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Musik

Ray Manzarek war der wahre Jim Morrison (und der lebt in Oregon)

Der Doors-Keyboarder war das echte Mastermind hinter der schwindligen Rebellion vom Eidechsen-Jim. Diese Woche ist er einem Krebsleiden erlegen.

Im Jahr 2004, als manche von euch noch aufregende Tagebücheinträge über ihre ersten Alkopops-Räusche geschrieben haben, war ich bereits alt und habe entsprechend der Prädisposition meines Zellverfalls natürlich etwas Dummes getan. Und zwar habe ich mir ein Konzert meiner einstigen Lieblingsband aus Teenagerjahren in halbierter Besetzung und am Festivalgelände Wiesen angesehen. Falls das für euch noch nicht dumm genug klingt, sei noch hinzugefügt, dass wenige Minuten vor Konzertbeginn ein sintflutartiger Regen das gesamte Zeltlager weggespült und mich bis auf meine schrumpeligen Hoden in Wasser getränkt hat. Und dass besagte Band niemand anders als The Doors in ihrer halbtoten, frankenstein-mäßig zusammengeflickten Neuauflage mit dem Namen The Doors of the 21st Century war.

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Warum ich das getan habe, lässt sich aus heutiger Sicht gar nicht mehr so einfach sagen. Schließlich sind die Doors ohne Jim Morrison zirka so sexy wie Cola ohne Whisky und ein Live-Konzert, das man nur besucht, um die altbekannten Tracks mit möglichst minimaler Abweichung endlich mal in maximaler Lautstärke zu hören, ungefähr gleich sinnvoll wie der Besuch einer Games-Convention, wo der größte Star des Abends eine lebensgroße Hartgummi-Puppe von Batman ist.

Allerdings ist so eine lebensgroße Hartgummi-Puppe von Batman ziemlich beeindruckend, wenn man sie erst mal vor sich hat—vor allem, weil die Chancen, jemals auf das Original zu treffen, dann doch ziemlich gering sind. So in etwa muss man sich auch den Gedanken hinter der Entscheidung vorstellen, ein Konzert von den Doors of the 21st Century zu besuchen. 2004 hatten die Doors Ian Astbury von The Cult als Sänger angeheuert, der passenderweise dieselben Kerneigenschaften wie eine lebensgroße Hartgummi-Puppe von Batman verkörpert—und zwar, weil er auch nur an der Oberfläche wie das Original aussah.

Die Voraussetzungen waren also denkbar schlecht, der Auftritt gesamtmusikweltlich denkbar egal und das Konzert am Ende nach knapp drei Stunden der denkbar größte Hit, den man sich von den Doors im Alter von rund 70 Jahren erwarten konnte. Und das meine ich genauso unironisch, wie ich es sage. Als das Set fertig runter gespielt war, drehten die Veranstalter den Doors kurzerhand den Strom auf der Bühne ab. Das Konzert lief zu diesem Zeitpunkt bereits zirka zwei Stunden—was genau die Dauer war, die mein Gewand brauchte, um vollständig zu trocken, weil ich in der dritten Reihe die gesamte Körperwärme eines um sich schlagenden 2,20-Meter-Riesen auf Mushrooms absorbieren konnte.

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An einem etwas schlechteren Abend wäre das vielleicht Ende der Geschichte gewesen. Aber dann würde es auch keinen Sinn machen, dass ich vor zwei Sätzen noch von einem dreistündigen Konzert geschrieben habe, also keine Angst, so schlecht würde ich die Doors nicht wegkommen lassen. Denn sofort als der Strom weg war, holte Keyboarder Ray Manzarek bierschluckend und kopfschüttelnd einen Techniker auf die Bühne und befahl ihm, schnell wieder Saft zu machen.

Darauf folgte eine Stunde bester Live-Jam, der sogar eingefleischten Rap-Jüngern den Hippie-Hass ausgetrieben hätte. Drei Stunden sind schon für gutgewachsene, jungspundige Newcomer nicht leicht durchzuhalten (im selben Jahr habe ich Franz Ferdinand ganze 45 Minuten spielen sehen, weil sie einfach nicht mehr Lieder hatten), aber für zwei 70-jährige Altrocker sind drei Stunden zirka so lange, wie man sich seinen Aufenthalt in der Vorhölle vorstellt.

Trotz meines damals schon fortgeschrittenen Alters dämmerte mir eine Sache hier erst zum allerersten Mal: Ray Manzarek ist der einzig wahre Motor der Doors. Nicht Robby Krieger, der das Bottleneck-Spielen erfunden hat, nicht John Densmore, der sowieso 40 Jahre lang keine Ahnung hatte, zu welcher Musik oder Philosophie er da die Sticks auf Schlagzeug gedroschen hat, und eben auch nicht Jim Morrison, der eigentlich nicht viel anders als jeder andere unfokussierte, rebellierende Mittzwanziger war, der irgendwelche autistischen Gedichte von Eidechsen und Hollywood und Drogen auf die Welt loslassen wollte und zufällig das Glück hatte, gut genug auszusehen, um auch tatsächlich kurzzeitig groß damit rauszukommen.

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Nein, Ray Manzarek war der wahre Jim Morrison. Und er war auch das wahre Mastermind hinter der Band, die ohne ihn bereits 1967 das erste Mal zerfallen wäre. Wenn ihr euch Bootleg- oder auch offizielle Live-Mitschnitte der Doors anhört, werdet ihr in gut der Hälfte aller Fälle bemerken, dass Morrisons Singkraft nach nur einem Song unter der Reibeisen-Gewalt seiner steinigen Stimmbänder, die am Ende an die zwei Flaschen Whisky während nur einem Abendessen an sich vorbeifließen sehen haben, komplett verschwand. Dann war Manzarek an der Reihe, um Jimbo vorsichtig durch die restlichen Strophen zu führen oder einfach gleich den Lead zu übernehmen und Unknown Soldier ganz ohne zugedrogten James Douglas M. durchzuziehen.

Manzarek hatte die bessere Singstimme, das perfekte Timing und den vollkommenen Swag. Er hatte das musikalische Gesamtgefühl und generelle Verständnis dafür, wie Platten, das Musik-Business und Werbeverträge funktionieren. Er war der Puppenspieler, der Morrisons Kindereien ausbügelte und somit auch der Band-interne PR-Mann, der es verstand, seine losen Texte und sein wahnwitziges Attitüdengehabe in eine Form zu gießen, die es sowohl für pubertäre Mädels als auch postpubertäre Kritiker (halbwegs) interessant machte.

Ich weiß—anderen, schlaueren Menschen reicht da auch nur eine Doors-Doku oder ein schneller Blick in ein x-beliebiges Album-Booklet, um zu demselben Schluss zu kommen, aber bei mir dauern manche Sachen eben ein bisschen länger. Seither ist es aber, wie wenn man einer Frau erst mal auf den Busen geschaut hat: Man kann nicht anders, als immer auf den Busen zu achten. Jetzt ist der Busen gestorben. Und ich meine damit nicht Angelina Jolies präventive Drüsenamputation. Diese Woche hat sich die letzte Door of Perception ein für allemal geschlossen und Ray ist einem Gallengang-Krebsleiden in einer Klinik in Deutschland erlegen.

Alles, was man dazu sagen kann, hat in der Zwischenzeit längst irgendwer gesagt. Um dem Ganzen am Ende aber auch noch ein bisschen Hoffnung mitzugeben, hier ein nettes Verschwörungsvideo darüber, dass Morrison in Oregon auf einer Farm lebt.

Tut Manzarek einen späten Gefallen und hört euch noch mal durch die Live-Alben, wenn ihr es vertragt. Klar sind Musiker immer ein bisschen seltsam, die nach 50 Jahren immer noch dieselben Lieder spielen, aber seltsam ist auch Batman. Egal, ob aus Hartgummi oder als Legende. Und von zweiteren ist Ray nun auch nicht weit entfernt. Mahalo, Manzarek.