Das Dümmste, was Politiker bis jetzt über die G20-Randale gesagt haben
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Das Dümmste, was Politiker bis jetzt über die G20-Randale gesagt haben

Von "Das waren keine Linken!" bis "Das ist Terrorismus!".

Ja, das ist ziemlich scheiße gelaufen. Aus dem "Festival der Demokratie", das der G20-Gipfel in Hamburg werden sollte, ist ein Festival der stupiden Gewalt geworden: Autonome und Plünderer haben die Innenstadt in ein rauchendes Schlachtfeld verwandelt, Polizisten haben sich gerächt, indem sie Unschuldige zusammengeschlagen haben, die USA haben sich endgültig aus dem Pariser Klimaabkommen zurückgezogen, und das berühmteste Bild des ganzen Spektakels ist ein Vollidiot, der ein Selfie vor einem brennenden Müllhaufen macht.

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Umso besser, dass es jetzt vorbei ist, oder? Ist es aber nicht. Auf das Ereignis folgt die Aufarbeitung durch Medien und Politik, und das ist normalerweise auch gut so. Nur dass diese Einordnung dieses Mal fast genauso dumm abläuft wie das Ereignis selbst: Fast jeder Politiker, der sich bis jetzt dazu geäußert hat, hat die Debatte dadurch noch ein bisschen hysterischer gemacht und die Fakten weiter verdreht.

Das hier ist das Unsinnigste, was Politiker – bis jetzt – über die Krawalle gesagt haben:

SPD: Die Randalierer sind "Protestterroristen"

Den Tweet setzte die SPD schon am Samstagnachmittag ab, und offensichtlich findet sie ihre Wortschöpfung immer noch nicht peinlich genug, um ihn zu löschen. Dabei sollte man nach den blutigen Anschlägen in Manchester oder auf dem Breitscheidplatz eigentlich erwarten können, dass eine Volkspartei nicht einfach so mit dem Wort "Terrorismus" um sich schmeißt, wenn sie eigentlich massive Sachbeschädigung, Diebstahl, Widerstand gegen die Staatsgewalt und versuchte Körperverletzung meint.

Was soll das überhaupt sein, ein "Protestterrorist"? Jemand, der aus Protest terroristische Anschläge verübt (anders als die anderen Terroristen, die das offenbar aus Langeweile oder Blutzuckermangel tun)? Oder jemand, der Proteste terrorisiert?

Vielleicht hat die SPD auch gar nicht so genau über das Wort nachgedacht. Vielleicht brauchte sie einfach nur schnell irgendein Wort, um eben nicht das zu schreiben, was sie eigentlich hätte schreiben müssen: dass es Linksradikale waren, die den Staat herausgefordert haben. Womit wir schon bei der nächsten Riesendummheit wären, die die SPD verbreitet.

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Die Randalierer waren "nicht links"

Was genau sie dazu bewogen hat, ist völlig unklar, aber irgendwann fingen ein paar der SPD-Größen an, in ihren öffentlichen Statements wie besessen das Mantra zu wiederholen, die Randalierer seien allesamt "keine Linken". Dem stellvertretende Parteivorsitzende Ralf Stegner schien das so wichtig zu sein, dass er in sehr kurzer Zeit 19 Tweets dazu absetzte, und am Sonntagabend erklärte Kanzlerkandidat Martin Schulz live im ZDF, die Gewalttäter seien "bescheuert, aber nicht links".

Das ist nicht nur falsch, sondern eine Frechheit gegenüber der gesamten Öffentlichkeit, die das Geschehen verfolgt hat. Denn auch wenn sich später immer mehr opportunistische Plünderer und unpolitische Chaoten an den Ausschreitungen auf der Schanze beteiligten, leugnet niemand, dass der Impuls zu den Ausschreitungen von den Autonomen kam. Dass die Aktionen politisch motiviert waren, kann man ziemlich deutlich daran sehen, dass vor dem Zerstörungstrupp drei Leute mit einem Plakat marschierten – in einem Video kann man die Worte "freedom is ungoverned" darauf erkennen. Und auch wenn es Herrn Stegner nicht gefällt: Die Autonomen sehen sich selbst nicht nur als links, sondern auch noch als viel linker als die SPD.

Wer's nicht glaubt, kann auch einfach das Statement der Demo "Welcome to Hell" lesen, in dem sich die Organisatoren erstens als "Teil eines vielfältigen Spektrums von linken Gruppen" definieren und zweitens erklären, "dass wir uns nicht auf den viel zitierten 'friedlichen' Protest reduzieren lassen wollen. Zielgerichtete Militanz ist für uns eine Option und ein Mittel, um über eine rein symbolische Protestform hinauszukommen". Selbst nach der Demo distanzierte sich das autonome Zentrum Rote Flora nicht von der Gewalt an sich, sondern nur von ihrem Ausmaß und Ziellosigkeit. Der Rote-Flora-Anwalt Andreas Beuth erklärte dem NDR, man habe durchaus "gewisse Sympathien für solche Aktionen", nur "bitte doch nicht im eigenen Viertel, wo wir wohnen!"

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Auch wenn der SPD das nicht gefällt: Es gibt eine ganze Menge Linker, die es völlig OK finden, Autos anzuzünden und Polizisten anzugreifen. Sie sagen das auch immer wieder sehr deutlich, wie zum Beispiel dieser Text in der taz sehr gut analysiert.

Die Randalierer sind genauso schlimm wie islamistische Terroristen

Die SPD war zwar früh dran, aber das geflügelte Wort vom "Terror" wurde ziemlich schnell von allen möglichen Politikern übernommen. Der Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) nannte die Ausschreitungen "linksextremen Terror" und erklärte sie für "so schlimm wie Terror von Rechtsextremen und Islamisten". Beatrix von Storch von der AfD forderte, "die Antifa" zur "terroristischen Vereinigung" zu erklären. Mittlerweile hat sogar unser Innenminister de Maizière sich zu Wort gemeldet und die Randalierer als "verachtenswerte gewalttätige Extremisten" bezeichnet, "genauso wie Neonazis das sind und islamistische Terroristen".

Klar, in Hamburg haben sich krasse Szenen abgespielt. Aber so groß die angerichteten Schäden auch sind: Dutzende brennende Autos, improvisierte Angriffe auf Polizisten, eine Handvoll geplünderte Geschäfte und eine Menge zerdepperter Scheiben sind nicht das Gleiche wie die NSU-Morde oder Hunderte Brandanschläge auf Flüchtlingsheime, und sie sind auch nicht das Gleiche wie die gezielten Massenmorde, die Islamisten verüben. Was für ein Interesse hat ein Innenminister, derartig Hysterie zu verbreiten und Angst zu schüren?

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Man darf den Polizeieinsatz nicht kritisieren

Der Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) wird nicht müde zu wiederholen, die Polizei habe "alles richtig gemacht", weshalb jede Kritik "mit großer Entschiedenheit" zurückzuweisen sei. Dabei häufen sich seit Tagen die Hinweise, dass die Polizei absolut nicht alles richtig, sondern sogar sehr viele Sachen sehr falsch gemacht hat.

Angefangen hat das schon am Donnerstag, als die Einsatzkräfte eine riesige Demonstration mit maximaler Härte zerschlugen, weil einige wenige Demonstranten sich weigerten, ihre Vermummung abzunehmen. Und so zog sich das durch das ganze Wochenende: Auf der einen Seite gibt es zahlreiche Videos und Berichte von friedlichen Demonstranten und Journalisten, die von Polizisten geschlagen, bedroht oder völlig grundlos mit Pfefferspray eingesprüht wurden. Auf der anderen ließ die Polizei auf der Schanze, wo sich die echten Kriminellen austobten, "die Randalierer stundenlang gewähren", wie Spiegel Online schreibt.

Auch wenn viele Polizisten einen sehr anstrengenden Job gut gemacht haben, kann man ihre gewalttätigen Kollegen, ihre Führung und die massiven Grundrechtseingriffe durchaus kritisieren.

Die Gewalt wurde von der Polizei provoziert

Wie gesagt, das Vorgehen der Polizei gegen die "Welcome to Hell"-Demo am Donnerstag war extrem rabiat und maximal dazu angelegt, Gegengewalt zu provozieren – das sagt nicht nur der NDR, das kann man sich auch selbst in diesem Video anschauen. Aber trotzdem ist es ziemlich dumm, wenn die Linken-Politikerin Katja Kipping später auf Facebook schreibt, die Eskalation ginge "eindeutig von den Behörden aus".

Mag sein, dass die Polizisten zuerst geschubst haben. Aber was danach passiert ist, war zumindest in Teilen schon vorher geplant gewesen: Die Autonomen hatten nicht zufällig Zwillen, Hämmer und Bengalos dabei, und sie hätten sie auch benutzt, wenn die Polizei weniger hart zugegriffen hätte. Wie gesagt, die Demo hatte schon im Vorfeld "zielgerichtete Militanz" angekündigt. Bei Blockupy in Frankfurt sah das ganz ähnlich aus, ohne dass es vorher zu einem besonders harten Zugriff gekommen wäre.

Die Randalen rund um den G20-Gipfel waren eine Ausnahmesituation, und sie machen sehr viele Leute sehr wütend. Gerade deshalb wäre es nicht verkehrt, wenn die Politiker sich die Zeit nehmen würden, um über das nachzudenken, was sie darüber sagen.

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