Dieses Wiener Start-up dreht einen Animationsfilm über den österreichischen Bürgerkrieg

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Dieses Wiener Start-up dreht einen Animationsfilm über den österreichischen Bürgerkrieg

Der Film besteht aus 5760 Linolschnitten und basiert auf einem Comic, das zuerst gar kein Verlag drucken wollte.

Im kleinen Büro des Wiener Verlags bahoe books, in der Nähe des Schwedenplatzes, treffe ich Christian Ringswirth und Roland Schafek. Erst im Jänner 2016 haben die beiden das Start-up Ringeck Film gegründet, eine vierköpfige Filmproduktionsfirma, die bisher hauptsächlich Werbefilme und Extremsportvideos produziert hat.

Die bisherigen Filme von Ringeck Film zeichneten sich vor allem durch kreative Perspektiven und Cuts aus. "Seit der Gründung haben wir verschiedenste Sachen ausprobiert und so unseren eigenen Style entwickelt", erklärt mir Roland, der selbst für Schnitt und Kamera zuständig ist.

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"Momentan arbeiten wir zum Beispiel viel mit Ego-Perspektiven. Der Chris hat zehn Jahre in der Werbung und beim Spielfilm gearbeitet. Unser Animateur Robert Laing steht voll auf analoge Animation und ich selbst komm aus der Parcours- und Free-Running-Szene. Wir haben also viel unterschiedliche Erfahrung, die wir in unsere Arbeit einfließen lassen."

Diese unterschiedlichen Erfahrungen und Fähigkeiten sollen nun ein Projekt verwirklichen, das es so in dieser Form noch nie gegeben hat. Basierend auf der Graphic Novel Als die Nacht begann des oberösterreichischen Künstlers Thomas Fatzinek soll aus insgesamt 5760 Linolschnitten ein 12-minütiger Animationsfilm entstehen. "Eine enorme Hacken", sagt Roland. "Allein die CNC-Fräse, die wir für die Schnitte verwenden, hat drei Monate Fräszeit vor sich."

Als die Nacht begann erzählt die Geschichte des jungen sozialistischen Arbeiters Oskar, der in den 1930er-Jahren bei den Wiener Verkehrsbetrieben arbeitet. Oskar wird in dieser Zeit nicht nur Zeuge von politischen Ereignissen wie dem Wiener Justizpalastbrand, sondern nimmt schließlich im Februar 1934 auch aktiv am bewaffneten Aufstand gegen den faschistischen Ständestaat von Engelbert Dollfuß teil.

Die Idee für den Comic hatte Thomas Fatzinek bereits vor 20 Jahre, als er als Altenbetreuer an einem Zeitzeugenprojekt zum österreichischen Bürgerkrieg von 1934 mitwirkte. "Ich hab bis dahin eigentlich nichts über die Februarkämpfe gewusst, in der Schule haben wir nichts darüber gelernt. Plötzlich hatten aber Orte, an denen ich in Linz jeden Tag vorbei ging, eine ganz andere Bedeutung, weil ich plötzlich wusste: Da wurde 1934 geschossen, da haben Menschen gegen den Faschismus gekämpft. Da kam mir dann auch die Idee zu dem Comic", erzählt mir der Autor.

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Begonnen hat er dann erst einmal damit, viel zu lesen. Fast drei Jahre sammelte Fatzinek Zeitzeugenberichte, alte Flugblätter und Plakate und fertigte Linolschnitte an. "Für den Linolschnitt habe ich mich entschieden, weil die meisten Flugblätter und Plakate in dieser Zeit ja auch so hergestellt wurden. Da passt es, diesen Stil zu übernehmen", erklärt der Künstler. 2004 erschien der aus 188 Bildern bestehende Comic erstmals im Eigenverlag.

12 weitere Jahre hat es dann noch gedauert, bis Fatzinek schließlich auch einen Verlag fand, der bereit war die Graphic Novel zu verlegen. "In Österreich interessieren sich nicht sehr viele Leute für Comics. Ich war bei zwei Verlagen, die wollten meinen Comic beide nicht verlegen. Da hat es sogar geheißen, er wäre 'unverkäuflich'", sagt Fatzinek. Schließlich wurde der Kleinverlag bahoe books auf die Graphic Novel aufmerksam. "Im Grunde stellten mich die Burschen von bahoe books vor vollendete Tatsachen. Die haben mir ihren Katalog gezeigt, da stand ich dann schon drin. Das war super!", erinnert sich der Autor.

Bei bahoe books erschien Als die Nacht begann dann im Frühjahr 2016. Bei dem Wiener Verlag spricht man seither von einem alles anderen als "unverkäuflichen" Werk: "Die Verkaufszahlen sind super, die bisherigen Rezensionen, wie zum Beispiel im Standard, auch." Nur wenige Wochen nach dem Erscheinen der Graphic Novel wurden dann auch Christian und Roland von Ringeck Film auf das Buch aufmerksam.

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Neben Sportvideos und Imagefilmen war es für die beiden seit der Gründung der Filmproduktionsfirma das große Ziel, Animationsfilme mit politischen und sozialkritischen Inhalten zu machen. "Im Grunde hat uns unsere Produzentin Maria Macic auf Als die Nacht begann gebracht. Als sie uns das gezeigt hat, war klar, dass das genau das ist, was wir machen wollen. Der Graphic Novel liegen ein historisches Thema, historische Begebenheiten zu Grunde, die aber zeitpolitisch und gesellschaftlich gesehen auch heute wieder relevant sind", meint Christian.

Für ihn gibt es klare Parallelen zwischen dem, was 1934 geschah und den politischen Entwicklungen heute. "Überall in unserer Gesellschaft sieht man im Moment das Erstarken von autoritären Systemen und Ideen und dem Glauben daran, dass man damit Probleme unserer Zeit lösen kann. Als die Nacht begann ist Programm. Für uns ist diese Geschichte nicht nur ein historisches Manifest, oder eine historische Beschreibung, sondern eine Warnung im Sinne von 'Niemals vergessen!'".

Finanzieren wollen Christian und Roland das Projekt einerseits über Fördergelder, andererseits über eine Crowdfundingkampagne. "Es ist schwer als kleine, neue Firma an Fördergelder ranzukommen. Deshalb setzen wir uns auch mit dem Thema Crowdfunding auseinander. Wir haben eine Plattform gefunden, über die sich auch schon internationale Filmfestivals finanziert haben und hoffen damit 15.500 Euro sammeln zu können", erklärt Christian.

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Die Gesamtkosten für das Projekt bewegen sich zwischen 27.000 und 35.000 Euro. Eine Zusage für Fördergelder gibt es bis jetzt nur vom Land Oberösterreich. "Wir stehen derzeit auch in Kontakt mit dem Bildungsministerium, da es sich bei dem Projekt aufgrund des historischen Kontext ja auch um Bildungsfernsehen handeln kann", so Christian. Die beiden hoffen darauf, dass ihr Film vielleicht auch in Schulen gezeigt wird. Ansonsten soll er aber vor allem auf internationalen Filmfestivals und im Internet zu sehen sein, wofür er auch in mehrere Sprachen untertitelt wird—darunter Englisch, Italienisch und Französisch.

Ums Geld geht es Ringeck Film dabei jedenfalls nicht. "Wir wollen österreichische Geschichte aufarbeiten und Parallelen zwischen damals und heute aufzeigen. Da wäre es kontraproduktiv DVDs beim Mediamarkt zu verkaufen, oder den Film nur auf kostenpflichtigen Internetplattformen anzubieten", erklärt Christian.

Das Team hinter dem Filmprojekt "Als die Nacht begann" stellt sich vor.

Nach dem Start der Crowdfundingkampagne werden nun in einem ersten Schritt die 188 Bilder der Graphic Novel eingescannt und animiert. Im zweiten Schritt beginnt die CNC-Fräse ihre dreimonatige Arbeit. Danach werden alle 5760 Linolschnitte händisch gedruckt, erneut eingescannt und wieder animiert, womit die erste Rohfassung des allerersten narrativen Linolschnitt-Animations-Film fertig wäre. Als Sprecher für den Protagonisten Oskar konnten Roland und Christian Voodoo Jürgens gewinnen.

Das Release des Films ist für Mai 2017 geplant. Auch über weitere Verfilmungen von bei bahoe books erschienenen Graphic Novels denken Roland und Christian bereits nach. "Da haben wir auf jeden Fall Gleichgesinnte getroffen, mit denen wir super arbeiten können", sagen die beiden.

Thomas Fatzinek ist überwältigt über den plötzlichen Erfolg seiner Graphic Novel. "Als ich gehört habe, dass die Geschichte jetzt auch noch verfilmt wird, hab ich mich erst einmal betrunken", erzählt er lachend. Für ihn geht die Zusammenarbeit mit bahoe books jedenfalls weiter. Gerade ist sein zweites Buch erschienen. Darüber, ob auch Schwere Zeiten – Das Leben der Lili Grün verfilmt wird, will aber noch keiner reden.

Hier kannst du die Crowdfundingkampagne unterstützen.

Paul auf Twitter: @gewitterland