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Wie es ist, wenn alle in deiner Familie nicht, ungültig oder Hofer wählen

Wenn nach der Wahl über die "Schuldigen" gesprochen wird, weiß ich: Meine Familie ist mitgemeint.

Foto: Christopher Glanzl via VICE Media

Nach jeder Wahl, bei der die FPÖ einen Sieg erringt, sind meine Timelines voll mit Diskussionen über die Blau-Wähler, die Nichtwähler, die Ungültigwähler und generell all jene, die nun schuld an der Misere des Wahlergebnisses sein sollen. Ich lese diese Dinge und weiß: Die reden da auch von meiner Familie.

Meine Mutter wählte diesmal ungültig, mein Stiefvater blau und mein Vater überhaupt nicht. Meine jüngere Schwester vergaß, eine Wahlkarte zu beantragen, weil sie so mit der Urlaubsplanung beschäftigt war, mein Bruder schaffte es nicht rechtzeitig aus dem Bett und ins Wahllokal und meine ältere Schwester wählte ebenfalls ungültig. Der Rest der Familie, Onkel und Tante und so weiter, wählte Norbert Hofer.

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Zur Zeit meiner Großeltern galt noch: "Wer nicht wählt, wählt braun" und "Man geht zur Wahl und aus!". Da kannten die beiden nichts. Wären sie noch am Leben, sie hätten meinen Geschwistern Beine gemacht, damit diese Gebrauch von ihrem Wahlrecht machen. Seit sie tot sind, schleicht sich der Schlendrian ein. Am Sonntag nach jeder Wahl stehe ich dann in der Küche meiner Eltern, bin entsetzt und rede mich um Kopf und Kragen darüber, was es bedeutet, überhaupt ein Wahlrecht zu haben. So wird es auch nach der Stichwahl wieder sein. Sie werden mich ansehen und mit den Schultern zucken, werden sagen: "Du hast eh recht" und nächstes Mal wieder nicht hingehen. Vielleicht bräuchte ich für meine flammenden Reden über Demokratie und Partizipation eher ein Setting im Stil des Forum Romanum statt des Klappstuhls zwischen meiner Zwiebel schneidenden Mutter und meinem Bruder, der die Katze bürstet.

Es ist nicht ganz einfach zu erklären, was bei jeder Wahl in den Köpfen meiner Verwandten passiert. Wir sind vielleicht heute Teil des Mittelstands, kommen jedoch ursprünglich aus kleinen Gemeindewohnungen in großen Betonklötzen. Gäbe es in Österreich eine tatsächlich sozialdemokratisch denkende und agierende Partei, wäre es wohl keine Frage, was meine Eltern und Geschwister wählen würden. Aufgrund der ideologischen Selbstaufgabe der SPÖ aber herrscht bei uns politische Orientierungslosigkeit.

Das sieht dann so aus, dass meine Mutter mich zwei Tage vor der Wahl anruft und mir erklärt, dass sie nicht Grün oder ungültig wählen will und deshalb lieber Schwarz wählt wie ihre Eltern, weil sie sich gedacht hat, Khol würde wenigstens nicht in die Stichwahl kommen. Dafür will sie im zweiten Wahlgang dann Van der Bellen wählen.

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Noch nicht ausgestiegen? Ich antworte ihr, dass ich persönlich nichts vom taktischen Wählen halte, die Taktik hinter dieser Logik auch nicht sehe und schlage vor, sie solle doch ihre Stimme demjenigen geben, den sie für das kleinste Übel halte, selbst wenn das Norbert Hofer sei. Bei Khol, gebe ich zu bedenken, würde mich an ihrer Stelle seine Position zur Homo-Ehe abschrecken, in Anbetracht der Tatsache, wie viele homosexuelle Freunde wir haben. "Ah ja stimmt", sagt sie.

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Die Schwester, die einst Stronach wählte, findet Lugner heute lächerlich, Griss hochmütig, Khol zu alt, will aber auch Hundstorfer, Van der Bellen und Hofer nicht. Nachdem sie sonst immer klagt, zu wenig Auswahl zu haben, findet sie auch bei sechs Kandidaten keinen, dem sie ihre Stimme geben möchte. Ich gebe zu, ich bin verwirrt von ihrer Mischung aus zu hohen und gar keinen Ansprüchen.

Warum den beiden jüngeren Geschwistern die Wahl egal ist, kann ich auch nach mehreren Gesprächen mit ihnen nur vermuten. Sie sind unpolitische Menschen, die keine drei Mitglieder der Bundesregierung benennen könnten. Sie lesen keine Zeitungen, schauen kaum Nachrichten, kennen sich nur in ihren beruflichen Fachgebieten wirklich gut aus. Zudem haben sich vor einigen Jahren am sonntäglichen Mittagstisch Sätze wie "Als Politiker wirst du korrupt, selbst wenn du es vorher nicht warst" eingeschlichen. Es ist ein diffuses Gefühl, denn wenn man fragt, wie sie darauf kommen, oder welcher Korruptionsfall sie in letzter Zeit besonders aufgeregt hätte, kommt keine Antwort.

Foto: Christopher Glanzl via VICE Media

Am meisten verstehe ich noch den Rest der Truppe, der für Norbert Hofer sein Kreuzerl gemacht hat. Sie sind die, die gemeint sind, wenn es um die "Ängste der Bevölkerung" geht—jene, die sich von der Bundesregierung vielleicht nicht verraten, aber sehr allein gelassen fühlen. Sie sind jene, die nichts Falsches an Versicherungsbetrug oder Schwarzarbeit finden würden, aber laut aufschreien, wenn "die Österreicher, die sich an Gesetze halten" (damit sind die Schwarzarbeiter und Versicherungsbetrüger noch mitgemeint) genauso viel oder weniger Mindestsicherung bekommen, wie jemand, der nie in unser System eingezahlt hat. Und das, obwohl sie gleichzeitig auch dagegen sind, diese Menschen in Österreich ins Elend abrutschen zu lassen.

Auf die Frage, warum er Norbert Hofer gewählt hat, sagt mein Onkel, der sei ihm sympathisch, er habe das Gefühl, er verheimliche ihm nichts. Und die anderen Kandidaten? Der Hundstorfer sei "eh auch okay", den kenne er ja, weil er ja vorher schon Finanzminister (sic!) war. Van der Bellen sei "sicher sehr gescheit", aber der kümmere sich nur um die Künstler und die anderen gescheiten Leute. "Mit uns redet doch keiner", sagt mein Onkel. Aber Norbert Hofer schon? "Der eigentlich auch nicht. Vielleicht geh ich zum zweiten Wahlgang nicht mehr hin", seufzt er.