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Trotz Todesdrohungen: Wie ein Blogger aus Mossul den IS bekämpfte

Die islamistischen Besatzer von Mossul suchten fieberhaft nach ihm – dabei sprach er undercover mit IS-Kämpfern, um an Informationen zu kommen.
Illustrationen von Lisa Raneva

"Das Auge von Mossul" – so heißt der Blog eines unerschrockenen Irakers, der sich gegen die Terror-Organisation Islamischer Staat gestellt hat. Als der IS Mossul Anfang Juni 2014 besetzte, wollte der Blogger darüber informieren, was in der nordirakischen Stadt los war. Der selbsternannte "Nicht-Journalist" startete Mosul Eye und dokumentierte die Aktivitäten, Entschlüsse und Pläne des IS. Er veröffentlichte Berichte über das tägliche Geschehen in seiner Stadt, lieferte Updates zu militärischen Maßnahmen gegen die Terroristen und beschrieb im Detail die Strategie des IS.

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Der Blog existierte während der gesamten drei Jahre, die der IS Mossul besetzt hielt. Gerüchten zufolge halfen die Posts unter anderem dem irakischen Militär, einige Hauptquartiere der Terroristen ausfindig zu machen. Doch mit der wachsenden Beliebtheit des Blogs wuchs auch die Zahl der Morddrohungen, die der IS dem Autoren schickte, meist per E-Mail oder in Form von Kommentaren unter Posts. Schließlich sah sich der Autor dazu gezwungen, kurz vor der Befreiung der Stadt im Juli 2017 aus dem Irak zu fliehen.

Unsere Kollegen von VICE Arabia haben mit dem Autoren von Mosul Eye (im arabischen Original "Ain Al Mosul") gesprochen, über Anonymität, die Motivation hinter dem Blog und das Leben als IS-Zielscheibe.

VICE: Was hat dich damals motiviert, Ain Al Mosul zu starten?
Ain Al Mosul: An dem Tag, als der IS Mossul besetzte, erschien mir alles so düster und hoffnungslos. Damals benutzte ich schon mein privates Facebook-Profil, um Nachrichten und Infos zu posten. Also beschloss ich, einen Schritt weiter zu gehen und einen Blog zu starten, auf dem ich alle Entwicklungen in der Stadt dokumentieren wollte. Kaum hatte ich mit dem Bloggen angefangen, versuchten Dutzende Menschen, mich zu kontaktieren, aber ich habe nie geantwortet. Ich hatte immer Angst, dass es IS-Kämpfer sind, die versuchen, mich aufzuspüren.

Wie hast du den Mut gefunden, so einen Blog zu betreiben?
Ehrlich gesagt habe ich mich nie für die Art Mensch gehalten, die mutig genug ist, so was zu machen. Als ich anfing, war der IS dabei, so viele Propaganda-Lügen zu verbreiten – angeblich hätten die Menschen in Mossul sie mit offenen Armen willkommen geheißen, angeblich gäbe es jetzt in der Stadt nur noch Frieden und Wohlstand. Ich wollte einfach den Menschen in Mossul helfen, indem ich ihnen die Wahrheit erzählte. Je mehr ich mich auf diese Aufgabe konzentrierte, desto leichter fiel es mir.

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Woher hattest du deine Informationen?
Ich lief einfach draußen rum und passte auf, wie IS-Kämpfer die Menschen behandelten. Ich hatte nie ein Handy oder auch nur einen Stift dabei, um zu dokumentieren, was ich sah. Ich merkte mir alles und schrieb es dann zu Hause auf.

Und hast du dich je persönlich mit IS-Kämpfern unterhalten?
Klar, manchmal schon. Wenn ich sie auf dem Markt oder an einem anderen öffentlichen Ort sah. Meist fühlte ich mich sicher genug, um mit ihnen über Religion und Politik zu sprechen, denn ich kenne ihre Ideologie sehr gut. Aber einmal wurde eine Diskussion ziemlich heikel, als sie mich fragten, ob ich ihrem Anführer Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen hätte. Wenn ich Ja gesagt hätte, dann hätten sie mich vielleicht aufgefordert, etwas zu tun, das meine Loyalität unter Beweis stellt. Hätte ich Nein gesagt, hätten sie mich vielleicht töten wollen. Zum Glück schaffte ich es, der Frage auszuweichen, indem ich das Thema wechselte.

Warst du je kurz davor, erwischt zu werden?
Eines Tages hatte ich mich mit ein paar IS-Kämpfern unterhalten. Dumm wie ich war, eilte ich direkt nach Hause und bloggte über eine Geschichte, die sie mir erzählt hatten. Ein paar Tage später sah ich dieselben Typen wieder und sie fragten mich, wie genau diese Information auf der Seite gelandet sei. Ich stritt völlig ab, überhaupt von der Website oder von ihrem Betreiber zu wissen. Dann erzählten sie mir von ihren ganzen Bemühungen, den Betreiber des Blogs aufzuspüren. Es war wirklich furchterregend.

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Was waren das für Bemühungen? Der IS hatte Zugriff auf die persönlichen Daten der Internetnutzer in Mossul, oder?
Das stimmt, und ich kann nur betonen, dass ich großes Glück hatte. Der IS zwang Internetanbieter, die persönlichen Daten aller Kunden in Mossul auszuhändigen, um die Aktivitäten der Einwohner zu überwachen. Aber ich hatte einen Freund, der Inhaber eines Internet-Providers war. Ich zahlte ihm für meinen Anschluss das Doppelte, damit er mich nicht verriet.

Wie hat dich das alles persönlich beeinflusst?
Ich hatte natürlich Angst, dass der IS mich finden und töten würde, aber ich hatte mehr Angst vor den schrecklichen Dingen, die sie meiner Familie angetan hätten – und meine Familie wusste ja nicht mal von dem Blog. Jedes Mal, wenn es an der Tür klopfte, hatte ich Angst, dass es der IS war. Ich stellte mich immer still auf den schlimmsten Fall ein.

Weißt du, ob deine Arbeit direkt oder indirekt den Sicherheitskräften geholfen hat?
Ich bekam Nachrichten von Leuten, die mir sagten, meine Blog-Posts würden dem irakischen Militär helfen, IS-Kämpfer und ihre Hauptquartiere ins Visier zu nehmen. Natürlich war ich sehr glücklich zu erfahren, dass die Informationen, die ich lieferte, den Menschen von Mossul halfen. Aber mein Ziel war ehrlich gesagt nie etwas anderes, als zu dokumentieren, was ich sah – ich bin weder Journalist noch Mitarbeiter eines Nachrichtendiensts.

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Welcher von deinen Posts hatte wohl die größte Bedeutung für den Kampf gegen den IS?
Ich war einer der Ersten, die etwas über die Struktur ihrer Organisation und ihre Hierarchie geschrieben haben. Das hat ihr System durchleuchtet und sie geschwächt.

Irgendwann bist du aus dem Irak geflohen. Lebst du inzwischen wieder in deiner Heimat?
Ich möchte am liebsten nicht verraten, wo ich gerade bin. Aber es stimmt, dass ich aus meiner Heimat geflohen bin. Das war in Reaktion auf eine direkte Drohung vom IS, kurz bevor Mossul befreit wurde. Ich schaffte es mithilfe turkmenischer Schmuggler durch Syrien, nachdem ich ihnen 1.000 Dollar gezahlt hatte.

Wie sehen deine Pläne für den Blog aus?
Ich würde ihn gern weiter aktiv halten, aber vielleicht sollte sich der Fokus jetzt darauf verschieben, Mossuls kulturelle Wiedergeburt zu dokumentieren, und wie junge Menschen in der Stadt dazu beitragen. Oder vielleicht höre ich auch irgendwann einfach auf und kümmere mich wieder um mein normales Leben.

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