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Rechter Terror

Alles, was wir über die mutmaßliche rechte Terrorzelle von Mecklenburg wissen

Ein Politiker und ein Polizist sollen geplant haben, Linke zu erschießen.
Symbolfoto: imago | photothek

Montagmorgen um vier in einem Rostocker Vorort: Ein schwer bewaffnetes GSG9-Kommando stürmt unter Einsatz von Blendgranaten ein Wohnhaus. Die Beamten setzen die Bewohner fest und durchsuchen das Haus mit Spürhunden. Zur selben Zeit stürmen Polizisten noch eine ganze Reihe anderer Objekte in Mecklenburg-Vorpommern.

Der Grund: Zwei Männer werden verdächtigt, eine "schwere staatsgefährdende Gewalttat" vorbereitet zu haben. Das mögliche Motiv: Sie waren unzufrieden mit der aktuellen Politik, vor allem mit der "aus ihrer Sicht verfehlten Flüchtlings- und Zuwanderungspolitik", heißt es in der Pressemitteilung des Generalbundesanwalts. Was wissen wir sonst noch darüber?

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Der eine ist Polizist, der andere Rechtsanwalt und Politiker

Wie das Innenministerium Mecklenburg-Vorpommerns erklärt hat, ist der eine Verdächtige ein Polizist in der Polizeiinspektion Ludwigslust. Gegen ihn wurden disziplinarrechtliche Maßnahmen eingeleitet, er ist fürs Erste vom Dienst suspendiert. Die Süddeutsche schreibt, der Beamte habe "unter Kameraden einen guten Namen" gehabt.

Noch überraschender ist allerdings der Beruf des zweiten Verdächtigen: Er ist nicht nur Rechtsanwalt, sondern sitzt gerade als stellvertretender Vorsitzender des URF, des Wählerbündnisses Unabhängige Bürger für Rostock, in der Rostocker Bürgerschaft. Die URF stellen auch den Rostocker Oberbürgermeister. Bis vor ein paar Jahren war er noch FDP-Mitglied, ist aber ausgetreten, ohne seinen Posten in der Bürgerschaft abzugeben. Seine Fraktionskollegen zeigen sich schockiert: "Uns haben diese Meldungen sehr überrascht. Es fällt mir schwer, Worte zu finden", sagte ein Kollege zu Focus Online. "Sollte das stimmen, ist das sehr schockierend." Der Mann habe nie rechte Tendenzen gezeigt.


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Am Dienstagmorgen sprach der Kommunalpolitiker schließlich selbst mit Focus Online – und wies alle Vorwürfe gegen sich zurück. Gewalt sei für ihn "kein Mittel der Auseinandersetzung". Er gehe "sicher davon aus, dass die weiteren Ermittlungen zeitnah ergeben werden, dass die Vorwürfe gegen mich haltlos sind, sodass das Ermittlungsverfahren eingestellt wird". Außerdem engagiere er sich in der Deutsch-Israelischen Gesellschaft und bekämpfe Antisemitismus.

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Die Mecklenburger Polizei durfte nicht mitmachen

Ein brisantes Detail: An den Hausdurchsuchungen waren keine Polizisten aus Mecklenburg-Vorpommern beteiligt. Sie wurden vom Generalbundesanwalt angeordnet und von GSG9-Einheiten aus anderen Bundesländern und Bundespolizisten durchgeführt.

Das könnte damit zusammenhängen, dass die Einsatzkräfte neben den Wohnungen der beiden Verdächtigen auch noch die weiterer Personen durchsucht haben – darunter die eines hochrangigen Polizeibeamten des Landes. Diese Personen werden allerdings nicht mitverdächtigt – sie sollen nur mit den beiden Verdächtigten in Kontakt gestanden haben.

Die beiden glaubten offenbar an einen bevorstehenden Bürgerkrieg

Der Auslöser für die Razzien waren offenbar die Chats der beiden – untereinander, aber auch mit anderen Personen. Offenbar waren beide "Prepper" und überzeugt, dass die gesellschaftliche Ordnung bald zusammenbrechen würde. Die Flüchtlingspolitik würde dazu führen, dass die "privaten und öffentlichen Haushalte" verarmen, eine "Zunahme von Anschlägen und sonstigen Straftaten" würde das Übrige tun, fasst die Pressemitteilung des Generalbundesanwalts das zusammen. Um sich auf diese Endzeit vorzubereiten, hatten beide offenbar bereits angefangen, sich mit Lebensmitteln und Munition zu versorgen – weil beide Jäger waren, besaßen sie bereits legal Waffen.

Sie hatten sich vorgestellt, wie sie Linke internieren und töten

Am Montagnachmittag berichten mehrere Medien, die beiden hätten eine "Todesliste" mit linken Aktivisten und Politikern angelegt, die sie umbringen wollten. Das stimmt so wohl nicht.

Was stimmt: Die bevorstehende Krise sahen die beiden auch als "Chance", und zwar dazu, "Vertreter des politisch linken Spektrums festzusetzen und mit ihren Waffen zu töten", wie die Generalbundesanwaltschaft das ausdrückt. Und die Beamten fanden Informationen über "Politiker der FDP, der Grünen, der Linken aus Land und Bund, Namen von Flüchtlingsverbänden, von Arbeiterwohlfahrt und Gewerkschaften", wie die Süddeutsche schreibt. Der Zweck ist unklar. Gegenüber Focus Online hat der verdächtigte Anwalt gesagt, eine "Todesliste" gebe es "in keiner Weise".

Beide sind noch auf freiem Fuß

Die Behörden sind sich offenbar nicht sicher, wie ernst sie die Gewaltfantasien der beiden in ihren Chats nehmen sollen. Der Generalbundesanwalt betont, es handele sich bisher nur um einen "Anfangsverdacht", die "Durchsuchungsmaßnahmen dienen dazu, die bestehenden Verdachtsmomente zu objektivieren". Bis jetzt sind auch noch keine Haftbefehle beantragt worden.

Es ist also immer noch möglich, dass die beiden von dem Verdacht freigesprochen werden. Dann sind sie eben nur noch ein Polizist und ein Politiker, die dasselbe Hobby teilen: Lebensmittel und Munition lagern, um sich auf den drohenden Rassenkrieg vorzubereiten, und darüber fantasieren, wie sie andere Menschen einsperren und erschießen.

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