Wie die Nazis Werwölfe und Astrologie für ihre Propaganda nutzten

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Faschismus

Wie die Nazis Werwölfe und Astrologie für ihre Propaganda nutzten

Das neue Buch 'Hitler's Monsters' untersucht, was die Nazis mit dem Übernatürlichen zu tun hatten.

Nazis und Mythologie – diese Themen passen auf den ersten Blick vielleicht nicht so gut zusammen. Aber das Dritte Reiche hatte mit Glauben und Aberglauben überraschend viel am Hut. Das erklärt auch das neue Buch Hitler's Monsters von Eric Kurlander, einem Historiker und Nazi-Experten an der Stetson University in Florida.

Kurlander zeigt, wie die Anführer Nazi-Deutschlands die Naturwissenschaften vernachlässigten und "Randwissenschaften" vorzogen, um ihre Ideologie zu legitimieren. "Randwissenschaft" ist eine Bezeichnung, die von Okkultisten aus den 1930ern stammt und Gebiete wie Parapsychologie, Astrologie und Hellseherei meint. Die völkische Bewegung neigte zu "Fantasien rassischen Glaubens", wie Hanns Hörbigers Welteislehre, nach der die meisten Himmelskörper aus Eis bestehen. Im Dritten Reich versuchte man, die germanische und "arische" Geschichte mit dieser Theorie zu verknüpfen. Kurlander zitiert den Dichter Gottfried Benn, der von einer "Bindung rückwärts als mythische und rassische Kontinuität" sprach.

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Zwar gilt es als widerlegt, dass okkulte Geheimbünde eine treibende Kraft hinter dem Aufstieg der Nazis waren, aber Kurlander zeigt anschaulich, wie glaubensbasierter Populismus in Krisenzeiten zu einer verhängnisvollen Realitätsferne führen kann. Ich habe mit ihm telefoniert, um mehr zu erfahren.

Foto mit freundlicher Genehmigung von Yale University Press

VICE: Wie sehr haben Hitler und die Nazis überhaupt an übernatürliche Wesen geglaubt?
Eric Kurlander: Es gibt Belege dafür, dass viele Deutsche und definitiv einige führende Nazis an übernatürliche Wesen und Kräfte glaubten. Vor allem, dass es sie vor langer Zeit gegeben hat. Ich behaupte nicht, alle in der NSDAP hätten Werwölfe und Vampire für real gehalten. Aber ich meine, dass es einen Grund gibt, warum sie damals solche Bilder verwendet haben und die Briten und Amerikaner zum Beispiel nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie ein militärisches Projekt "Werwolf" genannt hätten wie die Deutschen.

Verstehe.
Für uns in den USA sind solche Gestalten einfach ein Phänomen der Popkultur. Menschen schminken sich zu Halloween und denken nicht, dass Vampire die "degenerierten Rassen" der Slawen oder Juden repräsentieren, die aus dem Osten einfallen, um Deutschland die Ressourcen auszusaugen und das arische Blut zu kontaminieren. Für die Nazis gab es aber auch gute Monster, wie eben den Werwolf, ein Blut-und-Boden-Monster aus der Folklore, das das Volk beschützen kann.

Warum hatte ausgerechnet in Deutschland dieser mythologische Einschlag so viel Erfolg?
Es gab auch in Frankreich und Großbritannien einen Trend zum posttraditionellen Spiritualismus oder Transzendentalismus. Der Hauptunterschied ist wohl, dass das in anderen Ländern privater und weniger politisch war. Die Theosophen in den USA beschränkten sich auf ihre Künstlergemeinden. Und die anthroposophische Lehre von Rudolf Steiner hatte zwar in der englischsprachigen Welt einigen Erfolg, aber sie wurde dort nicht so politisiert und rassistisch ausgelegt wie in Deutschland und Österreich.

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Können Sie mir erklären, wie Eisriesen und die Welteislehre da mit reinspielen?
Das Faszinierende an dieser übernatürlichen Bildsprache ist, dass Dinge von weltweitem Interesse, wie die Suche nach Atlantis oder dem Heiligen Gral, rassistisch aufgeladen werden. Dann werden sie mit Mythen von verlorenen Ländern wie Ultima Thule oder Hyperborea verknüpft, die für grandiose Geschichten über die Reinheit der arischen Rasse dienen. Altnordische Elemente wie Eisriesen sind mit in der Welteislehre gelandet. Hitler und Himmler wollten diese Lehre als die offizielle Kosmologie Deutschlands einführen. Manche Zeitzeugen haben behauptet, diese Vorstellungen könnten dazu beigetragen haben, dass Hitler seine Soldaten an der Ostfront nicht ausreichend gegen die Kälte ausrüstete. Er glaubte womöglich, "nordische" Völker seien besser gegen Kälte gewappnet.


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Sie schreiben auch, dass völkisches Denken sich viel aus den Schriften der Brüder Grimm speiste. Dass es da einen Volksglauben gab, voller Zauberer und Teufelswesen, die im Wald lauern.
Ich möchte keineswegs sagen, dass die Volksmythologie und übernatürliches Denken in Deutschland direkt zum Nazismus geführt hätten. Aber diese beiden Dinge sind doch verbunden. Ich stelle eher die Frage: "Wie haben einige völkische Denker übernatürliches Gedankengut instrumentalisiert?" Wer komplizierte Fragen nach Ethnie und Herkunft mit Randwissenschaften und Esoterik beantwortet, eignet sich schon Prinzipien des übernatürlichen Denkens an. Denn damit kann man rassistische Vorstellungen legitimieren. Es ist eher eine große Mischung aus rassistischem und imperialistischem Gedankengut, die von esoterischen Lehren und Randwissenschaften zusammengehalten wird.

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Nazi-Anführer haben sich also einfach nur etwas angeeignet, das in ihre Ideologie passte?
Ja, in vielerlei Hinsicht. In Deutschland und Österreich war der Glaube an gewisse übernatürliche Phänomene sehr verbreitet. Das Dritte Reich tolerierte oder übernahm einige davon, wie Telepathie, Astrologie oder Wünschelruten. Hier befindet man sich schon in einem esoterischen Bereich, wo der "jüdische" Materialismus und "engstirniger" Rationalismus keine Rolle mehr spielen und man sich leichter von einem tausendjährigen Reich und "Rassenlehre" überzeugen lässt. Die meisten Forscher hatten diese Randwissenschaften ja auch damals schon als unwissenschaftlich abgetan, vor allem außerhalb von Deutschland. Nazis wie Himmler konnten ihnen daraufhin vorwerfen, sie würden engstirnig auf ihrer Sichtweise beharren.

Heißt das, wir sollen zum Beispiel Astrologie ein bisschen ernster nehmen? Ist das alles gar nicht so harmlos, wie es wirkt?
Gute Frage. 1941 gab es innerhalb der NSDAP große interne Uneinigkeit um genau diese Frage. Es gab da nicht nur Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß, der zu Friedensverhandlungen nach Großbritannien flog, weil sein Astrologe ihm dazu geraten hatte. SS-Chef Heinrich Himmler suchte Hilfe bei einem Astrologen namens William Wulf. Der war ein gescheiterter Künstler, der da Vincis Tagebücher gelesen hatte und so auf die Idee gekommen war, mit Astrologie Geld zu verdienen. Selbst der Propagandaminister Joseph Goebbels, der eigentlich als relativ nüchtern gilt, sah den Wert der Astrologie für die Politik. Er versammelte ein Astrologen-Team, das Propaganda basierend auf Nostradamus' Prophezeiungen erstellen sollte.

Warum wollen Sie darüber aufklären, wie die Verbindung der Nazis zum Okkultismus aussah?
Das Problem ist, dass viele Leute den Holocaust zu einem Ereignis erklären, das die gesamte Geschichte transzendiert. Wenn das der Fall ist, kann man auch keine Lektionen daraus ziehen, ihn mit anderen Genoziden vergleichen oder das Wissen nutzen, um zukünftigen Völkermord zu verhindern. Und indem die Popkultur eine Karikatur des Nazi-Okkultismus erschafft, versperrt sie uns vielleicht auch hier den Blick auf die Lektionen, die wir daraus für die Zukunft lernen können.

Was können wir daraus lernen, wie die Nazis Mythologie als Propaganda-Werkzeug einsetzten?
Es zeigt uns, dass übernatürliches Denken, das sich als "wissenschaftliche" Lösung für echte Probleme ausgibt, in Zeiten der Krise fatale politische und soziale Folgen haben kann. Ich sage auch nicht, dass es sich nur um ein Phänomen der politischen Rechten handelt — es gibt auch linkes Gedankengut im Faschismus. Sowohl Konservative als auch Liberale müssen erkennen, dass es in extremen Projekten gegen ethnisch oder religiös "Andersartige" enden kann, wenn man wichtige soziopolitische Entscheidungen auf Glauben statt auf bewiesenen Fakten basieren lässt. Die neuen rechten Strömungen und auch religiöse Fundamentalisten erinnern in ihrer Argumentation heute oft an Gedankengut, das den Nazis vor 100 Jahren den Weg bereitete.

Hitler's Monsters: A Supernatural History of the Third Reich von Eric Kurlander erscheint am 18. Juli bei Yale University Press.

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