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Ist Wien ein Paradies für das organisierte Verbrechen?

Die Spezies der Strizzis mit Handschlagqualität und stadtbekannten Gürtelkönige ist ausgestorben. An ihre Stelle sind skrupellose Oligarchen und Vertreter der Russenmafia getreten.

Wien ist jetzt nicht unbedingt die Stadt, die man sofort mit der Mafia und organisiertem Verbrechen in Verbindung bringen würde. Natürlich hat es im Laufe der Zeit den einen oder anderen goldbehangenen Strizzi gegeben, der hier und da ein bisschen am Stessen und Fladdern war, oder es mit Geschick, Kontakten und nicht über die Maßen vorhandener Zimperlichkeit zu fragwürdiger Berühmtheit—und manchmal auch Beliebtheit—gebracht hat.

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Aber spätestens seit der in den Medien als „Staatsfeind Nummer Eins" und „Capo von Wien" bezeichnete Richard Steiner zum veganen Buddhisten mutierte, ist die Ära der Donau-Mafiosi wohl endgültig vorbei. Das bestätigt auch Max Edelbacher, ehemaliger Chef des Wiener Sicherheitsbüros, gegenüber VICE: „Zu meiner Zeit gab es noch den ,Wiener Strizzi', den Kriminellen mit Handschlag-Qualität. Damals kannten wir viele unserer ,Pappenheimer', sprachen dieselbe Sprache und wussten viele Details. All das ist deutlich verloren gegangen."

Doch wirklich viel zu melden hatten die Vertreter der Wiener Proleten-Aristokratie in den letzten Jahren ohnehin nicht mehr. Zu stark etabliert haben sich andere mafiose Organisationen aus Italien, dem Balkan und Russland, wie Gewaltverbrechen, Korruptionsfälle und Verhaftungen der letzten zwei Jahrzehnte zeigen. Auch wenn es oft nicht so scheint, Wien hat eine lebendige Mafiaszene.

„Es gibt diverse ethnisch abgeschottete Strukturen, die nebeneinander existieren. Tschetschenen, Georgier, ehemalige Balkanstämmige und vereinzelt ein paar Österreicher füllen diese kriminellen Gruppen", meint Edelbacher. „Außerdem verfügen russische und italienische Mafiaorganisationen über ihre Vertretungen in der Stadt Wien und in Österreich."

Eines der aufsehenerregendsten Mafia-Attentate fand schon 1996 statt. Damals wurde eine der mächtigsten Figuren der russischen Unterwelt, der georgische Oligarch David Sanikidze, in der Wiener Innenstadt erschossen. Fragen der Staatsanwältin zu Ermittlungen der Wiener Polizei, wonach Sanikidze beste politische Beziehungen in Österreich gehabt haben soll, blieben unbeantwortet. Aus dem Mafia-Verfahren wurde ein normaler Mordprozess. Bei Europol hieß es damals hinter vorgehaltener Hand: „Die Wiener Regierung wollte das Verfahren nicht, weil zu viele aus ihren Kreisen darin verwickelt waren."

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2007 begann die Causa Alijew, die die österreichischen Ermittler bis heute beschäftigt. Der ehemalige kasachische Vize-Außenminister und Botschafter Kasachstans in Österreich wurde wegen des Verdachts auf Verwicklung in einen Doppelmord verhaftet, jedoch trotz mehrmaliger Gesuche Kasachstans, wegen der dortigen Menschenrechtslage, nicht ausgeliefert. Im Februar 2015 wurde er erhängt in seiner Zelle aufgefunden. Er hätte am nächsten Tag vor Gericht aussagen sollen. Die genauen Umstände seines Todes sind bis heute nicht geklärt.

Hier erfährst du, wie es um die Mafia in den USA steht

Im April 2015 wurde außerdem Claudio Lucia in Spanien verhaftet und seine Villa in Baden bei Wien beschlagnahmt; er soll auch die Finanzen der kalabrischen Mafia 'Ndrangheta geregelt haben und wurde zu 18 Jahren Haft verurteilt. Kurz darauf, im Mai 2015, wurden im Zuge einer international koordinierten Aktion mehr als 15 Personen festgenommen, zwei von ihnen in Wien. Sie sollen Teil des Rozaje Clans, einer montenegrinischen Mafiafamilie, gewesen sein.

Auch wenn in Wien immer wieder international gesuchte Verbrecher wie der mutmaßliche russische Auftragskiller Anatoly R., oder der georgische Pate Aslan Gagijew verhaftet werden, wird der österreichischen Regierung oft vorgeworfen, nicht hart genug gegen Mafia-Strukturen vorzugehen. Peter Pilz bezeichnete Österreich gar als „Türsteher" für die osteuropäische Mafia und warf der Regierung vor, Mafia-Paten zu hofieren. Auch der deutsche Journalist und Mafia-Experte Jürgen Roth bescheinigt Österreich eine „Kultur der Illegalität".

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Vor allem Korruption im großen Stil und das Schützen wirtschaftlich interessanter Partner werden von Experten oft kritisiert. Doch warum zieht es so viele Mafiosi und schmutzige Geschäftsleute nach Wien?

„Wien ist aufgrund unterschiedlicher Parameter eine attraktive Stadt für das organisierte Verbrechen." - Max-Peter Ratzel

Dafür gibt es mehrere Gründe, die zusammengenommen Wien zu einer attraktiven Stadt für das international organisierte Verbrechen macht, wie Max-Peter Ratzel, ehemaliger Direktor von Europol gegenüber VICE erklärt: „Österreich hat eine interessante Größe, besonders Wien als Hauptstadt, mit seiner geographischen Lage im Schnittpunkt von Kulturen und Handelswegen. Außerdem spielt die gute Infrastruktur eine Rolle."
Ob er in seiner Zeit als Direktor von Europol mit mafiösen Strukturen in Wien zu tun hatte, darf er uns nicht erzählen. Er lässt uns aber wissen, dass Wien ein „Aufenthaltsort von ,Unterhändlern' zwischen diversen Politik- und Kulturkreisen" ist und sowohl „Geld als auch Abnehmer für Waren vorhanden" sind.

Ein Fall, in den gleich mehrere dubiose russische und ukrainische Geschäftsmänner und Gasbarone verwickelt waren, beschäftigte 2007 auch das österreichische Parlament. Seit 2004 war der ukrainische Oligarch Dmytro Firtasch ein großer Player im russischen Gasgeschäft. Er war Boss des österreichisch-ukrainischen Konzerns Group DF und Partner von Gazprom—einem Megakonzern, der unter anderem für den Transport von Gas aus Turkmenistan über Russland in die Ukraine zuständig war. Mit dem Schweizer Konzern RosUkrEnergo AG mischte er in den Geschäften am Balkan mit. Seine 45-Prozent-Beteiligung an RosUkrEnergo wurde 2011 auf die Wiener Centragas Holding GmbH übertragen.

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Centragas gehört wiederum zwei Gesellschaften aus Zypern, die mit Zeev Gordon in Verbindung gebracht werden—einem israelischen Anwalt, zu dessen Mandanten Dmytro Firatsch und auch ein gewisser Semjon Mogilewitsch zählen. Mogilewitsch ist einer der größten Gangster Russlands und steht auf der Top-Ten-Most-Wanted-Liste des FBI. Firatsch bezeichnet ihn als persönlichen Freund.

Screenshot der FBI Most-Wanted-Page

Den Untersuchungsausschuss im Parlament hat aber vor allem die Verbindung zwischen Dmytro Firatsch und der Raiffeisen Investment AG beschäftigt. Die RIAG gilt als einer der aggressivsten Player bei Privatisierungen und Übernahmen in Zentral- und Osteuropa.

2005 notierte das Bundeskriminalamt: „Bereits im April 2005 konnte durch hiesige Erhebungen festgestellt werden, dass Fursin und Palschikow in Wien mit Dmytro Firtasch zusammentrafen. Ermittlungen des FBI ergaben, dass diese unmittelbar darauf ein gemeinsames Treffen mit der Raiffeisen Bank hatten." Bei Oleg Palschikow und Ivan Fursin handelt es sich um russisch-ukrainische Unternehmer die gemeinsam um die 45 Prozent von Centragas halten sollen und schon früher bei der Gründung einer anderen Gasfirma ( Eural Gas Trans) im Verdacht standen, für Semjon Mogilewitsch zu arbeiten.

Aus zwei durch WikiLeaks im Dezember 2010 veröffentlichte Depeschen geht hervor, dass das FBI den Verdacht hatte, dass die RIAG Bestechungsgelder von Firatsch erhalten haben könnte. Wolfgang Putschek, Leiter der RIAG in Budapest, sagte jedoch in Bezug auf Schmiergeldzahlungen laut Salzburger Nachrichten: „Das läuft in der ganzen Welt gleich. Im Westen vielleicht etwas eleganter."

Ist Wien also ein Paradies für das organisierte Verbrechen? Maximilian Edelbacher verweist bei dieser Frage wie auch Max-Peter Ratzel vor allem auf die geographischen Begebenheiten, die Wien für alle möglichen Aktivitäten attraktiv machen: „Die geographische Nähe zu den ost- und südeuropäischen Ländern und der Sitz Internationaler Organisationen lässt Wien als Standort attraktiv erscheinen. Spionage jeglicher Form zum Beispiel, gab es immer und wird es wahrscheinlich auch zukünftig geben."

Für Edelbacher macht aber vor allem das immer noch strenge Bankgeheimnis in Österreich einen wesentlichen Faktor aus, warum gerade hier viele dubiose (Schein-)Firmen angesiedelt sind und Mafiagrößen Konten und Immobilien besitzen. Die Banken wüssten immer noch mit Geld aus dubiosen Quellen zu handeln. Diese Einschätzung teilt auch die Autorin und Mafia-Spezialistin Petra Reski im Gespräch mit dem Standard: „In den Geldwäscheskandal der Telecom Italia waren 14 Auslandsbanken involviert, zwölf davon aus Österreich", kritisiert sie.

Es gibt also eine Reihe von Faktoren, die Wien für das organisierte Verbrechen und skrupellose Unternehmer attraktiv machen. Das Gefährliche daran ist, dass Wien auch anderen Gruppen als „friedliches Rückzugsgebiet" dient, wie Edelbacher abschließend sagt: „Das beginnt bei organisierten Verbrechergruppen und setzt sich bei Sympathisanten von Terrorismus fort."

Morddrohungen an Paul bitte nur über Twitter: @gewitterland