Tartortreiniger Tugrul Cirakoglu
Tugrul Cirakoglu | Foto von der Autorin
Menschen

Vom Partycleaner zum Tatortreiniger: Dieser 29-Jährige wischt auch die schlimmsten Überreste auf

"Ich habe kein Problem mit Blut und Dreck. Aber diese extreme Einsamkeit und Traurigkeit, das berührt mich wirklich."

Achtung: Dieser Artikel enthält Bilder und Schilderungen, die du vielleicht verstörend findest.

Ich treffe Tugrul Cirakoglu vor einem Haus in Wehl, einer Kleinstadt im Osten der Niederlande. Dort drinnen hatte eine Frau einen Monat lang tot gelegen, nachdem sie die Treppe runtergefallen war. Die Polizei hat ihren Leichnam fortgeschafft. Wir sind zum Putzen hier.

Als ich ankomme, zieht sich Cirakoglu gerade einen Einwegoverall über. Wir klingeln an der Tür, die Nichte der Verstorbenen öffnet und lässt uns rein. Der Gestank im Haus ist überwältigend. Mir wird schlecht. Cirakoglu hingegen wischt im Flur gelassen die große Pfütze Körperflüssigkeiten auf. Ich blicke auf die zahlreichen Maden, die hier rumkriechen, und frage ihn, warum sie so dunkel sind. "Das sind Fleischmaden", erklärt er. "Das ist eine andere Art als die, die du in einem Komposthaufen findest."

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Rund zwei Stunden verbringen wir damit, Fliegen zu entfernen, den blutigen Teppich von den Treppenstufen zu reißen und Luftreiniger zu installieren. Das ist genug Zeit, um mit Cirakoglu darüber zu sprechen, wie der 29-Jährige sein Reinigungsunternehmen gründete – das einzige in den Niederlanden, das sich auf Tatortreinigung spezialisiert hat.

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Foto von der Autorin

VICE: Wie bist du Tatortreiniger geworden?
Tugrul Cirakoglu: Nach meinem Master in Management and International Business Affairs hatte ich Probleme, einen Job zu finden. Also habe ich 2014 mit 300 Euro auf dem Konto mein eigenes Unternehmen gegründet, die Reinigungsfirma Frisse Kater, Frischer Kater auf Deutsch. Anfangs haben wir uns auf Wohnungsreinigungen nach Partys spezialisiert. Als ich aber erkannte, dass im Reinigungsgeschäft "je extremer, desto lukrativer" gilt, interessierten mich die ungewöhnlicheren Aufträge. Ich habe mich monatelang im Internet informiert, wie man Zeug wie Blut und Körperflüssigkeiten wegbekommt.

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Maden und Dreck | Foto von der Autorin

Was hast du gelernt?
Vor allem, dass Reinigungsequipment verdammt teuer ist. In den vergangenen vier Jahren habe ich 150.000 Euro für spezielle Desinfektionsmittel, Fettlöser, Bürsten, Abzieher, Handschuhe, Einwegoveralls, Atemmaske und Staubsauger ausgegeben. Diese 1.500-Euro-Staubsauger haben einen besonderen Filter, der verhindert, dass Bakterien in die Luft gepustet werden. Die brauchst du zum Beispiel, um Leichenstaub aufzusaugen.

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Wie bitte?
Wenn ein Körper lange Zeit verwest, verwandelt er sich zu Staub. Wenn du den mit einem normalen Staubsauger oder einem Feger reinigst, wird der Staub in die Luft gepustet und du atmest winzige Leichenteile ein. Das kann zu allen möglichen Krankheiten führen.

Die Investitionen haben sich gelohnt?
Definitiv. Vergangenes Jahr haben wir 250.000 Euro gemacht. Mein Ziel ist eine Million pro Jahr. Momentan behalte ich die Hälfte der Einnahmen, die andere Hälfte geht an meine Angestellten, die Büroräume, Reinigungsutensilien, Fahrzeuge und Steuern.

Wie bestimmst du den Preis eines Einsatzes?
Ich arbeite mit verschiedenen Kategorien. Wenn wir zum Beispiel 150 Kilogramm Fäkalien aus einem Bad schaufeln sollen, bist du in der höchsten Reinigungskategorie. Das kann dich 3.600 Euro am Tag kosten. Das Günstigste sind rund 1.700 Euro pro Tag.

150 Kilo Fäkalien? Ist das wirklich passiert?
Ja. Im Mai erhielten wir einen Anruf von einer Hausverwaltung. Aus einem Bad müssten 150 Kilo Fäkalien entfernt werden. Die Nachbarn hatten sich anscheinend über den Geruch beschwert. Offenbar war die Toilette in der betroffenen Wohnung verstopft. Anstatt etwas dagegen zu unternehmen, hat die Person, die dort lebte, sie einfach weiter benutzt. Erst war die Schüssel voll, dann der Boden drum herum. Am Ende hat er von der Türschwelle ins Bad gemacht. Sein Schlafzimmer war direkt daneben. Die Person durfte weiter dort wohnen und war auch da, als wir das Bad gereinigt haben. Er saß einfach da und hat Zeitung gelesen, als wäre nichts gewesen.

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Cirakoglu bei der Arbeit | Screenshot von Cirakoglus YouTube-Kanal mit freundlicher Genehmigung von Tugrul Cirakoglu

War das der unangenehmste Einsatz, den du bis jetzt hattest?
Nein, vor zwei Jahren haben wir die Wohnung eines schwer übergewichtigen Mannes gereinigt, der fünf Monate tot in seiner Küche gelegen hatte. Schließlich hat seine Familie bemerkt, dass er nicht ans Telefon geht und ist mit der Polizei zu seiner Wohnung. Die Beamten erzählten mir, dass der Geruch so schlimm war, dass sie sich übergeben mussten, als sie die Wohnung betraten. Sie haben die Balkontür geöffnet, um etwas frische Luft reinzubekommen. Daraufhin soll die Hälfte der Gäste vom Hotel gegenüber ausgecheckt haben, weil der Gestank unerträglich war. Wenn jemand so lange verwest, gibt es für die Polizei nicht mehr viel wegzuräumen. Die Überreste werden mit einer Schaufel aufgelesen und in einen Beutel gepackt. Dieser Mann war zu Suppe geworden.

Und was habt ihr dort vorgefunden?
Weil der Typ so schwer war und so lange dort gelegen hatte, hatten sich Körperflüssigkeiten und Maden über zehn Quadratmeter ausgebreitet. Der komplette Boden und die Schicht darunter mussten raus. Die Flüssigkeiten waren in den Beton gesickert und hatten ihn schwarz gefärbt. Die komplette Küche war beschädigt. Sein Vermieter hatte uns beauftragt, weil er die Wohnung weitervermieten wollte.

Was für Fälle habt ihr sonst?
Wir putzen alles Mögliche – Messerstechereien, Schießereien. Einmal hatten wir jemanden, der zu Hause mit einer Axt angegriffen worden war. Seine Gehirnmasse war an die Wand gespritzt. Ein anderes Mal hatte sich eine Frau mit einer Psychose mehrere Stichwunden zugefügt. Das war eine Menge Blut.

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Aber das Heftigste sind die Hinterlassenschaften von Menschen, die an gastrointestinalen Blutungen sterben. Bei Magenblutungen gibt es viel Blut und Fäkalien.

Kommt das oft vor?
Vor sechs Monaten hatten wir einen 32-Jährigen, der eine gastrointestinale Blutung erlitt und in seinem Bett noch einen Monat weiterlebte. Er lag dort in seinem eigenen Urin, Blut und Fäkalien und war zu krank, um aufzustehen. Dann erlitt er eine weitere Magenblutung, an der er ein paar Tage später starb. Das Schlimmste an der ganzen Sache war, dass der Typ Mitbewohner hatte. Die haben erst eine Woche, nachdem er gestorben war, nach ihm geschaut, weil sie etwas gerochen haben. Niemand hatte etwas von seinem fünfwöchigen Leiden mitbekommen. Sie waren alle Drogenabhängige. Während wir unsere Arbeit dort machten, kam einer der Mitbewohner rein und fragte, ob er den Laptop des Toten haben kann. Die konnten noch nicht mal warten, bis wir fertig waren.

Wie wirkt sich die Arbeit auf dich persönlich aus?
Seit ich damit angefangen habe, sehe ich vermehrt die hässliche Seite der Menschheit. Mich schockiert nicht, dass Menschen getötet werden – das gibt es ja schon seit Anbeginn der Zeit. Aber mich überrascht, wie weit verbreitet Einsamkeit und psychische Probleme in den Niederlanden sind. Wir werden immer als wunderschönes und glückliches Land dargestellt. Aber wie kann dann jemand 150 Kilo Fäkalien im Bad haben? Wie kann jemand fünf Monate tot zu Hause liegen, ohne dass es jemanden interessiert?

Solche Fälle zeigen dir, dass sich in den Niederlanden fast alle nur um sich selbst kümmern. Ich reinige auch die dreckigen Häuser von erfolgreichen Anwälten und Ärzten. In ihren Wohnzimmern klagen sie dann davon, wie einsam sie sind. Ich habe kein Problem mit Blut und Dreck. Aber diese extreme Einsamkeit und Traurigkeit, das berührt mich wirklich.

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