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The Vice Guide zu Pfefferspray

Neben Tränengas ist Pfefferspray die Aktivistenplage schlechthin. Wir erklären dir, woraus es besteht, wie du dich davor schützt und was du machen kannst, wenn du eine Ladung davon abgekriegt hast.

Foto von Martin Kliehm

Und da ist er, der Strahl, mitten ins Gesicht. Meine Augen schliessen sich krampfartig. Ein stechender Schmerz. Nase, Mund und Augen brennen. Ich sehe rein gar nichts. Alles brennt, alles pocht. Panik. Jemand packt mich am Arm. „Schnell weg!“ schreit man mir ins Ohr. „Die Bullen kommen! Halt dich fest, ich helfe dir“. Total orientierungslos und von Hustenattacken geplagt, reicht mir jemand ein Handtuch. Nachdem ich hastig abgewischt habe, was vom Pfefferspray noch übrig ist, schaffe ich es, ein Auge wieder zu öffnen. Überall Chaos, überall Verwirrung. Und überall der stechende, chemische Geschmack von Pfefferspray in der Luft.

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Was in Deutschland nur zur Abwehr von Tieren erlaubt und nach dem Abkommen über biologische Waffen von 1972 als Kampfstoff verboten wurde, ist zum „Einsatz im Inneren“ erlaubt. Im Krieg darf dieser Stoff aus Gründen der Unmenschlichkeit nicht eingesetzt werden, gegen Tiere, Fussballfans und Demonstranten ist es jedoch in Ordnung.

Wie wir bereits berichteten, kam es infolge von Pfefferspray in Kombination mit gewissen Psychopharmaka zu mehreren Todesfällen. Aber auch ohne Drogeneinfluss und unter „korrekter“ Anwendung von OC Sprays, gab es bereits Vorfälle, die mit dem Tod endeten. Asthmatiker sind aus naheliegenden Gründen besonders gefährdet.

Foto von  Radek Czajka

Der Zweck von Pfefferspray besteht darin, eine Person handlungsunfähig zu machen oder Menschenmengen auseinander zu treiben. Neben Demonstrationen und Sportveranstaltungen wird die Waffe von zahlreichen Sicherheitsfirmen, der Bahnpolizei, dem Zoll und dem Militär eingesetzt. Wie ich aus eigener Erfahrung weiss, wird beim Schweizer Militär die Lizenz zum Sprühen bereits nach einer halbtägigen Schulung erteilt.

Polizeikräfte in den USA sowie in Deutschland verwenden den Stoff nicht nur als Spray, sondern auch in Form von Pfeffer-Geschossen. So weitet sich die Einsatzdistanz wesentlich aus. Die Geschosse, die Paintballmunition ähneln, werden mit speziellen Gewehren abgefeuert. Sie platzen beim Aufprall. 2004 starb eine Passantin in Boston durch ein solches Geschoss, die US Polizeikräfte schufen infolgedessen die Waffe (teilweise) ab. In Deutschland wird sie seit 2011 eingesetzt.

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Foto von Milena Glim

Die Zusammensetzung

Der Wirkstoff im Pfefferspray heisst Oleoresin Capsicum, kurz „OC“, wobei das Oleoresin lediglich für Farbe und Geschmack des Sprays verantwortlich ist. Nonivamid ist der synthetische Ersatz für Capsicum. Die Hersteller sind also nicht auf natürliche Vorkommnisse angewiesen. Das daraus gewonnene Alkaloid, Capsaicin, stimuliert Nozizeptoren im Gehirn und löst dadurch Schmerzsignale aus. Capsaicinoide sind fett-, aber nicht wasserlöslich. Wenn wir von PAVA sprechen, meinen wir Pelargonsäurevanillylamid (engl. pelargonic acid vanillylamide), was nichts anderes ist, als synthetisches Capsaicin.

Die Wirkung 

Die Wirkung tritt direkt beim Kontakt oder nach wenigen Sekunden ein. Die Schleimhäute schwellen an, was dazu führt, dass sich die aufgequollenen Augenlieder ekelhaft zusammen ziehen. Nasenschleim fliesst in Strömen. Unterhalb und um den ganzen Mundraum entstehen leichte Verbrennungen. Wie verrückt beginnt es zu Jucken und die kontaminierte Haut ist übersät von Rötungen.

Durch das Oleoresin Capsicum wird eine Entzündungsreaktion ausgelöst. Das Einatmen des Stoffes führt zu heftiger Atemnot, die im Extremfall in Ersticken enden kann. Linsenträger sind besonders betroffen. Der Wirkstoff fliesst unter die Linse und nistet sich dort hartnäckig ein. Die Wirkung wird verstärkt, je mehr Poren geöffnet sind. Was insbesondere bei körperlicher Anstrengung, wie etwa einem kurzen Sprint oder Stress oder der Fall ist. Wer oft scharf isst, wie im asiatischen Raum üblich, reagiert toleranter kann unter Umständen sogar immun dagegen werden.

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Foto von Christopher Smythers 

Was du tun kannst

Offiziell sollte die Wirkung nach 45 Minuten abgeklungen sein.—Ich auf jeden Fall hatte meistens weit mehr als eine Stunde, um das Zeug bis zu einem einigermassen erträglichen Niveau ausgewaschen zu haben. Zur Linderung der Schmerzen empfiehlt es sich, genau wie bei sehr scharfen Speisen, auf Wasser zu verzichten und stattdessen fetthaltige Verbindungen einzusetzen. Beispiele hierfür lassen sich in jeder Küche in Form von Milch, Joghurt, Rahm oder Olivenöl finden. Danach fühlt man sich wieder einigermassen gut, jedoch wird die Wirkung jedes Mal wieder stärker, wenn sich erneut viele Poren öffnen, etwa beim Betreten eines geheizten Raumes oder bei schnellem Gehen. Um die getrocknete Flüssigkeit ganz abzuwaschen, sollte man duschen. Dabei wird der Wirkstoff allerdings erneut reagieren. Kleider, die den Stoff aufgenommen haben, müssen gewaschen werden, am besten separat.

Wirklich schützen kann man sich nur durch absolutes Verhüllen (was von Mancherein übrigens verboten werden soll) in wasserfeste Kleidung. Taucherbrillen und Mundschutz beugen zwar dem direkten Kontakt vor, aber ein 100 prozentiger Schutz ist illusorisch. Wenn man sieht, wie jemand Pfefferspray versprüht, sollte man einfach seinem Instinkten folgen; Abdrehen, Hände vors Gesicht und abhauen. Durch den Wind kann das Gas sehr weit verteilt werden. Es lohnt sich also, auf die Windrichtung zu achten.

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Wenn du selbst nicht heftig oder direkt getroffen wurdest, versuche anderen zu helfen. Wichtiger als die Beseitigung der Schmerzen ist natürlich, dass man nicht verhaftet wird. Darum solltest du durch Pfefferspray erblindeten Personen am Arm packen, mit ihnen verschwinden und sie derweil  beruhigen. A und O in dem Moment sind Orientieren und Abwaschen.

Foto von Martin Kliehm

Orientieren: Wo sind wir und wo ist das nächste Lokal, die nächste Toilette, ein Brunnen oder irgendetwas Ähnliches? Abwaschen: Es empfiehlt sich mit Taschentüchern oder notfalls einem Shirt den Pfeffer aufzusaugen, da dieser sonst auch andere Körperteile angreift. Die betroffenen Zonen solltest du eingehend reinigen, wenn möglich mit Milch, Rahm oder Ölen. Ansonsten mit reichlich Wasser und Seife.

Deine Augen werden sich eine Weile lang nicht öffnen lassen. Meiner Erfahrung nach gelingt es am besten, wenn man ein Taschentuch ins Auge drückt und das Auge manuell aufreisst. So versuchst du möglichst viel der ätzenden Flüssigkeit aufzusaugen, danach machst du dich wieder daran, alles andere auszuwaschen. Dieser Schritt muss solange wiederholt werden, bis eine Besserung eintritt.

Je nachdem kann eine Ladung Pfefferspray zu bleibenden Schäden führen. Von Erblinden bis zum Tod gab es schon alles (Allerdings kenne ich selbst niemanden, der bleibende Schäden davongetragen hat). Psychische Reaktionen sind etwa Panik, Desorientierung oder enorme Aggression. Was vor allem aber bleibt, ist Frustration.