FYI.

This story is over 5 years old.

Vice Blog

Wo die Bitcoin wirklich rollt

Heute wird der erste Bitcoin-Bankautomat in Betrieb genommen. Die Währung setzt damit ihren Höhenflug seit der Zypernkrise kurs- und wahrnehmungstechnisch fort. Hier erfahrt ihr, was ihr sonst noch über die Crypto-Currency wissen müsst.

Foto: BTC Keychain

Als früher in diesem Jahr Zypern wirtschaftlich so richtig den Bach runterging, passierte etwas, das es in dieser Form vorher noch nicht gegeben hatte: Die Menschen verschoben ihre Kohle ins Internet. Also, so richtig. Denn als die zypriotische Kacke so richtig am Dampfen war und speziell Länder wie Italien oder Spanien, die ja ebenfalls latente Untergangskandidaten sind, diese zu wittern begannen, luden sich viele, die noch etwas Geld übrig hatten, Bitcoin-Programme runter.

Anzeige

Wer BTC, wie man Bitcoin als Währung auch meist abkürzt, nicht kennt, kann hier alles Wissenswerte dazu nachlesen. Heute eröffnet der erste Bitcoin-Bankautomat der Welt in einem kanadischen Coffeeshop. Für uns neugierige Nasen ist das der ideale Anlass, die Chronologie der Crypto-Currency noch mal im Schnelldurchlauf durchzugehen.

BTC wurde 2009, so will es die offizielle Schöpfungslegende, von einem Japaner namens Satoshi Nakamoto kreiert. An Bord waren noch ein paar andere Entwickler, aber Nakamoto war hier federführend, immerhin nennt man heute kleinere Beträge (meist unter einem BTC) verniedlichend „Satoshis“. Das Spannende hier ist, dass bis heute niemand so recht weiß, wer dieser Nakamoto eigentlich ist, weil diese Person im echten Leben gar nicht existiert. (Mein Gruß geht hier an alle Verschwörungstheoretiker, die BTC für eine Exitstrategie der Hochfinanzjuden von der Ostküste halten. Vielen Dank für all diese unterhaltsamen Stunden beim Lesen eurer Auswürfe!)

BTC entsteht durch „Mining“: Hier werden potente Grafikkartenprozessoren zusammengesteckt und die glühen dann vor sich hin, bis man einen Bitcoin erschaffen hat. Da die Menge der Bitcoins nach oben hin limitiert ist, kann man einer Inflation recht gut vorbeugen. Jeder einzelne Coin hat dabei seine eigene Geschichte, denn sein Ursprung und seine Transaktionen werden in diesem gespeichert. Das dient in erster Linie der Fälschungssicherheit, denn zwei idente Kopien können nicht verschoben werden. Noch eine Besonderheit der Währung: BTC wird lokal in einem „Wallet“ gespeichert. Wenn dir also jemand BTC schickt, speicherst du das auf deiner Festplatte (oder deinem Smartphone oder deinem Cloud-Dienst), was auch den Effekt hat, dass die Kohle weg ist, wenn du den physischen Ort, an dem das Geld gelagert ist (Rechner, Handy, was auch immer) zerstörst.

Anzeige

Nakamoto beschrieb die Notwendigkeit von Bitcoin wie folgt:

„Das Kernproblem konventioneller Währungen ist das Ausmaß an Vertrauen, das nötig ist, damit sie funktionieren. Der Zentralbank muss vertraut werden, dass sie die Währung nicht entwertet, doch die Geschichte des Fiatgeldes ist voll von Verrat an diesem Vertrauen. Banken muss vertraut werden, dass sie unser Geld aufbewahren und es elektronisch transferieren, doch sie verleihen es in Wellen von Kreditblasen mit einem kleinen Bruchteil an Deckung. Wir müssen den Banken unsere Privatsphäre anvertrauen, ihnen vertrauen, dass sie Identitätsdieben nicht die Möglichkeit geben, unsere Konten leer zu räumen. Ihre massiven Zusatzkosten machen Micropayments unmöglich.

Eine Generation früher hatten Nutzer von Time-Sharing-Computersystemen ein ähnliches Problem. Vor dem Aufkommen von starker Verschlüsselung mussten die User sich auf Passwortschutz für ihre Daten verlassen und dem Systemadministrator vertrauen, dass dieser ihre Informationen vertraulich hielt. Diese Privatsphäre konnte jederzeit aufgehoben werden, wenn der Administrator zu dem Schluss kam, dass sie weniger wog als andere Belange, oder auf Anweisung seiner Vorgesetzten. Dann aber wurde starke Verschlüsselung für die Masse der Nutzer verfügbar, und Vertrauen war nicht länger nötig. Daten konnten auf eine Weise gesichert werden, die einen Zugriff durch Dritte

egal aus welchem Grund, egal mit wie guten Entschuldigungen, egal was sonst

Anzeige

unmöglich machten.

Es ist Zeit, dass wir dieselbe Sache für Geld haben. Mit einer e-Currency basierend auf einem kryptografischen Beweis, ohne Notwendigkeit Mittelsmännern zu vertrauen, kann Geld sicher sein und mühelos transferiert werden.“

Foto: Zach Copley

BTC fristete jahrelang ein oberflächliches Schattendasein. Weder der Facebookbürger, noch die Finanzwelt interessierten sich für diese Crypto-Currency. Außerdem wurde es von bedeutenden Händlern und Geschäften nicht als Währung akzeptiert. Schließlich passierte das, was in solchen Fällen von dubiosen Geldangelegenheiten immer passieren muss: Die Unterwelt entdeckte Bitcoin für sich, und zwar vor allem deshalb, weil Transaktionen damit weitgehend anonym sind.

Die meisten von uns sind ja der Meinung, wenn du dir deine Scharfmacher fürs Wochenende besorgen willst, dann gehst du in irgendein Lokal, bestellst ein bestimmtes Getränk und schaust die ganze Zeit auf einen bestimmten Tisch, bis dich jemand ins Hinterzimmer holt. Das mag für den Vinyl-Nostalgiker praktikabel und höchst aufregend sein—für das knallharte Drogenbusiness ist das aber der Schnee, auf dem sie alle talwärts fahren.

Also suchte man sich neue, effizientere und weniger direkte Vertriebswege. Da kam das Internet gerade recht. Aber das Internet per se ist ja, wie wir spätestens seit PRISM alle wissen, auch keine Insel der Seligen mehr, also tat man sich mit den echten Profis zusammen: Den Sysadmins.

Anzeige

Wenn ein Systemadministrator wirklich weiß, was er tut, dann schauen die Jungs von Anonymous daneben aus wie Script-Kiddies, die bei Counter-Strike cheaten, um sich gut zu fühlen. Besonders im osteuropäischen Raum haben sich da einige Spezialisten einen legendären Ruf erarbeitet, schlicht und einfach weil sie Pornos hosten können—ob „normaler“ Porno oder der mit Kindern macht da keinen Unterschied, illegal ist dort nämlich beides.

Server werden im Ausland gemietet, darauf verschlüsselte Container mit den Daten geparkt und Kreditkartendaten werden im großen Stil gestohlen (diese Subspezies von Hackern nennt man „Carder“), weiterverkauft oder zum Bezahlen der eigenen Infrastruktur verwendet. Deshalb kommen bei Kinderporno-Raids in der westlichen Welt oft genug Menschen zum Handkuss, die selbst unschuldig sind, weil ihre komplette finanzielle Identität gestohlen wurde.

Die illegale Genussmittelbranche hat sich also unter anderem mit diesen Leuten zusammengetan. Die hatten dann die großartige Idee, dass man doch aus dem oberflächlichen Web einfach ein paar Ebenen tiefer geht, damit nicht jeder idiotische Polizist und weiße Ritter gleich via Google drüberstolpern kann. TOR war hier das erste Mal so halbwegs in aller Munde: Es war verfügbar und einfach zu handeln.

TOR ist ein Anonymisierungsdienst, der für jeden zugänglich ist. Du lädst dir das Plugin oder besser gleich den TOR-Browser runter, verbindest dich über eine geschützte Leitung mit mehreren, über der Welt verteilten Servern (so genannte „TOR-Nodes“) und kommst am Ende unidentifizierbar heraus. Das ist super für Länder wie China, wo jeder Scheiss gleich an der „großen Firewall“ hängen bleibt oder aktuell in Syrien, wenn die wenigen verbliebenen Internetuser einen Blick aus dem Land werfen wollen, ohne dafür mit ihrem Leben zu bezahlen.

Anzeige

Das Ganze funktioniert aber auch Serverseitig, du kannst also ganze Server anonym ins Netz hängen. Diese bekommen dann kryptische Adressen wie „asdf345GsadGRTZJ.onion“ und sind nur über TOR-Verbindungen zugänglich. Das perfekte Setup, um mit illegalen Waren zu handeln.

Foto: Mirko Tobias Schaefer

Schnell entstanden im „Onionland“, wie Deep-Web-Surfer das TOR-Netzwerk gerne nennen, ganze Seiten, die sich auf den Handel solcher Waren spezialisierten (ich werde jetzt keine nennen, der geneigte User kann das ja selbst nachforschen). Bald waren es aber nicht nur Drogen und Waffen—einfach alles ging über den digitalen Warentisch: Software, Kinderpornographie, (Kinder)Prostituierte, gestohlene Autos, gefälschte Ausweise und so weiter.

Käuferseitig ist der Handel einfach und Idiotensicher: Du registrierst dich—anonym und ohne Recoveryoption natürlich—auf einer der Seiten (es gibt zwei nennenswerte und einen bedeutenden Einzelhändler, der dort nicht mitmachen will, weil die Seitenbetreiber natürlich an den Transaktionen mitschneiden), es wird mit deinem Account eine BTC-Adresse generiert, auf die verschiebst du dann deine Kohle und kannst im Amazon-Style shoppen.

Gefällt dir etwas, kannst du mit den Verkäufern sogar plaudern (Wareninfo, Mengendiscounts und so weiter). Ein Bewertungssystem soll sicherstellen, dass hier auch alles koscher ist. Schließlich kaufst du was, gibst deine Adresse an, bezahlt im Voraus mindestens die Hälfte, bekommst das Zeug frei Haus geliefert, schließt den Deal ab und alle sind zufrieden.

Die Postadresse angeben? Vielleicht sogar den Namen? Natürlich, wieso nicht? Da die Bezahlung anonym passierte, kannst du ja immer noch behaupten, du hast nichts bestellt, oder dass es sich um  ein Missverständnis oder einen schlechten Scherz handelt, sollte die Polizei plötzlich bei dir vorbeischauen. Den Kauf kann dir niemand nachweisen. Und die Händler werden sich hüten, dich zu verpfeiffen, immerhin ist das ein eiskaltes Geschäft mit einer Menge Konkurrenz, die nur darauf wartet, Kunden glücklich zu machen. Manche verwenden aber auch tote Briefkästen und Schließfächer.

Als während der Zypernkrise der Bitcoin-Kurs teilweise auf 120 Euro pro BTC kletterte, war die wirtschaftliche Unterwelt also der große Gewinner. Es bleibt fraglich, ob in diesem Zeitfenster andere Personen über größere Vermögen von BTC verfügten—natürlich vorausgesetzt, sie haben nicht immer alles gleich über einen Tausch wieder in Echtgeld verwandelt. Spätestens hier werden die Damen und Herren der Mafia wohl auch den einen oder anderen Crypto-Ökonomen in ihren Reihen rekrutiert haben.

Natürlich bleiben Bitcoin und das TOR-Projekt gute und wichtige Sachen. Nichts liegt mir ferner, als euch glauben zu machen, dass Bitcoins und TOR exklusive Schwarzmarkt-Werkzeuge sind. Wenn aber das nächste Mal irgendein Politiker wieder mit Internetsperren oder sonstigem Zensurscheiß daherkommt, dann denkt an diesen Artikel und wo die Halbwelt im Netz wirklich unterwegs ist.