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Psychische Gesundheit

Depressionen sollen in der Schule thematisiert werden, fordert Alexander, 18

Dafür hat er mit Gleichaltrigen eine Petition an die Bayerische Landesregierung gestartet. Wir haben ihn gefragt, wie Bio- oder Deutsch-Lehrerinnen das Thema behandeln könnten.
Alexander Spöri sitzt an einem Schreibtisch
Foto: Privat

Wer sein Abitur in der Tasche hat, kann vielleicht die Paarreime in einem Rap-Song herausfiltern und erklären, welche Muskelpartien beim Stirnrunzeln in Anspruch genommen werden. Den Unterschied zwischen hartem Liebeskummer und einer Depression kennen die meisten Schüler und Schülerinnen aber offenbar nicht. Ein Problem, findet Alexander Spöri, 18-jähriger Abiturient aus Bayern und Mitgründer einer Produktionsfirma.

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Bei seiner Recherche für seinen Film Grau ist keine Farbe sei ihm und seinem Team aufgefallen, wie wenig junge Menschen über Depressionen und andere Erkrankungen wissen, sagt Spöri. Damit sich das ändert, haben er und seine Kolleginnen und Kollegen eine Petition an die Bayerische Landesregierung gestartet. Die Forderung: Mehr Aufklärung an Schulen. Im Interview mit VICE erklärt Spöri, wie das aussehen soll.

VICE: Ihr wollt mit eurer Petition durchsetzen, dass in der Schule mehr Aufmerksamkeit auf Depressionen gelenkt wird. Warum?
Alexander Spöri: Es ist wichtig, die Lehrkräfte über psychische Erkrankungen zu schulen. Wenn eine Schülerin im Klassenzimmer weint oder ein Schüler zusammenbricht, schauen die Lehrer die Person oft nur blöd an – ohne näher auf sie einzugehen oder überhaupt zu fragen, was los ist. Die Leute werden mit ihren Problemen allein gelassen.

Wie könnte man das ändern?
Indem Lehrerinnen besser über Depressionen und andere Erkrankungen informiert sind. Das ist leider ein viel zu geringer Bestandteil ihrer Ausbildung. Aber es ist auch wichtig, die Mitschüler und Mitschülerinnen aufzuklären, damit die Stigmatisierung aufhört. Die Betroffenen bleiben nicht wochenlang zu Hause, weil sie keine Lust auf Schule haben, sondern weil sie krank sind.

Gibt es bei euch keinen Schulpsychologen?
Es gibt zwar Schulsozialpädagogen, aber die sind zumindest in Bayern kaum in den Schulalltag eingebunden. Viele depressive Jugendliche wissen gar nicht, dass dort Personen sind, mit denen sie reden könnten. Wenn ich Depressionen hätte, wüsste ich nicht, an wen ich mich wenden könnte. Ich wüsste wahrscheinlich nicht einmal, dass ich überhaupt Depressionen habe. Dafür sollte es die Aufklärungsarbeit geben: Die Leute müssen wissen, was mit ihnen los ist und dass es nicht schlimm ist, sich Hilfe zu holen.

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Wie bist du darauf gekommen, die Petition zu starten?
Ich habe vor fünf Jahren eine Produktionsfirma mit Freunden und Freundinnen gegründet. Unsere Filme sind gesellschaftskritisch. Wir haben das Schulsystem thematisiert und vor einem Jahr einen Film über den Amoklauf in München produziert. Das neueste Projekt dreht sich um Depressionen bei jungen Menschen.

Ursprünglich wollten wir dafür ein Interview mit jemanden aus der Bayerischen Landesregierung führen. Es war allerdings sehr schwierig, an eine Ansprechperson heranzukommen: Der Drogenbeauftragte, der für alle psychischen Erkrankungen zuständig war, ging ein Jahr zuvor Jahr in Pension. Eine Abgeordnete hatte für uns eine Anfrage im Plenum gestellt, auf die wir eine vier Seiten lange Antwort mit viel Gelaber zurückbekamen. Es hieß unter anderem, es gebe "Verteilungsungleichgewichte in der Versorgung Betroffener". Deshalb haben wir unsere Lösungs- und Änderungsvorschläge in unserer Petition selber erklärt. Jetzt werden sie im Bildungsausschuss behandelt.

Wie könnte bessere Aufklärung an Schulen konkret aussehen?
Von unseren Gesprächspartnern kam oft der Vorschlag, externe Partnerschaften und Expertinnen für Infoveranstaltungen heranzuziehen. Das "Deutsche Bündnis gegen Depressionen" könnte zum Beispiel eine Person an Schulen schicken, die das Thema erklärt. Andere meinten, dass das Lehrpersonal das Thema im normalen Unterricht behandeln könnte. Dafür würden schon Fortbildungen reichen.

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"Bei uns in der zwölften Klasse sind Leute, die nicht wissen, was eine Depression ist. Sie kennen zwar das Wort, aber sie haben nie gelernt, was damit zusammenhängt."

Dann wären Depressionen zum Beispiel ein Block im Biologieunterricht?
Wir haben das bei uns im Deutschunterricht versucht. Es gibt Literaturepochen wie den Naturalismus, in denen man über Depressionen sprechen könnte. Oder wenn man ein Gedicht von einem depressiven Schriftsteller analysiert. Wir haben unseren Deutschlehrer gefragt, ob er das Thema im Unterricht einbinden könne. Das hat gut geklappt. In Biologie könnte man psychische Erkrankungen auch gut behandeln.

Bei uns in der zwölften Klasse sind Leute, die nicht wissen, was eine Depression ist. Sie kennen zwar das Wort, aber sie haben nie gelernt, was damit zusammenhängt. Dabei erkrankt jeder 20. Jugendliche bis zur Volljährigkeit an einer Depression – wenn man das runterbricht, sind das in jeder Klasse ein bis zwei Leute betroffen. Das ist krass.

Hast du in deiner Schulzeit mitbekommen, dass Mitschüler und Mitschülerinnen depressiv waren?
Ich kenne alleine in meiner Klasse vier Personen, die Depressionen haben oder hatten. An meiner gesamten Schule sind es sicherlich noch mehr. Tendenziell gehen Betroffene damit nicht sehr offen um. Das hat sich auch in unserer Recherche gezeigt. Obwohl die Interviewten im Film Bekannte von uns sind, hat es sehr lange gedauert, bis sie sich geöffnet haben. Ich war am Ende selber überrascht, wie wenig ich über meine Mitschüler und Mitschülerinnen wusste. Aber nachdem wir Depressionen zum Thema gemacht und die ersten Trailer veröffentlicht haben, kamen auch andere Menschen auf uns zu und wollten über ihre Probleme sprechen. Das war ein positiver Effekt.

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Du machst dein Abitur und hast eine eigene Produktionsfirma. Hast du nie das Gefühl, dass es zu viel wird?
Das Gefühl hat, glaube ich, jeder mal. Ich sitze manchmal bis spät in die Nacht da, weil ich versuche, Schule und Film unter einen Hut zu kriegen. Wenn ich drei Klausuren in der Woche habe, weiß ich manchmal nicht, wie ich das alles schaffen soll. Ich persönlich hatte noch nie das Gefühl, depressiv zu sein oder professionelle Hilfe zu brauchen. Aber wir haben ein bis zwei Personen im Filmteam, die das Thema auch persönlich betrifft.

"Vor zwei Jahren habe ich eher darüber gelästert, wenn jemand nicht zur Schule kam. Heute würde ich versuchen, für eine betroffene Person da zu sein und besser zuzuhören."

Hat sich dein Bewusstsein für depressive Erkrankungen beim Filmdreh von Grau ist keine Farbe verändert?
Ich habe eine andere Aufmerksamkeit für das Problem entwickelt. Wir alle haben durch den Dreh gemerkt, dass es in unserem direkten Umfeld Menschen mit Depressionen gibt. Besonders so kurz vor dem Abitur, wo viele nicht wissen, was sie danach machen wollen und durch die ganzen Entscheidungsmöglichkeiten überfordert sind. Dieses Bewusstsein hatte ich vorher nicht. Vor zwei Jahren habe ich eher darüber gelästert, wenn jemand nicht zur Schule kam: Was ist denn mit dem los? Heute würde ich versuchen, für eine betroffene Person da zu sein und besser zuzuhören.

Diese Message wollen wir auch mit dem Film und der Petition transportieren. Und im besten Fall haben von den Lösungsansätzen, die wir jetzt erarbeiten, auch die nächsten Generationen an Schülern und Schülerinnen etwas.

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