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Krise

Wisst ihr eigentlich noch, die Griechenland-Krise?

Im Sommer 2015 gab es kaum ein anderes Thema als den 'Grexit'. Zwei Jahre später redet niemand mehr über die Krise. Trotzdem beherrscht das Thema immer noch Land und Menschen.

Vor gut einem halben Jahr rief mich ein guter Freund aus Griechenland an. Er klang niedergeschlagen und als hätte er geweint. Sein Onkel, der eine wichtige Rolle im Leben dieses Freundes gespielt hat, war an einem Schlaganfall gestorben.

Es war nicht der erste Schlaganfall, den der Besitzer einer kleinen Schneiderei – in der er auch wohnte, weil er sich seine Wohnung nicht mehr leisten konnte – erlitten hatte. Vermutlich hätte aber das Risiko eines erneuten, tödlichen Schlaganfalls bei dem Anfang 50-Jährigen mit den richtigen Medikamenten verringert werden können. Das Geld für eine entsprechende medizinische Behandlung konnte die Familie allerdings nicht aufbringen.

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Der Tod des Onkels meines Freundes ist eines von vielen Beispielen für menschliche Tragödien, die an dieser Stelle als Einleitung stehen könnten. Der Onkel ist eines von vielen Opfern, die die soziale Krise in Griechenland, die mit der Wirtschaftskrise seit acht Jahren einhergeht, bereits gefordert hat. Und seine Geschichte ist eine, die in griechischen Familien in den vergangenen Jahren immer häufiger erzählt wurde.

Laut dem Internationalen Währungsfond ist die griechische Krise die schwerste Finanzkrise überhaupt.

Bald acht Jahre dauert die Krise in Griechenland bereits an. Laut dem Internationalen Währungsfond (IWF) ist das die schwerste Finanzkrise seit jeher – vergleichbar nur mit der Großen Depression der 1930er Jahre, die allerdings weniger lang gedauert hat als die griechische Krise mit ziemlicher Sicherheit noch dauern wird.

Die griechische Wirtschaft ist seit 2008 um ein Viertel geschrumpft, Investitionen in dem südeuropäischen Land sind um die Hälfte zurück gegangen. Mit 300 Milliarden Euro ist Griechenland derzeit verschuldet. Das entspricht in etwa 180 Prozent seiner derzeitigen Wirtschaftsleistung.

Fünf Mal wurde seit dem Ausbruch der Krise das Parlament neu gewählt. Zuletzt im September 2015, nachdem Premierminister Alexis Tsipras die Griechen über weitere Verhandlungen mit den Geldgebern abstimmen hat lassen, für viele der 'Grexit' kurz bevor stand und Tsipras schließlich genau das Gegenteil von dem gemacht hat, für das das Volk im Referendum eigentlich gestimmt hatte.

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Seither nahmen die Beliebtheistwerte der Links-Rechts-Regierung bestehend aus SYRIZA und ANEL stark ab (vielleicht nicht ganz überraschend bei der Kombination aus, naja, links und rechts). Laut einer aktuellen OECD-Studie hatten 2016 nur 13 Prozent der Griechinnen und Griechen Vertrauen in die Regierung ihres Landes.

Joanna | flickr | CC BY 2.0

Wie instabil das Land derzeit auch innenpolitisch dasteht, zeigt sich nicht zuletzt in der Konfrontation auf der Straße zwischen unzufriedenen Bürgerinnen und Bürgern und der Polizei. Aber auch im Parlament regieren SYRIZA und ANEL nur mit einer knappen Mehrheit von drei Abgeordneten. In aktuellen Umfragen führt die rechte Nea Demokratia deutlich.

Trotz der innenpolitischen Instabilität und der eigentlich deutlichen Absage der griechischen Bevölkerung für weitere Sparmaßnahmen beim Referendum 2015, wurde noch im Sommer 2015 ein drittes Hilfspaket für Griechenland beschlossen: Insgesamt 86 Milliarden Euro soll das Land bis Mitte 2018 von den europäischen Geldgebern erhalten – vorausgesetzt, die von Deutschland und anderen Ländern geforderten harten Sparmaßnahmen und Reformen werden eingehalten.

Ab Mitte 2018 soll Griechenland dann finanziell für sich selbst sorgen können. So der Plan. Funktionieren soll das, indem das Land bis 2060 jedes Jahr einen Haushaltsüberschuss von zwei Prozent erzielt, was wiederum mit drastischen Kürzungen und Steuererhöhungen einhergeht.

Mastermind des Sparprogramms ist der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble.

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Mastermind dieses Plans ist der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble, der damit allerdings zunehmend in die Kritik gerät. Denn das harte Sparprogramm scheint seit Jahren nicht zu greifen. Sogar der IWF fordert seit längerem ein Umdenken in der Griechenland-Politik und glaubt nicht daran, dass Griechenland ohne Schuldenerleichterung jemals aus der Depression kommen wird.

An den wirtschaftspolitischen Differenzen des IWF und der europäischen Geldgeber, allen voran Deutschland, zeigt sich deutlich, dass die griechische Krise längst keine reine Finanzkrise mehr ist. Neben der sozialen Komponente, die vor allem die Griechen selbst zu spüren bekommen, hat diese Krise längst auch eine politische Komponente, die sich im Streit der Geldgeber manifestiert.

Wirtschaftlich gäbe es für Griechenland eine simple Lösung: Mehr Jobs durch direkte Investitionen. Das würde allerdings bedeuten, dass ein Teil des Geldes der Kreditgeber verloren ginge, was Deutschland mit allen Mitteln verhindern will – zumindest bis zur Bundestagswahl Ende September. Denn für Mitte 2018 hat nun sogar der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble Verhandlungen über einen Schuldenschnitt angekündigt.



Für die Griechen selbst heißt es also weiter warten auf eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen. Wahrscheinlich noch Jahre. Denn auch die im Juni beschlossene Finanzspritze von über acht Milliarden Euro wird nur deshalb ausgezahlt, weil das griechische Parlament weitere Sparmaßnahmen beschlossen hat. Zum Beispiel sollen die Pensionen ab 2019 wieder um 9 Prozent gekürzt werden – zum 23. Mal seit dem Ausbruch der Krise. Und das obwohl mehr als die Hälfte der Pensionisten ohnehin schon weniger als 650 Euro im Monat bekommen.

Die Arbeitslosigkeit in Griechenland liegt derzeit bei zirka 22 Prozent. Bei den Unter-25-Jährigen sind es sogar 47 Prozent. Jeder vierte Grieche kann Strom und Wasser nicht mehr bezahlen, jeder Dritte verdient weniger als 10.000 Euro jährlich – bei oftmals weit mehr als 40 Stunden Arbeitszeit pro Woche. Dennoch stiegen zuletzt die Preise für zum Beispiel Lebensmittel und Benzin; Verbrauchssteuer, Einkommenssteuer und Sozialversicherungsabgaben wurden erhöht.

Schäubles Strategie, die Krise tot zu sparen, funktioniert also auch acht Jahre nach deren Ausbruch noch nicht. Vielleicht gibt es nach den Wahlen im September ein Umdenken. Vielleicht auch mit einem neuen deutschen Finanzminister. Fest steht jedenfalls, dass Deutschland – genau wie Österreich – bisher nicht schlecht an der Krise verdient hat: 1,34 Milliarden Euro flossen in Form von Zinsen von Griechenland nach Deutschland, 240 Millionen nach Österreich.

Paul auf Twitter: @gewitterland

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