drogenhandel unter der Regierung  von Felipe Calderon ermordet.

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Unter diesen Umständen begannen Lety und ich also unsere Reise durch Ciudad Juárez3. Zwischen den Passagieren, die an Bord kletterten und den Besoffenen, die nicht mehr runter wollten, was Lety ziemlich wütend machte, fuhren wir also durch La Fontera Baja, La Sarabia und durch andere Stadtteile. Als ich auf dieser Fahrt durch die staubigen Fensterscheiben sah, zogen verarmte und verlassene Landschaften an uns vorbei. Es war unmöglich, nicht an den Tod zu denken.

Wir kamen an diesem Tag erst spät wieder. Lety lud mich zum Abendessen zu sich ein und bot mir einen Schlafplatz für die Nacht an. In der ganzen Zeit, die wir zusammen unterwegs und bei ihr zu Hause waren, fotografierte ich viel und hörte einige von Letys Geschichten.

VICE: Wie kam es dazu, dass du Busfahrerin geworden bist? 
Lety: Es gab eine Zeit, als Jobs hier sehr rar waren und man immer und immer wieder rumlief und nach Arbeit suchte. Also sagte mein Schwager (er ist auch Fahrer auf dieser Strecke): „Hüpf rein, ich bring es dir bei.“ Da ich gerade ein Baby bekommen hatte—und ich meine, man tut echt alles für seine Kinder—sagte ich: „Klar.“ Und das war’s, ich habe zwei Tage lang geübt und dann gaben sie mir den Job.

Wie waren die ersten paar Tage? Wie haben dich die Männer behandelt?
Sie haben mich verarscht, beleidigt und als „Mannsweib“ bezeichnet. Sie wollten mich weg haben, aber nein, das habe ich nicht zugelassen. Ich bin einer von diesen willensstarken Menschen, die nicht einfach aufhören, bevor sie das erreicht haben, was sie wollen. Ich finde einen Weg durchzuhalten.

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Wie hast du es geschafft, ihren Respekt zu verdienen?
Ich hab ihnen von Zeit zu Zeit mal eine geklatscht. Einer von denen fing an, Gerüchte über mich zu verbreiten, also ging ich hin und hab ihn darauf angesprochen. Ich sagte: „Was ist dein Problem? Wenn du mir irgendwas zu sagen hast, sag es mir direkt.“ Ich bin ziemlich mutig, also hab ich ihm eine verpasst. Und von da an haben mich alle respektiert.

Was machst du an deinen freien Tagen?
Ich entspanne mich beim Fahren, das kann ich hier zu Hause nicht. Wenn ich zu Hause bin, koche und putze ich die ganze Zeit.

Wovor hast du als weibliche Busfahrerin am meisten Angst?
Wir bekommen hier viele Autounfälle mit. Viele Leute müssen durch dieses Gebiet und davor habe ich Angst. Einer von den Fahrern hat eine Frau angefahren und sie starb, jetzt machen sie uns alle dafür verantwortlich.

Wie hat sich deiner Meinung nach die Stadt in den letzten paar Jahren verändert?
Einmal musste ich eine Situation mit ein paar Typen im Auto neben uns klären, die zwei weibliche Passagiere gedrängt haben, aus dem Bus zu steigen. Ich dachte mir, wenn ich sie retten könnte, na ja … Also riskierte ich es. Ich rief die Polizei über das Radio, weil die Mädchen weinten und mich anflehten: „Lass es nicht zu, dass sie uns zwingen auszusteigen, bitte.“ Mit dem ganzen Verschwinden und den anderen Sachen, die so passieren, dachte ich mir, dass sie sie wahrscheinlich entführen wollten.

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Du fährst durch die gefährlichsten Stadtgebiete auf deiner Strecke. Was hast du in diesen Stadtteilen schon gesehen?
Ich sah, wie sie junge Mädchen gewaltsam mitgenommen wurden. Sie bringen sie in ihre Autos, verdecken ihre Köpfe mit Jacken und Tüten und nehmen sie mit. Ich hab gesehen, wie sie jemanden umgebracht haben … Einmal in der Nähe der Santa Cecilia Kirche kam ich an, als ein Typ im Auto ranfuhr und jemanden umbrachte, den ich grade abgesetzt hatte. Der war mit einem anderen Passagier unterwegs, der versuchte wegzulaufen, aber dennoch erschossen wurde. Ich hab mich ganz schnell aus dem Staub gemacht. Wenn solche Sachen passieren, musst du einfach weg.

Als ich eine Schießerei zwischen der Polizei und Auftragskillern in Las Moras erlebte, habe ich nicht an mein Leben gedacht, sondern nur daran, das Leben meiner Fahrgäste zu retten. An diesem Tag kam ich zurück von der Ranch. Als ich in die Nähe von la Chiripa [ein Kreisel im Nordwesten von Ciudad Juárez] kam, sagten sie mir, ich solle an die Seite ranfahren, weil es da eine Schießerei gab. Ich sagte: „OK, dann fahr ich hier am Hang entlang.“ Und als ich am Hang entlang fuhr, sind wir in eine weitere Schießerei, hinter Las Moras, geraten und die Polizei versteckte sich hinter dem Bus. Sie hatten irgendwann die Oberhand: Ich habe beschleunigt und sie liefen mit uns mit. Man hörte Schüsse in alle Richtungen.

Was ist das Gefährlichste an Ciudad Juárez?
Was mir Angst macht, ist unsere Beziehung zur Polizei. Weil man sich manchmal auf der falschen Seite befindet.

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Du hast erzählt, dass dich einmal ein Polizist in deinem Haus angegriffen hat …
Das war, als wir schliefen. Ich glaube, es waren gerade ein paar Leute vom Grenzpersonal erschossen worden, und sie begannen, das Ufer abzusuchen. Wir schliefen, als die Polizei ankam, unsere Tür eintrat, ins Haus kam und ihre Waffen auf uns richtete. Sie schrieen uns an, wir sollten aufwachen, da sie gerade Auftragskiller suchten. Sie verwüsteten das Haus, klauten das Handy meiner Tochter, unser Geld und alles, was sie tragen konnten. Sie rannten davon, mit dem bisschen an Besitz, das wir gehabt haben.

Was hältst du von der Übersicht, die du auf deinen Fahrten hast?
Ich hab so viele Dinge gesehen, dass ich noch nicht mal weiß, wem ich noch vertrauen kann. Zum Beispiel wurde ich letztens von Kindern angegriffen und ein anderes Mal von Polizisten, die angeblich kamen, um uns zu beschützen. Ich habe nachts gearbeitet, also warfen sie mir vor, ich würde Drogen im Bus transportieren. Ich fragte, warum—ich wusste ja, dass ich nichts dabei hatte. Ich trinke und rauche nicht, ich habe mich nie irgendwelchen Lastern hingegeben. Warum sollten sie so etwas behaupten? Aber sie sagten, dass ich Drogen unter dem Bus hätte. Ich putze und fege jeden Tag, also kann man nicht einfach bei mir rumkommen, mir gute Vorsätze vorgaukeln und mich dann des Drogenbesitzes beschuldigen.

Sie sagten, sie könnten mit mir jetzt nicht wie mit einem Mann umgehen, also wollten sie ehrlich zu mir sein, sie suchten Geld. Sie nahmen alles, was ich hatte, meine Tasche, meine Geldbörse—sie haben alles mitgenommen.

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