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Popkultur

Christian Kracht über 'Finsterworld'

Falls es einigen von euch entgangen sein sollte, Christian Kracht hat ein Drehbuch verfasst und im Anschluss daraus zusammen mit seiner Frau Frauke Finsterwalder 'Finsterworld' gedreht. Wir haben mit Christian Kracht geredet und verlosen Preview...

Falls es einigen von euch entgangen sein sollte, Christian Kracht hat vor einiger Zeit ein Drehbuch verfasst und im Anschluss daraus zusammen mit seiner Frau, Co-Autorin und Regisseurin Frauke Finsterwalder einen Film gemacht. Nach bereits unzähligen Preisen hat Finsterworld gerade erst das Goldene Auge als bester deutschsprachiger Film auf dem Zürich Film Festival verliehen bekommen. Diesen Winter kommt der Film bei uns in die Kinos.

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Finsterworld begleitet eine Handvoll Charaktere in einem idyllischen Deutschland. Die episodenhaften Handlungsstränge beschäftigen sich mit Menschen, die sich unwohl fühlen in den Rüstungen, die sie tragen. Es sind Rüstungen, die sie angelegt haben, um sich selbst dabei zu helfen, in einer Gesellschaft zu funktionieren, die sie als erbärmlich empfinden. Nehmt den brutalen, drastischen Zynismus (und Humor) von Happiness und kombiniert ihn mit der nahtlosen, beinahe prophetischen Erzählweise von Limits of Control und ihr kommt der Sache wahrscheinlich ziemlich nahe.

Während sich viele Autoren und Filmemacher gerne auf den einsamen Außenseiter oder merkwürdigen Eigenbrötler konzentrieren (was wahrscheinlich einfacher ist), ist Finsterworld viel mehr eine wunderschön erzählte Geschichte über eine Welt, die daran scheitert, den Erwartungen ihrer Bewohner gerecht zu werden.

Im Verlauf des Films sieht man, wie die Charaktere mit dieser Diskrepanz umgehen. Vom Nichtstun bis hin zum Einsatz moralisierender Rhetorik, von der romantischen Perversion bis hin zur egomanischen Hetzjagd—Finsterworld zeichnet ein schockierendes Porträt von Menschen, die sich damit schwer tun zu akzeptieren, dass es sein könnte, dass Deutschland vielleicht doch nicht so unfassbar geil sei.

Ich werde den Film in unserer kommenden Ausgabe rezensieren, also belasse ich es an dieser Stelle beim Interview.

Um es vorwegzunehmen, ich bin kein großer Fan davon, Filmemacher oder Autoren über ihre Geschichten auszufragen, ohne dabei die Handlung, die überraschenden Wendungen, sowie vor allem natürlich das Ende verraten zu dürfen. All dies sind Dinge, die die Geschichte erst richtig interessant machen, und deshalb ist es meiner Meinung nach so interessant, genau darüber zu sprechen.

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Um uns darauf konzentrieren zu können, in unserem Gespräch so tief in diese Themen und den Charakter des Films vorzudringen wie nur möglich, haben wir uns entschlossen, darauf zu verzichten, die Handlung detailliert wiederzugeben. Es könnte also Sinn machen, sich erst den Film anzuschauen, und in diesem Sinne: massiver SPOILER ALERT! Wenn Bezug genommen wird auf andere Arbeiten, verlinken wir, wann immer es uns möglich war.

VICE: Der rasante Untergang der Hoffnung gewinnt durch die stilvolle Verzahnung der einzelnen Schicksale im Film eine künstlerische Qualität und bleibt dennoch gleichzeitig eine sehr zerstörerische Angelegenheit. Gab es dabei Geschichten oder Szenen, die gestrichen worden sind? Gab es andere Figuren, die während des Schreibens des Drehbuches auftauchten, aber schlussendlich nicht mehr reingepasst haben?
Christian Kracht: Einige Figuren wurden gestrichen, es waren Charaktere, die die äußere Bedrohung der Hauptfiguren durch die grässliche Außenwelt plausibler gemacht haben—es gab zum Beispiel noch einen soignierten Schulleiter, der Tweedjacketts trägt und einen Pinkyring, und auch noch jemanden, der bei Claude (dem Fußfetischisten) an der Tür klingelt und ihm in einer ellenlangen Szene neue EU-Thermofenster andrehen will, die ökologisch korrekt sind und furchtbar hässlich. Es gab einen herrlichen Besuch in einem deprimierenden Biomarkt. Eigentlich alles eher lustige Figuren und Szenen, die aber den Film zu sehr ins Komödiantische haben abdriften lassen, also wurden sie rausgeschnitten.

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Die Genauigkeit der Dialoge erinnert an eine Schlagfertigkeit, die momentan in einigen amerikanischen TV-Serien (Aaron Sorkin, Beau Willimon) zu finden ist, aber kaum in der europäischen Filmbranche. War dies eine absichtliche Entscheidung?
Viele deutsche Filme (und auch Serien) leiden meiner Meinung nach an der extremen Ungenauigkeit ihrer Dialoge. In den Dialogen ist oft wenig bis gar kein Subtext vorhanden. Die Charaktere sprechen im Grunde über das, was man auf der Leinwand sieht. Und das ist sehr schade, da doch gerade die deutsche Sprache so erschreckend präzise ist—man hat das Gefühl, als würden deutsche Drehbuchautoren nicht hinhören, wie Menschen wirklich miteinander sprechen. Da gibt es doch Schicht unter Schicht unter Schicht.

Kannst du vielleicht in diesem Zusammenhang von deinen Einflüssen oder von Filmen, die für dich wegweisend waren, reden?
Großen Einfluss auf die Dialoge in Finsterworld hatten in der Tat die amerikanischen Screwball-Comedys der 30er und 40er Jahre, wie Bringing up Baby oder The Philadelphia Story, auch die deutschen und österreichischen vor den Nazis nach Hollywood geflohenen Regisseure, wie z.B. Ernst Lubitsch und Billy Wilder. Natürlich auch die Art und Weise, wie Todd Solondz, Noah Baumbach und Alexander Payne ihre Dialoge herstellen, das sind ganz großartige Lehrer.

Es stimmt, dass die Charaktere in deutschen Produktionen einem oft wie ferngesteuerte Puppen vorkommen. Sie scheinen nicht gerade viel mit normal agierenden Menschen zu tun zu haben. Woher stammt diese Oberflächlichkeit?
Ja—das trifft es sehr gut: ferngesteuerte Puppen. Das kann ich mir nicht erklären. „Language is a virus from outer space“, hat Burroughs einmal gesagt. Und die deutsche Sprache, also das Dialogische in deutschen Filmen ab den 30er Jahren, wirkt in der Tat, als sprächen da Roboter miteinander. Vielleicht ist der spezifische Sprachvirus der Deutschen einfach nicht mutiert, sondern verharrt stattdessen in einem dümmlichen Urschlamm. Eigentlich ist es immer wieder der Krieg. Während in Hollywood die raffiniertesten Screwball-Comedys gedreht wurden, kamen aus Deutschland Propaganda- und Durchhaltefilme. Und danach wurden Heimatfilme gedreht, damit ja niemand auf den Gedanken käme, man müsse irgendetwas Unangenehmes ansprechen. „The only sin is mediocrity“, sagte Martha Graham, und sie wurde 96 Jahre alt.

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Das Perverse in Menschen tritt in Finsterworld oft in Erscheinung, obwohl das wiederum sehr unterschiedliche Folgen hat. Wie gehen die Deutschen mit ihren Perversionen um?
Die deutsche Perversion erschöpft sich oft im Fäkalen, das ist auch ein Faden, der sich durch Finsterworld zieht, dieses ständige Verharren in Körperflüssigkeiten in fast jeder Szene. Diese Stoffe müssen fließen in einem Film, in dem es um Panzerungen geht. Das Flüssige weicht die Schale auf—der Faschismus erscheint, wie wir von Klaus Theweleit wissen, als ein Endpunkt des Patriarchats. Und das Mädchen Natalie wechselt ja von der nerdigen, guten Seite hinüber zu den Faschisten. Am Ende ist der anständige Lehrer im Gefängnis, ihr sensibler Freund Dominik tot, und sie ist nur noch Cheerleader bei den Jocks.

Inwiefern läuft die Entwicklung von Maximilian, dem schönen nicht aufzuhaltenden Egomanen, nach dem Muster der männlichen Wahrnehmungsidentitäten in Theweleits Männerphantasien ab?
Sieh mal, Maximilian musste von Jakub Gierszal gespielt werden, einem jungen Mann aus Polen, der so unglaublich gut aussieht, dass man mit ihm überall hingeht. Sonst glaubt das doch kein Mensch, soviel Bosheit. Und Maximilians Panzerung, wenn man so will, ist seine unglaubliche Selbstsicherheit, seine Fähigkeit der perfekten Manipulation und seine Lust an der Erniedrigung anderer, auch Natalie, oder wenn er seine Großmutter ignoriert vor dem Bus. Und das ist das, was Theweleit meint, wenn er sagt, die Produktion männlicher Kunst basiere auf weiblichen Menschenopfern.

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In Männerphantasien geht es um die natürliche Attraktivität des Faschismus für Männer. Theweleit führt das Aufkommen des Faschismus auf die tiefsten Triebe und Sehnsüchte des deutschen Mannes zurück. Wie schätzt du das ein?
Finsterworld wurde von einer Frau gemacht und das ist insofern immens wichtig, weil Frauke es sehr gut verstanden hat, die Topoi Männlichkeit und Faschismus auszuhebeln und sie in ihrer ganzen Erbärmlichkeit auf der Leinwand zu zeigen.

Bei der Szene im Rasthof musste ich an das Gedicht von Tucholsky denken, Rosen auf den Weg gestreut, und die Tatsache, dass die Folgen dieses Kusses die Impotenz des Pazifismus auf schockierende Weise darstellen.
„Küsst die Faschisten, wo ihr sie trefft!“ Das ist genau, weswegen wir diesen Film geschrieben haben. Die Gedanken zu Finsterworld gingen los mit dem Noel-Coward-Song „Don`t let‘s be beastly to the Germans“, das haben wir immer und immer wieder gehört, daraus nährt sich alles. Am Ende des Films—Natalie ist zu den Bösen übergelaufen—sieht man die Faschisten auf einer Wiese Feldhockey spielen und sie springen hoch, recken die Fäuste und rufen „Sieg!“, als sie ein Tor schießen. Dieser Apokalypse kann man sich nur mit Humor nähern, mit tänzelnden, ausweichenden Schritten.

Der Film hätte aber auch bei der Redakteurin in Afrika aufhören können, warum kommt der Furry-Polizist am Ende noch mal?
Natürlich ist das ein Bild der Hoffnung. Der Furry sehnt sich nach einer einzigen Umarmung von seiner schrecklichen Freundin, er wird dann von dem kleinen Kind umarmt und berührt. Die Idee dazu kommt eigentlich von Mata Amritanandamayi, einer einfachen Frau aus Indien, die es sich in den Kopf gesetzt hat, alle Menschen auf der Welt zu umarmen. Inzwischen hat sie dies schon mit über 30 Millionen Menschen getan, das sind zehnmal so viele Menschen, wie in Berlin wohnen. Es würde den Berlinern gut tun, wenn jemand sie einfach mal in den Arm nehmen würde.

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Das erinnert auch an die Szene, als Maximilian versucht, seinen Eltern die Schuld zu geben, wenn er fragt: „Habt ihr mich je in den Arm genommen?" Denkst du, es würde den Deutschen allgemein besser gehen, wenn sie emotional anders miteinander umgehen würden?
Das Emotionale wäre durch das Körperliche schon ein Stück weit nach vorne gebracht; lediglich die Umarmung würde ausreichen, um Deutschland zu verändern. Das tönt jetzt so großspurig, aber das soll es nicht—in anderen Ländern ist das doch ganz normal, dass man sich küsst und umarmt auf der Straße; Kinder werden geknuddelt und hochgeworfen und mit Komplimenten überzogen. Das ist in etwa so wie der Effekt, den die Yogischen Flieger behaupten, erzielen zu können; es müssen sich nur genügend Menschen darauf einlassen, dann stellt sich die Gesellschaft von alleine um. Man sieht das sehr anschaulich hier, erklärt von Oberstleutnant Gunter Chassé.

Die Geschichte der Fernsehredakteurin bietet eine Meta-Ebene an, auf der man die Darstellung des „Echten“ in Frage stellt. Wie wichtig war diese Selbstreferenz? Oder ist es viel mehr ein Kommentar an die deutsche Film- und Fernsehindustrie?
Die Dokumentarfilmerin Franziska Feldenhoven ist im Grunde die Figur, die mir selbst am nächsten kommt; ich habe dann versucht, das zu verbergen, indem ich einen Avatar der Regisseurin Frauke Finsterwalder in den Film hineingeschrieben habe, der meine Charakterzüge trägt, aber eine Frau ist, die furchtbar nervt. Alle Figuren beinhalten Eigenschaften von Frauke und mir, das geht gar nicht anders.

Warum bist du selbst aus Deutschland weggezogen? War es auch die Suche nach einer weniger stumpfen Umgebung, weg von den Menschen, die, wie Dominik so schön sagt, „mit offenen Augen einschlafen“?
Ja, schon, aber gleichzeitig lässt es einen ja auch nicht los, Deutschland, meine ich. Immer wieder diese wunderbare Sprache. Und es gibt ja auch Hoffnung. Zum Beispiel, dass die schreckliche FDP, die seit 65 Jahren ihren brachialkapitalistischen Unsinn verbreitet, jetzt einfach weggewählt wurde. Das hat mir gut gefallen.

Trotz seiner apokalyptischen Natur blieb am Ende des Filmes, in mir zumindest, noch viel Neugier und Lust auf Weiteres. Soll es auch ein Sequel geben? Was könnte man sich dabei vorstellen?
Man denkt ja immer über mögliche Spin-offs nach … Viele der Figuren sind tatsächlich noch nicht auserzählt, aber im Grunde erzählt man sein ganzes Leben lang immer dieselbe Geschichte.

Seht euch noch einen Ausschnitt aus 'Finsterworld' an:****

Ein exklusiver Clip aus Christian Krachts 'Finsterworld'