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Ein Interview mit den Kuratoren von ephemeropteræ

Bogomir Doringer hat mit den Kuratoren der Sprach-Performances ephemeropteræ Daniela Zyman und Boris Ondreička über Kunst, Nazis und das Universum gesprochen.

Foto von: Tereza Grandicova/TBA21, 2013

Seit Juli fanden fast jede Woche Sprach-Performances im Augarten statt, aber ihr müsst nicht in Tränen ausbrechen, denn drei Performance-Abende—insgesamt waren es dieses Jahr zwölf—wird es noch geben. Das Glas ist also noch zu einem Viertel voll, wenn ihr so wollt. Andererseits sind unbestreitbar auch schon eine Reihe an Highlights an euch vorbeigezogen, wobei die Drag-Terror-Queen Vaginal Davis unbestreitbar den ersten Höhepunkt dargestellt hat.

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Falls ihr also die letzten Wochen die Sandkörner am Strand in Italien gezählt habt, euren Beitrag zur Rettung der griechischen Wirtschaft geleistet oder schlicht und einfach aus irgendeinem unerfindlichen Grund die Performances im Augarten verschlafen habt, haben wir zwei gute Nachrichten für euch:

1. Diesen Freitag geht ephemeropteræ weiter. Das heißt, ihr habt am 6. September die Gelegenheit, dem Rasputin der deutschen Sprache, Blixa Bargeld, bei seiner Solo Vocal Performance zuzuhören.

2. Unser Freund Bogomir Doringer hat sich dankenswerter Weise bereit erklärt, für einen Tag unseren Job zu übernehmen und im ziemlich heißen und stickigen Büro von TBA21 vorbeigeschaut. Dort hat er all die Fragen gestellt, die wir über Kunst, Universum und Nazis schon immer wissen wollten, aber uns nie zu fragen getraut haben.

Rede und Antwort standen ihm dabei Daniela Zyman, Chefkuratorin von Thyssen-Bornemisza Art Contemporary und Boris Ondreička, der dort Gastkurator ist. Wir mussten nur das Interview transkribieren und voller Ehrfurcht feststellen, dass alle drei viele Wörter benutzen, von denen wir gar nicht wussten, dass es sie gibt.

Foto von: Jakob Polacsek/TBA21, 2012

Bogomir Doringer: Stellt doch einfach einmal das Projekt vor.

Daniela Zyman: Wir sind also hier um über ephemeropteræ zu sprechen. Eine Reihe von Sprachperformances, die Boris und ich 2012 im TBA21–Augarten gestartet haben und die dieses Jahr in die zweite Runde gehen. Die Idee dahinter war, eine Regelmäßigkeit in den Augarten zu bringen. Das heißt: Jeden Freitag hört man dort zur selben Uhrzeit, nämlich um 19 Uhr, am selben Ort, also auf der ephemeropterae Bühne von David Adjaye, unter den selben Umständen, Stimmen. Diese Stimmen erzählen, sie singen, summen oder schreien ihre Geschichten. Wenn man so will, haben sie ihre Vergangenheit, ihre Leben und ihre Kunst, die sie in den Park mitbringen. An einen Ort, an dem es in den letzten 20 Jahren recht ruhig war.

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Foto: Flickr

Was sich im Park verändert hat, ist, dass das Belvedere die Sammlung österreichischer Monumentalplastik der Nachkriegszeit entfernt hat. Die Objekte sind dort jahrelang einfach nur gestanden, ohne dass sich jemand für sie interessiert hätte. Wenn man sie der Natur überlassen hätte, dann hätten sie ein ganz anderes Gefühl vermittelt, aber so stand die Zeit buchstäblich still, zeigte man doch einen Kanon der Moderne, der heute schon als überholt gilt. Wir haben also mit dem Belvedere entschieden, die Statuen zu beseitigen, um somit auch den Park von Schichten österreichischer Vergangenheit zu befreien. Der Park ist voll von verdrängter Geschichte: Gustinus Ambrosi, jener Künstler für den das Atelier Ambrosi auf Staatskosten gebaut wurde, hat mit den Nationalsozialisten sympathisiert und zwei prestigeträchtige Aufträge von Albert Speer für Hitlers Neue Reichskanzlei erhalten. Dies konnte er allerdings Jahrzehnte verbergen.
Aber dann haben Boris und ich uns gefragt, wie man das zurückgewinnen kann, was so prekär besetzt war und ob nicht Stimmen einladen, andere, gegenwärtigere Geschichten zu erzählen. Und da sagen wir beide spontan: Spoken Word. Boris beschäftigt sich schon sehr lange mit Spoken Word, also übergebe ich einmal das Wort.

Foto von: Markus Taxacher/TBA21, 2013

Boris Ondreička: Der Ursprung dieser Idee liegt im großen Potential der Gestaltung des Augartens. Er verkörpert eigentlich die traditionelle Form eines öffentlichen Parks, die man ausgezeichnet nutzen kann. Sie ist ja dafür da, um Leute zusammenzubringen und einen Austausch zu generieren. Dann haben wir uns für Spoken Word entschieden, ein riesiges Phänomen, das sich im Laufe der Zeit sehr gewandelt und weiterentwickelt hat. Vom einfachen Geschichtenerzählen zu Theater und öffentlichen Performances von Poeten, bis hin zu Medien: Spoken Word hat eine lange und reiche Tradition. In den 50ern und 60ern sprechen wir dann schon nicht mehr von Poeten, sondern Spoken-Word-Künstlern.

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Daniela: Dieser Begriff kommt und geht.

Boris: Und der Begriff ist sehr interessant. Er impliziert eine Art Distanz zwischen Kunst und reiner Poesie oder Theater. Ein Spoken-Word-Künstler ist also nicht unbedingt ein Poet. In den später 80ern sprechen wir dann von Performance. Rhetorik wird ein wichtiger Teil. Und plötzlich gibt es Vortragende, die etwas sehr Interessantes nicht vermitteln können, weil sie rhetorisch schwach sind.

Daniela: Vielleicht sollten wir auch über Musik und Popkultur sprechen. Boris: Wenn man über Spoken Word spricht, dann kommt man von Dichtung zu Musik, zur Beziehung von Gedichten und Liedtexten. Wir hatten einen Abend, an dem wir uns mit Voice-Over im Film beschäftigt haben, was damit in engem Zusammenhang steht. An diesem Abend wurde die Verbindung von emotionaler Färbung, Bildern und Musik behandelt.

Bogomir: Gibt es da ein Konzept, welcher Freitag auf welchen folgt, oder steht jeder Abend für sich?

Daniela: Ich würde sagen, das ist subjektiv. Beziehungen sind vielleicht manchmal nicht offensichtlich. ephemeropteræ knüpft an die jeweiligen Ausstellungen an, die wir im Ausstellungsraum zeigen (zur Zeit der großartige Walise Cerith Wyn Evans) und beruht auf dem Potential, das die Kurzlebigkeit und Vergänglichkeit eines Abends in sich trägt. Wir glauben, dass, was auch immer an diesen Abenden geschieht, auftaucht, seine Spuren hinterlässt, und wieder verschwindet. Diese Aufmerksamkeit für das Ephemere ist ein sehr wichtiger Aspekt von Kunst. Wir finden es auch sehr wichtig, dass diese Art von Kunst im heutigen Universum existieren kann, das so objektorientiert scheint, nur interessiert an dem, was vermarktbar ist.

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Bogomir: Was mir noch interessant scheint, ist, welches Publikum bei ephemeropteræ anzutreffen ist. Ich meine, überrascht es euch manchmal, was für Leute an bestimmten Abenden kommen? Hättet ihr ein anderes Publikum erwartet?

Daniela: Ich kann nur eines sagen: Unser Star war bis jetzt Vaginal Davis. Nicht nur diesen Sommer. Von 22 Performances war das die meistbesuchte.

Bogomir: Ist das, weil der Ansatz von Vaginal Davis humorvoller ist, vielleicht auch leichter zugänglich? Daniela: Ich denke, dass der queere Diskurs langsam in Wien ankommt. In Wien bleiben manche Szenen zurück, oder sie kommen einfach später. Dieses Thema wird jetzt sehr stark diskutiert, die Akademien und Künstler beschäftigen sich damit. Und auch beim Publikum ist das Thema sehr gut angekommen. Überraschenderweise war das zum Teil sehr jung. Vaginal Davis’ Karriere hat ja schon in den 70ern begonnen. Boris: Aber Vaginal Davis ist eine Legende. Sie ist eine ganz besondere Zeitzeugin der Bewegungen der 70er und 80er, da sie selbst sehr aktiv und innovativ war. Was uns beide sehr überrascht hat, war, dass man eher leichte, lustige Unterhaltung erwartet, dabei war es dann ein ziemlich ernster Vortrag.

Daniela: Extrem politisch.

Boris: Sie kombiniert also drei Aspekte, die in den USA der 60er und 70er mehr als problematisch waren: Sie ist schwarz, queer und punk. Das war damals eine beinahe unmögliche Kombination und sie war auch noch in all diesen Feldern aktiv.

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Daniela: Sex, Gender, Politik.

Boris: Ganz genau: Sex, Gender, Politik. Und wir sind sehr stolz über das Publikum, das wir damit erreichen. Wir haben ein paar treue Besucher, aber es kommen viele verschiedene Menschen, und jeden Freitag haben wir ein sehr konzentriertes und intelligentes Publikum.

Bogomir: Ich habe das Gefühl, dass die Kultur in Wien und besonders auch TBA21, auf der einen Seite sehr traditionell ist, aber andererseits auch genau so ist, wie Kultur, Kunst und Bildung sein soll. Also ich finde es ist genau so wie Kunst behandelt werden sollte.

Daniela: Hier kommen wir wieder zum Anfang zurück. Der Augarten, und vor allem der Ort an dem wir ephemeropteræ veranstalten, ist ein Ort, der noch wiederentdeckt werden kann. Er hat so viel Geschichte erlebt, wir haben ihn gesichtet und fanden ihn unglaublich. Er ist idyllisch ruhig, nicht zu groß, es ist ein öffentlicher Englischer Garten, aber mittendrin diese schrecklichen und zugleich wunderschönen Flaktürme…

Bogomir: Er hat also alles, was Kunst braucht.

Daniela: Ganz genau.