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Sex

Warum sich Stripperinnen gegenseitig lieben und hassen

Meine Mädels verprügeln für mich respektlose Arschlöcher. Andere zerschneiden meine Unterwäsche und erzählen, ich hätte Genitalherpes.

Die Frau links ist Cherry. Sie arbeitet in einer großen Tabledance-Bar in Deutschland. Cherry ist nicht ihr richtiger Strippername, weil sie in ihrer Kolumne maximal ehrlich sein und trotzdem ihren Job behalten will | Alle Fotos: privat

Der Sonntagabend ist da, um sich vom Stripclub zu erholen: Ivy, Sky, Angel und ich sitzen in Jogginghosen in Ivys Wohnzimmer, kiffen und essen Gemüselasagne. Kein Make-up, keine BHs, keine hohen Schuhe, keine Männer. Alles, was von unserem Arbeitsplatz bleibt, sind unsere Strippernamen. Klar wissen wir, wie wir eigentlich heißen, aber zu wechseln, ist uns zu anstrengend.

Auf den ersten Blick ähneln wir uns kein bisschen. Die weißblonde Angel ist gerade mal 19, mit überirdischen Modelmaßen. Sky dagegen ist eine komplett tätowierte und gepiercte Berliner Punk-Göre mit pastellrosa Haaren. Ivy hat ein markantes Gesicht und etwas von Uma Thurman. Aber wir haben einiges gemeinsam: Gehirn, Titten und Ambitionen. Eigentlich hatten wir beruflich alle ganz andere Pläne. Sky hat Kunstgeschichte studiert, aber das war ihr zu langweilig. Sie strippt jetzt, um die Tierarztrechnungen ihrer Pitbulldame Queen Latifah zu bezahlen. Angel hat vor einem Jahr Abi gemacht und überlegt immer noch, was sie studieren soll. Vielleicht wird sie aber auch Model. Ivy ist DJ mit jeder Menge Techno im Blut. Und dann gibt's noch mich: Cherry. Mode- und Grafikdesignerin, Teilzeit-Stripperin.

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Wir vier halten zusammen—anders geht man in dieser Branche unter. Wir leihen uns Outfits, geben uns Schminktipps, teilen Dollar und Gras, und wenn der Abend zu Ende geht, springen wir alle zusammen unter die Duschen und seifen uns gegenseitig mit rosa Schaum ein. (Ja, wirklich, auch wenn sich das wie ein Softporno anhört. Wir haben aber nichts miteinander, sondern albern nur herum, weil wir so durch von der Schicht sind und irgendjemand eine riesige Flasche Sprühschaum im Duschraum vergessen hat.)

Vor allem im Kampf gegen respektlose Schwanzträger ist der Zusammenhalt der Stripperinnen in unserem Club immens. Letzte Woche zum Beispiel: Ich mache eine Show für einen Junggesellenabschied. Das heißt: nuttiges Polizistenoutfit, Striptease, Lapdance und ein bisschen auspeitschen. Die Peitsche ist aber nur zur Show, ich hau nie fest zu.

Die Gruppe ist eine von der schlimmen Sorte: ein Haufen Steroide schluckender Hulks. Irgendwann sitze ich ohne einen Fetzen Kleidung auf dem Bräutigam in spe—einem aufgepumpten Kerl, der ständig versucht, seine Hände in Gefilde zu bewegen, die absolut verboten sind. Ich klatsche ihm auf die Finger. Dummerweise habe ich meine Peitsche eine Sekunde aus den Augen gelassen. Einer der Hulks schnappt sie sich und zieht sie mir mit voller Kraft über den Rücken, so stark, dass meine Haut aufplatzt. Die Gruppe lacht. Ich nicht. Ich verpasse dem Muskelberg eine und laufe davon, damit sie nicht die Tränen sehen, die mir in die Augen schießen.

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Ich bin keine Heulsuse, aber das war zu viel. In der Garderobe fange ich vor lauter Demütigung an zu weinen. Ein riesiger roter Striemen zieht sich über meinen Rücken und blutet. Die Mädels sind entsetzt und strömen wie eine Horde Racheengel in Unterwäsche wieder in den Club und knöpfen sich die Männer mit ausgefahrenen Acryl-Krallen vor. Angel und Sky gehen verbal auf die Jungs los: "Wie kann man nur eine Frau schlagen?" Cheyenne beschimpft die Jungs in gebrochenem Deutsch: "Du bist eine dreckige Sexist und isch wette, deine Penis ist so groß wie eine Wurm!" Seraphina und die dicke Stella nehmen sich den Übeltäter persönlich an ihre überdimensionierten Plastikbrüste, Chantal hat zwar kein Pfefferspray zur Hand, aber in der Not tut es auch Chanel No. 5. Noch bevor die Türsteher überhaupt Wind von der Sache bekommen, gehen die Kerle freiwillig.

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Dass es so loyal zugeht wie in meinem Club, ist aber alles andere als normal. Vorher arbeitete ich in einem Edelstripclub in München mit lauter rumänischen Silikon-Diven. Freundschaften existierten dort nicht. Die Tänzerinnen hatten echt was drauf in Sachen psychologischer Kriegsführung: Kichern und Lästern, wenn eine Feindin auf der Bühne war, Make-up im Klo runterspülen, Unterwäsche zerschneiden, Lügen verbreiten, um Mädchen vor reichen Kunden schlecht zu machen ("Everybody knows that Cherry is suffering from genital herpes!").

Manchmal kochten die Aggressionen hoch: Diebstahl, rausgerissene Piercings und Extensions—alles schon gesehen. Ich war gleich von Anfang an untendurch. (Grund: deutscher Pass und keine Schönheits-OP). Ich weiß, dass diese Stutenbissigkeit von Ressourcenkämpfen kam. Viele der wunderschönen Rumäninnen mussten mit ihrem Verdienst noch ihre Kinder und einen Ehemann durchbringen und hatten keinen Plan B. Existenzängste, wenig Schlaf, wenig Tageslicht—verständlich, dass die Frauen gereizt sind. Ich war im Vergleich dazu ein reiches Mädchen und hatte den simplen Vorteil, deutsch zu sprechen, was bei den Kunden natürlich gut ankam.

Glücklicherweise habe ich mittlerweile in Berlin meine Stripper-Clique gefunden. Das ist wichtig für die geistige Gesundheit, denn unsere "anderen" Freunde wissen nichts oder nicht viel über unser Leben nach Sonnenuntergang. Ich kann meiner Kindheitsfreundin kaum erzählen, dass ein Mann einmal von mir wollte, dass ich seine Tochter spiele. Oder dass mich ein Kunde komplett bekokst in den Whirlpool getunkt hatte und so lange unters Wasser drückte, bis ich dachte, ich ertrinke. Mit solchen Geschichten kommen nur andere Stripperinnen zurecht. Bei Sky, Angel und Ivy weiß ich, sie verstehen mich. Sie sind meine Verbündeten im Rotlicht—und meine Freunde bei Tageslicht.