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Reisen

In einem kleinen Teil des Yellowstone-Nationalparks kann man straffrei Morde begehen

Ein Juraprofessor hat die "Todeszone" entdeckt, in der schwere Verbrechen folgenlos bleiben. Elf Jahre später kann man dort noch immer mit Mord davonkommen.

Als Clay McCann die entlegene Ranger-Station betritt, ist das Blut an seinen Händen noch nicht einmal trocken. Er schiebt eine noch warme Pistole über den Tresen und setzt den Ranger darüber in Kenntnis, dass er gerade vier Camper getötet hat.

"Möchten Sie einen Anwalt anrufen?", fragt der erschrockene Ranger.

"Ich bin Anwalt", sagt McCann.

So beginnt der Thriller-Roman Todeszone (2007) von C. J. Box; dabei handelt es sich um das siebte Buch in Box' Reihe über einen Wildhüter im US-Staat Wyoming. Die Prämisse des Romans ist, dass es ein 130 Quadratmeter großes Gebiet im Yellowstone-Nationalpark gibt, in dem dank eines gesetzlichen Schlupflochs Mord legal ist.

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Die Romanidee basiert auf einem 14-seitigen Artikel namens "The Perfect Crime" von Brian Kalt, Juraprofessor an der Michigan State University. Er beschreibt darin ein rechtliches Niemandsland in dem Teil des Yellowstone, der in Idaho liegt. Dort kann jemand ein Verbrechen begehen und ungeschoren davonkommen, weil die rechtlichen Zuständigkeiten nicht hinreichend geklärt sind.

2004 stand Kalt kurz davor, Vater zu werden. Vor der Geburt des Babys wollte er noch einen letzten Artikel schreiben, der ihn an der Uni beruflich weiterbringen sollte. Er recherchierte obskure rechtliche Grauzonen und entdeckte dabei einen Verweis auf die ungewöhnliche Rechtslage im Yellowstone-Nationalpark. Wie alle Nationalparks gehört auch das Gebiet des Yellowstone der Bundesregierung der Vereinigten Staaten. Teile davon liegen in Idaho, Montana und Wyoming, doch der Kongress unterstellte den gesamten Park dem Bundesbezirk von Wyoming. Es ist der einzige Bundesbezirk der USA, der über Bundesstaatsgrenzen hinweggeht.

Diese Information würde den meisten Laien höchstens ein Gähnen entlocken, doch bei einem Verfassungsjuristen wie Kalt ließ die Information Alarmglocken schrillen. Kalt wusste, dass Artikel 3 der US-Verfassung vorschreibt, dass Strafprozesse auf Bundesebene in dem Bundesstaat abgehalten werden, in dem das Verbrechen stattgefunden hat. Doch wenn jemand in der unbewohnten Gegend des Yellowstone in Idaho ein Verbrechen beginge, so folgerte Kalt, wäre es unmöglich, eine Jury aus dem vorgegebenen Bezirk zusammenzustellen. Da es sich auch um Land der US-Regierung handelt, hätte der Bundesstaat Idaho keine rechtliche Zuständigkeit. Kalt hatte eine Verfassungsvorschrift gefunden, die auf 130 Quadratkilometern des ältesten Nationalparks der USA kriminelle Immunität versprach.

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"Je tiefer ich grub, desto interessierter wurde ich", sagt mir Kalt vor Kurzem, als ich ihn in seinem Büro in East Lansing, Michigan, anrufe. "Die Menschen sind fasziniert von dem Gedanken, ein Schlupfloch für das perfekte Verbrechen zu finden. Es gibt viele verschiedene Arten von Schlupflöchern, aber das hier ist das einzige wirklich geografische Loch [der USA]."

Kalt schrieb seinen Artikel innerhalb von zwei Wochen fertig—noch bevor seine Frau das Kind zur Welt brachte—und die Fachzeitschrift Georgetown Law Journal veröffentlichte ihn 2005. Doch Kalt machte sich Sorgen, sein Artikel könne dazu führen, dass jemand mit einer ungeliebten Person einen Ausflug in den Nationalpark machte. Deswegen schickte er vor der Veröffentlichung seinen Artikel an das US-Justizministerium, an den US Attorney von Wyoming und an die Rechtsausschüsse des Repräsentantenhauses und des Senats. Er hoffte, diese Regierungsorgane würden das Schlupfloch schließen, bevor die Welt davon erfuhr. Kalt schrieb, wie einfach es für den Kongress wäre, den Yellowstone in drei Bundesbezirke aufzuteilen—der Teil in Idaho würde an Idaho gehen, der Teil in Montana an Montana, und der Teil in Wyoming an Wyoming. Er setzte sogar den Gesetzestext auf. Er umfasste drei Zeilen.

Doch es reagierte kaum jemand auf Kalt. Das wenige, das er mitbekam, wirkte so, als habe niemand vor, auch nur einen Finger zu rühren. "Ich war so naiv und dachte, der Kongress würde es sofort als Problem erkennen und etwas dagegen unternehmen", sagt er mir. "Aber in Washington passiert nichts, nur weil es vernünftig wäre."

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"Die Menschen sind fasziniert von dem Gedanken, ein Schlupfloch für das perfekte Verbrechen zu finden."

Als Kalts seine Arbeit schließlich veröffentlichte, gab es einen regelrechten Medienrummel. So interessierte sich neben der Washington Post, der BBC und NPR auch eine japanische Zeitung für die Geschichte. Der in Wyoming lebende Krimiautor C. J. Box bekam ebenfalls davon Wind und sah darin eine spannende Romanvorlage.

"Meine Werke gehören vor allem in die Kategorien Mystery, Spannung und Krimi. Genau deshalb machte mich die Vorstellung eines perfekten Verbrechens in meiner Heimat sehr neugierig", erzählt mir Box am Telefon.

Sein im Jahr 2007 erschienener Roman Todeszone schaffte es sogar auf die Bestsellerliste der New York Times und ist auch heute noch sehr beliebt. "Bei jeder meiner Lesetouren spricht mich jemand auf das Buch an", meint Box. "Und es ist quasi in jedem Laden des Yellowstone-Parks zu finden. Das finde ich richtig interessant. Die Leute kaufen das Buch immer noch wie verrückt."

Kalt schreibt in seiner Arbeit jedoch auch, dass es selbst in der sogenannten "Todeszone" sehr schwierig ist, mit einem Verbrechen komplett davonzukommen. Zuerst muss das Verbrechen nämlich schwer genug sein, um einen Gerichtsprozess mit Geschworenen nach sich zu ziehen. Dann muss es wirklich ausschließlich im Nationalpark stattfinden. Wenn man das Verbrechen zum Beispiel woanders plant, könnte die Staatsanwaltschaft im entsprechenden Verwaltungsbezirk eine Anklage wegen Verschwörung zum Mord erheben. Und auch Zivilklagen, zum Beispiel von Verwandten des Opfers, wären denkbar. Doch letztendlich gibt es in einer so abgelegenen und unbewohnten Gegend auch kaum Möglichkeiten, ein Verbrechen zu begehen. So existiert nicht mal eine Straße, die vom Rest des Nationalparks in die Idaho-Zone führt.

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"All diese Faktoren bedeuten weniger Anreiz", räumt Kalt ein. "Am Ende kann man sich nur noch schwer vorstellen, dass sich jemand auf meine Theorie verlässt und damit davonkommt."

Dennoch macht sich Kalt aufgrund der passiven und abwartenden Haltung des Kongresses Sorgen. "Ich denke weniger an die Wahrscheinlichkeit und mehr an den potentiellen Schaden", erklärt er mir. "Ich glaube nicht, dass etwas passieren wird. Wenn aber doch, dann wäre es wirklich schlimm. Wenn der Kongress den Willen hätte, etwas zu unternehmen, ginge es ganz schnell. Das Problem ist nicht, dass es kompliziert wäre; viel mehr interessieren sie sich einfach nicht dafür."

Der Kongress scheint das anders zu sehen. Der Pressesekretär des Senators Michael Enzi (Wyoming) teilt mir in einer E-Mail mit: "Senator Enzi hat das Thema der 'Todeszone' im Yellowstone-Nationalpark untersucht und es scheint keine einfache rechtliche Lösung zu geben." Der Senator Jim Risch (Idaho) sagt mir, die ganze Geschichte sei "Science-Fiction", und besteht darauf, dass Idaho im Falle eines Verbrechens in der Zone zuständig wäre. "Das ist alles schön romantisch und eine tolle fiktive Geschichte, doch ich sage Ihnen, die Bundesstaaten haben Zuständigkeit." (Allerdings stellt dieses Gesetz eindeutig den Yellowstone unter "die alleinige und ausschließliche Rechtsprechung der Vereinigten Staaten".)

Kalt überrascht es wenig, dass die Gesetzesschreiber untätig bleiben. "Mit hypothetischen Bedrohungen geben die sich nicht ab", sagt er. "Bei ihnen geht es nur um die Fragen, die aktuell ihre einflussreichsten Wähler beschäftigen."

Diese Resignation wirft natürlich die Frage auf, warum Kalt den Artikel überhaupt geschrieben hat. "Das ist die Frage, die mir die Leute am häufigsten stellen", sagt er mir. "Ich habe keine gute Antwort darauf. Ich schätze, ich bin optimistisch. Und manchmal, so alle paar Jubeljahre, passiert ja auch mal was."

Bis dahin muss der perfekte Verbrecher allerdings einfach nur in den Wald spazieren und versuchen, das perfekte Verbrechen zu begehen. Dass jemand einen Mord in einem Nationalpark begehen könnte, ist gar nicht so abwegig. 2015 wurde ein Mann im Great-Smoky-Mountains-Nationalpark erstochen und 2013 stieß eine Frau ihren frischgebackenen Ehemann im Glacier-Nationalpark in einen Abgrund.

Als Todeszone erschien, holte der Verlag Kalt nach Wyoming, um bei einigen PR-Events zu sprechen. Nach einem solchen Vortrag schlug jemand eine Fahrt nach Idaho in den Nationalpark vor, um Fotos zu schießen. Die Gegend ist zweifellos wunderschön: unberührter Küstenkieferwald, Grizzlybären, Wasserfälle. Doch Kalt wollte es lieber nicht darauf ankommen lassen.

"Ich würde da nicht einmal für eine Million Dollar hinfahren", sagte er. "Erst wenn sie das hier in Ordnung gebracht haben, und vielleicht nicht einmal dann. Die Götter der Ironie lecken sich bei mir doch schon die Finger."