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Popkultur

Bondage, Polyamorie und Suffragetten: Ich bin unglaublich verliebt in 'Wonder Woman'

Was der neue Film und seine alte Hauptfigur mit alternativen Lebenskonzepten und Feminismus zu tun haben – und wofür die Ketten wirklich stehen.

Die Figur Wonder Woman hat mich als sehr wählerischen Comic-Book-Fan nie wirklich interessiert – bis jetzt. Die Hintergründe zur Entstehung der Figur und nun dieser verdammt grandiose Film haben mich umgehend bekehrt. Sobald sie einen deutschen Panzer durch die Luft wuchtet, während ihr Musikthema im Led-Zeppelin-Stil aufkreischt, gehört man ihr. Aber von Anfang an.

Einer der ausschlaggebenden Gründe für meinen Sinneswandel war das Buch The Secret History of Wonder Woman, eine historische Aufarbeitung der Figur voll mit Sex und Politik: William Moulton Marson, ein exzentrischer Psychologe, erfindet die Comic-Figur 1940.

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Er wohnt seit den 1920ern mit seiner Frau Elisabeth, der Geliebten Olive Byrne und gemeinsamen Kindern zusammen – später sollten diese beiden Frauen als Vorlage dieses ersten weiblichen Superheldinnen-Charakters dienen. Überhaupt hatten Elizabeth, Olive und William eine dem Zeitgeist eher wenig entsprechende polyamouröse Beziehung. Auch wenn das meiste im Privaten passierte, das Sexualleben der drei war befreit und spielte überzeugt mit Fetischen.

Auch die Suffragetten-Bewegung in den USA und dem Vereinten Königreich inspirierte Marson: Sie mobilisierte Frauenrechtlerinnen, die Ende des 19. Jahrhunderts gegen Zwangsuntersuchungen an Prostituierten und Anfang des 20. Jahrhunderts für das allgemeine Wahlrecht demonstrierten.

Die Tante von Marsons Geliebter Olive war übrigens Margaret Sanger, eine frühe Frauenrechtlerin und Sozialistin. Sie war Verfechterin von (und Erfinderin der Bezeichnung) "Birth Control" und eröffnete 1916 die erste Abtreibungsklinik in den USA. So wurde auch Sanger zum direkten Einfluss für Marson.

Die Bedeutung von Seilen, gesprengten Fesseln und der Heldin, die in den frühen Comics immer wieder in Ketten gelegt wurde, geht also einerseits auf den Aktionsbereich der protestierenden und sich an Regierungsgebäude kettenden Suffragetten zurück – andererseits auf Elemente des Bondage, die dem Dreiergespann im Marson-Haus nicht unbekannt waren.

Optisch orientierte sich Wonder Womans Design an den lasziven Pin-up-Illustrationen der Varga Girls – Einflüsse, die heute zum Glück nicht mehr als widersprüchlich angesehen werden müssen, weil das 21. Jahrhundert in den meisten Köpfen angekommen ist und Menschen langsam auch am Arsch der Welt die Eilmeldung erhalten, dass moderner Feminismus und expressiv ausgelebte weibliche Sexualität sehr wohl nebeneinander existieren können.

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Poster Art 'Wonder Woman' (c) Warner Bros.

Official Still Wonder Woman (c) Warner Bros.

Kurz zum eigentlichen Film: Hauptdarstellerin Gal Gadot ist göttlich, knapp 1,80 Meter groß, Israelin, wunderschön und hat Schenkel, denen selbst Beyoncé ein "Hell Yeah" nachschreien würde. Sie und Regisseurin Patty Jenkins holen aus dieser Figur Nuancen hervor, von denen ich nicht genug bekomme.

Wonder Woman, in der Welt der Menschen auch Diana Prince genannt, ist eine Amazone, die aufopfernd in den Ersten Weltkrieg zieht um sich mit Götter anzulegen. Sie ist tatkräftig, motivierend, pragmatisch, hochintelligent, lieb, aber auch trottelig und lustig. Seit Hercules in New York hat mich keine "Sagenwelt-Krieger mit starkem Akzent in der Großstadt"-Handlung mehr dermaßen begeistert. So groß die Dellen auch sein mögen, die sie in die hessische Artillerie drischt, ihr Humanismus, ihre Empathie und ihr Glaube an Menschheit sind mindestens so groß.

So groß die Dellen auch sein mögen, die sie in die hessische Artillerie drischt, ihr Humanismus, ihre Empathie und ihr Glaube an Menschheit sind mindestens so groß.

Wonder Woman wird derzeit leider oft als "Frauenfilm" bezeichnet, was sicherlich nicht falsch ist, da kleine Mädchen und Mamas auf der ganzen Welt überdreht Lufttritte übend die Kinosäle verlassen. Die Definition halbiert aber das Publikum irgendwie und zeigt, dass Feminismus anscheinend immer noch nicht wirklich als Normalzustand im Film gesehen wird. Sind Filme mit Rocket Racoon oder Howard The Duck also Tierfilme?

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Den politischen und gender-spezifischen Standpunkt vermittelt Wonder Woman sehr souverän und ohne Peinlichkeiten oder Schlaghammer. Ich nicke bei den Dialogen über Sinnlosigkeit von Krieg und schniefe bei der Frage nach Heldentum. Ich weiß auch nicht, warum ich in den ersten zehn Minuten des Films, in denen die Amazonenkriegerinnen trainieren – darunter Robin "Claire Underwood" Wright –, permanent Gänsehaut hatte. Vielleicht, weil ich so etwas einfach noch nie in einem Film gesehen hatte.

Ich sehe das Ganze auch viel mehr durch die Comic-Fan-Brille, in der ich mich in coole superstarke Heldenfiguren reinsteigere. Sie springt mit einem Grinsen durch Wände, wehrt Gewehrkugeln ab und prügelt 20 Soldaten auf einmal, verdammt noch mal! Letztlich ist es auch genau das, was ich am meisten an Wonder Woman schätze: die Hingabe zur Comic-Logik und -Ästhetik, gleichzeitig aber die meilenweite Entfernung von Trash.

Trailer Still Wonder Woman (c) Warner Bros.

Wonder Woman weist einige zurückhaltende, intimere Momente auf, die dem Kriegsnarrativ über die Einheit aus Außenseitern viel Charme verleihen. Chris Pine muss an dieser Stelle auch noch gelobt werden, da er mitverantwortlich dafür ist, dass dieser gestörte Film über Kriegsgötter und Giftgashexen funktioniert. (In Hell or High Water rockt er auch extrem!) Ich kann Wonder Woman einfach in jeder Hinsicht nur feiern.

Und Achtung, Doppel-Spoiler: Nach diesem Film werdet ihr die dritte Staffel von Fargo (eine Serie, die mit ihren Referenzen auf die eigene Minnesota-Erzählwelt und der stilistischen Handhabe der Coen-Brüder-Filme selbst sehr an ein Comic-Book-Universum erinnert) und den bulemischen David Thewlis mit ganz anderen Augen sehen.

Genug jetzt. Ihr solltet sowieso schon längst nicht mehr hier mitlesen, sondern einfach so bald wie möglich Wonder Woman anschauen – egal ob mit Frauenrechtlerinnen, Fesselspiel-Fetischisten oder Comic-Nerds. Oder mit Leuten, die alles drei in einem sind. Denn wenn dieser Film sonst nichts tut, bringt er zumindest diese Botschaft aus dem 21. Jahrhundert unters Volk.

Josef auf Twitter: @theZeffo