Unsinnige Gründe, warum wir Schlägereien hatten
​Foto von shay sowden | Flickr​ | CC BY 2.0

FYI.

This story is over 5 years old.

Stuff

Unsinnige Gründe, warum wir Schlägereien hatten

Jeder Mann hat in seinem Leben wohl mindestens eine Schlägerei erlebt—und etwas aus ihr gelernt.

Eine der vermutlich dümmsten Arten, seine Zeit, Geld und Gesundheit zu verschwenden, ist die Schlägerei. Gleichzeitig vergeht kaum ein (Männer-)leben ohne jemals in eine Schlägerei geraten zu sein. So reihen sich auch in der Schweiz jeden Tag Schlägereien, Gerangel und Raufereien in die knapp 8.000 polizeilich gemeldeten Körperverletzungen aus der aktuellen Unfallstatistik der SUVA ein. Generell dürfte die Dunkelziffer deutlich höher sein, da längst nicht jede Gewalttat zur Anzeige kommt.

Anzeige

Bei Schlägereien gibt es nur selten jemanden, der wirklich als Sieger hervorgeht, meistens versauen sie nur allen Beteiligten den Tag. Gerade weil Schlägereien sowas Dummes sind, birgt jede von ihnen eine kleine Lehre fürs Leben, die einem im weiteren Verlauf desselben helfen kann, ähnliche Situationen wenigstens zu vermeiden.

Eine Geschichtsstunde für Neonazis

Wie vermutlich jedes Schweizer Dorf während der Neunziger, hatte auch das, in dem ich gross geworden bin, eine Neonazi-Plage. Einer unserer Dorfnazis trug denselben Nachnamen wie einer der grossen echten Altnazis aus dem Krieg. Er hiess zwar nicht wirklich so, aber nennen wir ihn mal Göring (es war ein deutlich "kleinerer" Name als Göring). Jedenfalls war der Neonazi ein Zugezogener und hat sich erst aufs dritte Jahr der Sekundarschule den lokalen Neonazis angeschlossen.

Dadurch, dass sich Jung-Göring innerhalb weniger Wochen von Null auf Status bei den Neonazis hocharbeiten musste, fand im Kreise unserer lokalen Glatzköpfe etwas statt, das man sich unter anderen Umständen wünschen mag, in diesem Fall aber ganz ungünstige Konsequenzen hatte: eine Geschichtsstunde. Sein Nachname musste dem Rest des Schlägertrupps nämlich erst erläutert und dessen Bedeutung für ihre rechte Identität kontextualisiert werden.

Ab dann wussten die anderen politisch Verwirrten nicht nur, weshalb sie dem Zugezogenen einen höheren Platz in ihrer Stammeshierarchie zusprechen sollten, sondern auch dass sie neben Ausländern zusätzlich noch Juden zu hassen haben. Einer meiner besten Freunde von damals ist Jude. Wir malten gemeinsam Graffitis und rauchten Joints. Eines Tages kam einer der Neonazis in der Schulpause zu ihm hin, hielt ihm ein Feuerzeug ans Ohr, liess das Gas ausströmen und fragte: "Kennst du das Geräusch?" Da bin ich ausgetickt. Ich prügelte wild auf den einsamen Faschisten ein, bis wir von Lehrern getrennt wurden.

Anzeige

Ein paar Tage später lag ich nachts, an der Grenze zur Bewusstlosigkeit bekifft, auf einer Wiese am See. Bei mir waren zwei Mädchen und ein pazifistisch veranlagter Freund. Plötzlich tauchten drei Neonazis auf und ehe ich mich versah, kniete derselbe Typ, dem ich Tage zuvor aufs Maul gegeben hatte, auf mir und schlug auf mich ein, während die beiden anderen meine Freunde das Seeufer entlangjagten. Ich trug ein dicke Lippe und eine angeknackste Rippe davon. Was ich gelernt habe: Gewalt führt zu Gegengewalt und bei Nazis hilft auch die Geschichtsstunde nichts.

Eine gute Zeit haben

Vor ungefähr drei Jahren war ich mit dem gesamten Personal eines Clubs, für den ich ab und an gearbeitet hatte, am jährlichen Mitarbeiteressen. In einem kleinen Schloss auf Zürcher Stadtgebiet wurden uns in den Kellerräumen erlesene Speisen serviert, alle waren in Abendgarderobe gekleidet, es gab lustige Spiele und genug Alkohol, um die 13. Legion unter den Festbank zu legen.

Kurz nach Mitternacht gingen im denkmalgeschützten Gebäude aber die Lichter an und wir standen in bester Feierlaune am Montagabend auf der Strasse. Für uns war der Wochentag aber kein Problem. Unser Chef rief in einem Club an, um uns anzumelden und wir gingen an die dortige Party, die zwar röchelnd darum bettelte, dass ihr jemand den Stecker zieht aber das war uns egal—wir hatten alles, was wir brauchten: Eine grosse, gemischte Gruppe zwar trinkfester aber betrunkener, schön gekleideter Menschen, die alle professionell im Bereich Party arbeiteten und deshalb auch wussten, wie man Party herstellt und dazu eine Lounge mit allem, was die wohlsortierte Bar hergeben konnte. Kurzum, hatten wie vor allem eines: eine recht gute Zeit.

Anzeige

Eine scheinbar weniger gute Zeit hatten die anderen 25 Typen, die sonst noch an der Party waren und gezwungenermassen mit unserem strahlenden Mob verkleideter gute-Laune-Raketen die Räumlichkeiten des Clubs teilen mussten. Retrospektiv kann man jedenfalls sagen: Unsere Stimmung war nicht hundertprozentig ansteckend.

Plötzlich bekam ich aus dem Augenwinkel mit, wie unser Chef, der uns den ganzen Abend abgefüllt und verköstigt hatte, von einem dieser Typen eins auf die Nase bekam. Mit mir oder vielleicht noch etwas schneller stellten das auch die anderen 30 Mitarbeiter fest, die an den Feierlichkeiten teilgenommen hatten. Während die Bar-Keeperinnen sich wie Löwinnen auf den Angreifer stürzten, kamen von links und rechts weitere Typen aus den Ecken gehüpft und griffen uns an.

Bevor die Türsteher überhaupt begriffen, was passierte, bestand alls was an Party da war aus Geprügel und Gerangel. Glücklicherweise waren alle dermassen besoffen, dass nur jene, die von einem Türsteher eins kassiert hatten, am Schluss etwas bluteten. Wir gingen anschliessend in den Club, für den wir arbeiteten, und feierten dort weiter. Im privaten Rahmen. Die Lehre hier dürfte sein, dass eine frustrierende Party deutlich gefährlicher ist, als man denken mag und du dich niemals mit Barkeeperinnen anlegen solltest.

Ein Bier zu spät

Mein Freund, nennen wir ihn Markus, hatte sich in einem Zuger Provinzclub kurz vor Ende der Party noch eine Flasche Bier gekauft. Der Türsteher, ein serbischer Hühne mit dem Brustumfang eines Ochsen, bat ihn recht unhöflich, die Party zu verlassen. Markus weigerte sich, da sein Bier noch nicht leer war. Man hätte ihm einen Plastikbecher geben können, um das Bier umzufüllen. Der Sicherheitsmann bestand stattdessen darauf, dass Markus die Party ohne sein Bier verlassen müsse und machte sich daran, meinem Freund das Bier aus der Hand zu reissen.

Anzeige

Markus ist jedoch ziemlich gut darin, Gegenstände in seiner Hand festzuhalten. Der Fleischberg, der durch Markus' eisernen Griff wohl in seiner Security-Ehre verletzt wurde, fing an Markus zu würgen. Als ich die Szene sah, brannten bei mir alle Sicherungen durch. Ich stürzte mich in das Handgemenge und verpasste dem Türsteher einen sauberen rechten Kinnhaken—Mohammed-Ali-Style. Zehn Sekunden später lagen Markus und ich mit zerrissenen Shirts und blutigen Nasen auf dem Boden.

Was habe ich daraus gelernt? Nicht besonders viel, ich würde wieder genau gleich handeln. Ausser vielleicht, dass man sich in Provinzclubs keine Biere mehr kauft, wenn das Licht angeht—aber das war ja nicht meine Entscheidung.

Kaputtes Erinnerungsvermögen

Das Ganze hatte herzlich wenig mit mir zu tun. An einem Fest hat ein Typ A mit der Freundin von einem Typen B rumgemacht. Der Freund der Dame (B), hat die beiden dann erwischt (was auch nicht sonderlich schwierig war, da sie sich mitten auf der Tanzfläche beinahe die Kleider vom Leib gerissen hätten) und wollte dem fremden Typen A, der gerade mit seiner Freundin rummachte, eine reinhauen—hat dann aber selbst ordentlich auf die Fresse gekriegt.

Einige Stunden später kam Typ B mit Verstärkung zurück und wollte sich rächen. Da er sichtlich betrunken und total verwirrt war, ging er auf den falschen Typen los (Typ C), der das Pech hatte, eine ähnliche Jacke wie der Fremdküsser zu tragen. Der Fremdküsser selbst war inzwischen, wie ich später erfahren sollte, bereits mit der Freundin von A in einem Gebüsch verschwunden. Der unglückliche Unbeteiligte wurde also total unvorbereitet von hinten von mehreren Typen attackiert. Doch auch er war nicht alleine unterwegs. Das Opfer (ein Bekannter aus dem Dorf) setzte sich selbstverständlich heftig gegen die Fremden zur Wehr.

Anzeige

Inzwischen kämpften circa 20 Typen gegeneinander. Einer meiner Freunde, mit ausnehmend guter Seele, wollte die ganze Situation aufklären und versuchte die Beteiligten zu beruhigen. Wie aus dem Nichts bekam er eine Faust mitten ins Gesicht und war einen Augenblick später im Getümmel verschwunden. Das konnten meine Freunde und ich nicht zulassen und sprangen ebenfalls in die Menge. Einige eingesteckte und verteilte Schläge später, sahen sich die Freunde vom gehörnten Typ B in der Unterzahl und zogen davon. Insgesamt waren schlussendlich etwa 30 Personen an der Schlägerei beteiligt—nur einer davon hatte wirklich etwas mit der Geschichte zu tun.

Randnotiz: Der Fremdküsser kam später wieder auf ein Bier vorbei und erzählte uns stolz, wie er am Anfang des Abends "ein total versautes Girl" abgeschleppt hatte und es mit ihr am Waldrand getrieben habe. Er hatte von der ganzen Eskalation nichts mitbekommen. Ich hätte ihm am liebsten eine Ohrfeige verpasst. Gelernt habe ich vor allem, dass es wirklich wichtig ist, dem richtigen eine reinzuhauen—wenn schon.

Die falschen Schuhe

Ich sass mit Freunden an einem dieser stinklangweiligen Volksfeste, an die man als Landkind nach sehr vielen Zweifeln eben doch geht, weil Landkinder nicht wissen, wohin sie sonst gehen sollen, auf dem Rand einer Festzeltbühne. Zu jener Zeit spielte ich noch mehrmals pro Woche in einem Club Basketball. Die Frage, welche Basketball-Schuhe jemand trägt, gehörte mindestens so sehr zum jugendlich naiven Pseudo-Basketball-Nerdism wie der aussichtslose Kampf gegen Modems zum Streamen von And1-Videos. Ich hatte gerade neue Schuhe gekauft, die ich vorhin noch an keinem anderen Spieler gesehen hatte. Weil man das mit Hallenschuhen üblicherweise eben so macht, trug ich sie nur zum Training und zu Spielen.

Anzeige

Rosario: Gewalt, Drogen und Fussball:


Als wir etwas gelangweilt an diesem Bühnenrand sassen, ging ein Typ an uns vorbei, der das Konzept Hallenschuh anders interpretierte und mit Schuhen des gleichen Modells am Volksfest herumspazierte. Ich wagte es, meinen Arm zu heben, meinen Zeigefinger in seine Richtung zu spreizen und meinen Freunden die Worte "Der hat die gleichen Schuhe wie ich" zuzuraunen—in den Augen meines scheinbaren Schuhbruders ein kolossaler Fehler. Während ich mich noch über die rare Entdeckung freute, brauste er bereits auf mich zu, um mich mit der Frage "Wieso zeigst du auf mich?!" zu konfrontieren. Ich antwortete pflichtbewusst mit "Du hast die gleichen Schuhe wie ich". Er senkte seinen Blick in Richtung meiner Füsse und sah, dass ich irgendwelche Skate- aber keine Basketball-Schuhe trage. Nach einem sekundenschnellen innerlichen Schuhabgleich seinerseits kam er wohl zur Entscheidung, quasi als Rache für meinen ausgestreckten Zeigefinger, seine Faust kraftvoll in mein Gesicht zu strecken. Einer seiner Freunde, der gerade mit einer meiner Freundinnen flirtete, überzeugte ihn anschliessend davon, dass nun genug Gliedmassen ausgestreckt worden waren und so blieb es bei einer blutenden Nase.

Ein direktes Learning aus dieser Situation hat sich bei mir nicht ergeben. Ich habe immer noch die Frechheit, auf Menschen zu zeigen. Nur spiele ich heute kein Basketball mehr, spreche nur noch in Vergangenheitsform von stinklangweiligen Volksfesten—und bin aus Gründen des Glaubens an das Gute im Menschen ganz froh darüber, dass mir seit Jahren keine Menschen mehr begegnet sind, die ihre Fäuste in mein Gesicht strecken wollen.

VICE Schweiz auf Facebook und Twitter.


Foto von shay sowden | Flickr | CC BY 2.0