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Warum bayrische Traditionen in Wien nichts verloren haben

Für mich als Bayerin gehören Weißwurscht-Radln, Sperma-Radieserl und die Wiesn nach München und nicht nach Wien.

Foto: Oktoberfest | Autor: Krakauer1962 | Public Domain

Für mich als Bayerin gehören Weißwurscht-Radln, Sperma-Radieserl und die Wiesn nach München und nicht nach Wien.

Mit Dirndl, Hut und Krachlederner verkleidet, pilgern die Österreicher wieder in Scharen zu sämtlichen Volksfesten und nachdem man sich beim Neustifter Kirtag aufgewärmt hat, wird nun auf der Wiener Wiesn das Gemüt auf die Après-Ski-Saison vorbereitet. Sicher, die Wiener Version von der Wiesn ist im Vergleich zum Original zirka das, was das Venetian in Las Vegas im Vergleich zum echten Venedig ist (nur ohne Las Vegas), aber zumindest gibt man sich in der österreichischen Hauptstadt alle Mühe—und bei den unzähligen anderen Oktoberfesten, die das ganze Land durchziehen, natürlich auch.

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Und richtet man die Aufmerksamkeit mal auf den bayerischen Nachbarstaat, dessen Luft aktuell wieder nach Brathendl, Blutwiese und Erbrochenem riecht und wo momentan am meisten Umsatz mit flüssigem Brot gemacht wird, stellt man fest: Bayern ist ein bisschen sowas wie der große Bruder der östlichen Alpenrepublik, auch wenn die Österreicher das oft nicht zugeben wollen.

Außerhalb des ehemaligen Vielvölkerstaates und seinem bayerischen Nachbarn werden Bayern und Österreicher häufig sogar in einen Topf geworfen. Nicht ganz zu Unrecht, denn immerhin sprechen sie dieselbe Sprache. Ingeborg Geyer, Redakteurin des Wörterbuchs der bayrischen Mundarten in Österreich, erklärt: „Die Österreicher—mit Ausnahme von Vorarlberg und Außerfern—sowie die Südtiroler sprechen Bairisch. Die Dialekte von Oberösterreich, Niederösterreich und dem nördlichen Salzburg sind mittelbairische Dialekte und haben die meisten Gemeinsamkeiten mit Bayern".

Das wird jetzt einigen nicht gefallen. Aber es gibt ja auch einige Abweichungen im Dialekt: Die Bayern sagen beispielsweise „ABC" mit einem dumpfen A, die Österreicher mit hellem A in der Lesesprache. In älteren Dialekten gäbe es noch die sogenannten bairischen Kennwörter „eß" und „enk" in der Anrede oder „Erta" und „Pfingsta" für „Dienstag" und „Donnerstag".

Bayern und Österreich sind historisch, landschaftlich und sprachlich verbunden, keine Frage. Aber welche Rolle übernimmt die österreichische Hauptstadt—und passt das nachgemachte Oktoberfest mit all dem Lederhosen-Bierzelt-Kitsch wirklich hierher? Sprachlich unterscheidet sich Wien in jeder Hinsicht von Restösterreich und Bayern und auch die Mentalität ist nicht mit der „O'zapft is"-Fraktion zu vergleichen—abgesehen von einem gewissen „Mia samma mia" in der Einstellung zu anderen.

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„Wien ist anders. Als Hauptstadt eines Vielvölkerstaates hat es in Wien sehr früh einen großen Anteil an andersprechenden Mitbewohnern gegeben, die Staatsbürger gleichen Ranges waren", so Geyer. „Sie haben die Sprache und den Wortschatz des Wienerischen besonders seit der Industrialisierung im beginnenden 20. Jahrhundert verändert. Der Wiener Dialekt ist am besten im Wienerlied erhalten."

Auch wenn man wie ich als bayerische Studentin froh ist, im September ein bisschen „weißblaue Heimat" mitten in Wien zu finden, ist es dialektmäßig eher schwierig, auf Gleichgesinnte zu treffen. Ich kann mich noch gut an meine ersten Einkäufe hier erinnern, bei denen ich erst mal die Übersetzung für „Fisolen", „Karfiol" und „Faschiertes" erfragen musste. Klassiker eben.

Es war auch wirklich ein kleiner Kulturschock, weil ich mir Wien aus der Ferne einfach als eine weitere deutsche Stadt vorgestellt hatte—und dann in der Linie 6 Richtung Kaiserebersdorf doch ein bisschen von so viel ungefiltertem Wiener Charme überfordert war. Für mich als Bayerin war es sogar noch ein bisschen bemerkenswert, dass ich in der Straßenbahn nicht selten die einzige Deutschsprechende war.

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Inzwischen ist es eher umgekehrt: Heute finde ich es komisch, wenn ausgerechnet in Wien ein Wiesn-Fest so tut, als wäre Wien eben wirklich ein bisschen Las Vegas und sich die Menschen in Trachten und mit Bier und Brezn aufführen, als wären sie gerade mit zehntausenden Menschen in München am saufen.

Sicher, Wien ist offen für andere Kulturen und soll es auch sein—auch, wenn manche hier gerne so tun, als wäre Abschottung das Austro-Prinzip Nummer 1. Aber vielleicht ist ein bayerisches Oktoberfest zwischen alten Vielvölkergedanken slawischer Prägung, der Wiener Kaffeehauskultur und den heißen Wahlkämpfen momentan auch ein bisschen fehl am Platz.

Aber vielleicht fühlt sich auch jeder so, wenn er von daheim weggezogen ist und hunderte Kilometer das vorfindet, was er zurückgelassen hat.